Das Jahr 2024 neigt sich bereits dem Ende zu, und Weihnachten steht vor der Tür. Für viele wohnt dieser Zeit vor den Festtagen ein Zauber und eine ganz eigene Friedlichkeit inne. Bloss: Um den Frieden in der Welt ist es leider nicht allzu gut bestellt. In der Ukraine tobt der Krieg auch nach fast drei Jahren weiter, im Nahen Osten ist die Waffenruhe zwischen Israel und der Hisbollah bestenfalls brüchig, während die Kampfhandlungen im Libanon und im Gaza anhalten. Und schliesslich steht Syrien vor einer ungewissen Zukunft, die – so realistisch muss man sein – auch nach dem Sturz von Bashar al Asad nicht eben die rosigste ist.
Europa: Zwischen Orientierungslosigkeit…
Nein, die Welt ist zum Jahresende nicht eben durch Harmonie geprägt. Das erstreckt sich nicht nur auf die militärische und kriegerische Dimension, sondern auch auf die Politik in vielen Ländern. Namentlich in Europa scheint die politische Stabilität bedrohlich zu wanken. Ob in Paris oder Wien, sei es in Bukarest oder in Berlin oder blickt man nach Brüssel oder Amsterdam – Europa als Hort der Mässigung und des Ausgleichs zu bezeichnen, verkommt zum fernen Echo einer vergangenen Ära.
Zu den politischen Wirrungen kommt wirtschaftlicher Kriechgang und haushälterisches Unvermögen hinzu. Sofern überhaupt jemals vorhanden, erodiert der Wille zur Austerität auf breiter Front. Europas Schuldensorgenkinder von heute heissen nicht mehr Portugal, Irland, Griechenland oder Spanien wie im letzten Jahrzehnt. Sie heissen – immer noch – Italien mit einer Staatsverschuldung von mittlerweile rund 135 Prozent des BIPs. Sie heissen Frankreich mit seinem chronischen Haushaltsdefizit, ausufernder Staatsschulden und einer politischen und gesellschaftlich verfahrenen Situation. Und sie drohen, irgendwann mal Deutschland zu heissen, das zwar bezüglich Staatsverschuldung weiterhin Europas Musterschüler ist, gleichzeitig auf politischer Ebene bei der Finanzierung der staatlichen Aufgaben zunehmend überfordert scheint. Grosszügiger Sozialstaat, umfangreiche Immigrationsleistungen, (über-) ambitionierte Klimaschutzziele, militärische Aufrüstung und nicht zuletzt massive Nettozahlungen an die Europäische Union – wie diese gigantischen Verpflichtungen mit einem nachhaltigen Bundeshaushaltung (und sogar unter Einhaltung der Schuldenbremse) unter einen Hut zu bringen ist – daran wird sich die deutsche Politik auch nach dem Ende der Ampel-Koalition die Zähne ausbeissen.
…und Wachstumsschwäche
Der Ausweg über ein starkes Wirtschafts- und ein damit verbundenes Einnahmewachstum ist dabei versperrt. Nur gerade um 0,7 Prozent dürfte die deutsche Wirtschaft im nächsten Jahr wachsen. Dies, nachdem im laufenden Jahr eine Schrumpfung um rund 0,2 Prozent resultieren wird. Das europäische Zugpferd von einst lahmt nicht nur, sondern befindet sich in einer besorgniserregenden gesundheitlichen Verfassung.
Für Europa als Ganzes sieht es nicht viel besser aus. Zwar gibt es einzelne Lichtblicke. So überzeugt Spanien etwa mit ansprechenden Wachstumsraten. Doch über alles betrachtet ist auf dem alten Kontinent der Katzenjammer ausgebrochen. Die Industrie steckt in der Krise, die Stimmung ist im Keller und von Aufbruchstimmung ist keine Spur auszumachen. Kräftiges Wachstum und eindrückliche Erholung bleiben unter diesen Voraussetzungen vorerst Wunschdenken. Alleine für die
Eurozone wird es im neuen Jahr unter diesen Vorzeichen lediglich für ein Wachstum von rund einem Prozent reichen.
USA: Der Dominator ist unangefochten…
Wirtschaftlich steckt Sand im Getriebe und politisch droht die Blockade zum courant normal zu werden. Kein Wunder also, dass in den europäischen Hauptstädten mit Spannung und Anspannung der zweiten Präsidentschaft von Donald Trump entgegengeblickt wird: Wie diametral anders präsentiert sich doch die Lage jenseits des Atlantiks. Denn einerseits sind die USA innenpolitisch gar nicht so gespalten, wie man in Europa es sich (gerne) herbeiredete. Dies zeigte der eindrücklich breit abgestützte Wahlsieg der Republikaner und Donald Trumps. Andererseits treten die USA mit breiter Brust und einem Selbstbewusstsein auf, das auf einer ungeheuren wirtschaftlichen Überlegenheit beruht. Corona-Pandemie, Inflationsschock und ein historischer Zinsanstieg – die weltgrösste Volkswirtschaft schüttelte diese Widerwärtigkeiten ab wie lästige Fliegen. Spätestens mit den gravierenden binnenwirtschaftlichen Problemen Chinas und dem damit einhergehenden Ende von dessen Aufholjagd steht Amerika unangefochtener und dominanter denn je als ökonomische Supermacht da. Da überrascht es wenig, dass mit einem erwarteten Wachstum von rund 2,5 Prozent die Steigerung der Wirtschaftsleistung im nächsten Jahr mehr als doppelt so hoch ausfallen dürfte wie in Europa.
Gerade im Vergleich zu Europa verfügt diese wirtschaftliche Potenz über eine beeindruckende Breite. Das zeigt sich etwa bei der Betrachtung des BIPs pro Kopf auf Gliedstaaten-Ebene. So fördert dieses Mass zur Messung des Lebensstandards zu Tage, dass es selbst die wirtschaftlich schwächsten US-Bundesstaaten mit dem wirtschaftlich stärksten Volkswirtschaften Europas aufnehmen können. Aus europäischer Sicht ist das, gelinde gesagt, bedenklich.
…und kompromisslos
Und mit dieser ökonomischen Basis und einem beachtlichen Grad an politischer Einigkeit im Rücken trifft Donald Trump als 47. US-Präsident auf ein Europa, das mit sich selbst beschäftigt ist. Das lässt Ungutes für den alten Kontinenten vermuten, ungeachtet dessen, ob die von Trump angekündigten Zölle tatsächlich in dem befürchteten Ausmass erhoben werden. Tatsache ist jedoch, dass der alte und der neue Präsident «America First» konsequent durchsetzen wird. Vielleicht sogar noch kompromisslosloser als während der ersten Amtszeit. Dazu passt es, die Zollkeule als ultimative Drohkeule zu schwingen. Damit sie nicht zum Einsatz gelangt, werden einschneidende Konzessionen von Europa nötig sein. Denkbar ist hierbei nicht nur die Erhöhung der europäischen Verteidigungs-Etats, sondern auch gleich die Forderung nach einer Verwendung derselbigen für den Kauf amerikanischer Rüstungsgüter. Amerikanisches «take it or leave it” statt europäisches «whatever it takes”.
Das nach Sicherheit lechzende und wirtschaftlich geschwächte Europa hat dem wenig entgegenzusetzen. Nach dem es mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine auf die harte Tour lernen musste, dass militärische Konfrontationen auch vor der Haustür nicht der Vergangenheit angehören, muss es mit der Wiederwahl Trumps auf eine nicht minder schmerzliche Weise lernen, dass auch die wirtschaftliche Konfrontation kein Relikt vergangener Zeiten ist. Es ist dabei weniger ein «Clash of Civilizations», wie es der amerikanische Politikwissenschaftler Samuel Huntington 1996 skizzierte. Aber es ist sozusagen ein Kampf der Systeme, der sich mit zweiten Amtszeit Trumps erneut akzentuiert. Das auf grösstmögliche persönliche und unternehmerische Freiheit ausgerichtete amerikanische System prallt auf ein Europa mit einem eng geschnürten wirtschaftlichen Korsett, das die Erreichung seiner moralisch-normativen Ziele über eine zunehmende Regulierungsdichte sucht.
Ob dieser fast schon zwanghafte Hang zu immer mehr Vorschriften und Bürokratie die richtige Strategie ist, um gegen ein starkes und forsches Amerika zu bestehen? Erhebliche Zweifel sind angebracht. Führt man sich den Zustand und den Bedeutungsverlust des heutigen Europas vor Auge, scheint es eher so, als ob auf dem alten Kontinent das berühmt-berüchtigte System etabliert worden ist, das sich über kurz oder lang selbst abschafft. Der Kampf der Systeme ist aus europäischer Sicht vor allem auch ein Kampf gegen sich selbst.