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Dreier einfacher Worte bedurfte es im Sommer vor vier Jahren, um den Devisenspekulanten den Wind aus den Segeln zu nehmen: "Whatever it takes" - die Europäische Zentralbank (EZB) werde tun, was immer auch nötig sei, um den Euro zu retten.

Diese Drohung von EZB-Chef Mario Draghi hallt an den Finanzmärkten bis heute nach. Sie wird eines Tages womöglich sogar als Wendepunkt in der Rettung des Jahrhundertprojekts "Vereinigtes Europa" in die Geschichtsbücher eingehen.

Allerdings war Draghi damals wohl nicht bewusst, dass er in den nachfolgenden Jahren mehr als einmal auf die Probe gestellt werden sollte. Aus dem Kampf gegen die ach so bösen Devisenspekulanten wurde ein Kampf gegen ein erneutes Aufkeimen der Schulden- und dann der Bankenkrise. Neuerdings wird dieser unter dem Vorwand der Bekämpfung deflationärer Kräfte geführt.

Die Folge: Der Leitzins liegt mittlerweile bei null, den Geschäftsbanken wird ein Strafzins von 0,3 Prozent auf ihren Einlagen in Rechnung gestellt und monatlich fliesst die astronomische Summe von 80 Milliarden Euro über Wertpapierkäufe in die Finanzmärkte. Neuerdings kauft die EZB nicht nur erstklassige Unternehmensanleihen, sondern selbst solche umstrittener Schuldner auf (siehe Kolumne vom 13. Juni).

Im Kampf gegen deflationäre Kräfte scheint den Währungshütern jedes Mittel recht. Bei so viel Symptombekämpfung können die Ursachen der Krise schnell einmal aus den Augen geraten. Aus den Augen, aus dem Sinn - so könnte man meinen. Denn wie die Probleme der italienischen Banken mit ihren zur erdrückenden Last gewordenen notleidenden Krediten zeigen, schwelen die Ursachen der Krise munter vor sich hin.

Was sich in unseren umliegenden Nachbarländern abspielt, darf uns in der Schweiz nicht egal sein. Um dem starken Franken Einhalt zu bieten, hat sich die Schweizerische Nationalbank (SNB) in den vergangenen Jahren nämlich in eine direkte Abhängigkeit zur EZB und ihrer "Politik des billigen Geldes" hineinmanövriert.

Ende Juni hielt die SNB Fremdwährungsreserven von umgerechnet 609 Milliarden Franken in den Büchern. Davon entfallen gut 40 Prozent auf den Euro und dort zwar auf Anleihen erstklassiger Schuldner, aber damit eben auch auf solche mit einer negativen Rendite auf Verfall. Mit anderen Worten: Unsere Währungshüter wissen schon heute, dass sie weniger Geld zurückerhalten, als sie ursprünglich für diese Anleihen bezahlt haben.

Das dürfte der SNB insofern egal sein, als dass sie unbegrenzt Franken schöpfen kann. Darüber hinaus stellt sie ihren Geschäftsbanken einen Strafzins von 0,75 Prozent in Rechnung. Die Geschäftsbanken wiederum geben diesen Zins immer öfter an ihre Kundschaft weiter. Waren anfänglich nur Pensionskassen davon betroffen, wird nun selbst vor Privatkunden nicht mehr Halt gemacht.

Wer jetzt denkt, dass nur wer spart zur Kasse gebeten wird, der irrt gewaltig. Schliesslich macht die berufliche Vorsorge die gesamte erwerbstätige Schweizer Bevölkerung zu Sparern.

In der Vergangenheit erfuhr das Alterssparkapital dank des Zinseszinseffekts über die gesamte Erwerbsdauer hinweg eine exponentielle Vermehrung. Wenn es nun aber keinen Zins mehr zu erzielen gibt oder die Vorsorgewerke von Gesetzes wegen sogar zum Kauf von Anleihen mit einer negativen Rendite auf Verfall gezwungen werden, stellt das unser ganzes Vorsorgesystem auf den Kopf. Ich will mir nicht ausmalen, was ist, sollten die Zinsen irgendwann mal drehen.

Hier ein ziemlich eindrückliches Beispiel: Erst wenige Monate ist es her, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft eine Anleihe mit einer Laufzeit von 50 Jahren auflegte. Zum Zeitpunkt der Emission errechnete sich eine Rendite auf Verfall von 0,26 Prozent. Vor wenigen Wochen fiel die Rendite auf Verfall dann sogar bei dieser Anleihe in negatives Terrain. Sollte das Zinsniveau in der Schweiz auf diese Laufzeit um 1 Prozent steigen, droht nun aber ein Kursrückschlag um 30 Prozent. Rein rechnerisch müsste der Kurs der Anleihe sogar um rund 50 Prozent tauchen, steigen die Zinsen um 2 Prozent.

Bedanken dürfen wir uns bei SNB, EZB und Co. und ihrem geldpolitischen Kampf gegen Windmühlen. Würden sich die Konsumentenpreisindizes nämlich an den effektiven Lebenshaltungskosten orientieren, hätten wir es nicht mit deflationären, sondern gar mit inflationären Kräften zu tun. Der Grund: Weder die ausufernden Gesundheitskosten noch die stetig steigenden Mieten fliessen in ausreichendem Umfang in die Erhebungen ein. Ich bin in den letzten Tagen auf eine eindrückliche Grafik zu diesem Thema gestossen.

Quelle: Der Bund

Ich wage zu behaupten, dass der Kampf der Zentralbanken gegen deflationäre Kräfte und seine Nebenwirkungen primär der hochverschuldeten öffentlichen Hand in Europa sehr gelegen kommt. Ihre Schulden werden quasi mit der Notenpresse bedient. Ausserdem ist höchst fragwürdig, wenn Hedgefonds als sogenannte Front-Runner der Geldpolitik das grosse Geld machen und Banken, welche sich mit Anleihen hochverschuldeter Staaten verspekuliert haben auf Kosten der Allgemeinheit aus ihrer misslichen Lage befreit werden. Das Nachsehen haben dann hart arbeitende Bürger wie Sie und ich. Das Ganze geht so lange gut, wie niemand das Vertrauen in die Werthaltigkeit des Papiergelds verliert.

Zumindest an den Finanzmärkten scheint die von der "Politik des billigen Geldes" ausgehende Magie langsam aber sicher zu verpuffen. Das müsste den Notenbankern eigentlich Warnung genug sein...

 

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