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Der schwache Ölpreis sorgt für eine finanzielle Entlastung der Privathaushalte. Dank tieferen Ausgaben für Benzin und Heizstoffe bleibt diesen mehr vom Einkommen für den Konsum verfügbar, so lautet die gängige Lehrmeinung.

Doch gerade in Wirtschaftsfragen trennen Theorie und Praxis manchmal Welten. Nicht nur in Nordamerika, auch in vielen Schwellenländern hängen nicht wenige Privathaushalte am Tropf der Öl- und Gasindustrie. Und diese macht nach dem Ölpreiszerfall bekanntlich schwere Zeiten durch. Kommt dazu, dass das zusätzlich verfügbare Einkommen von den zusehends aus dem Ruder laufenden Gesundheitskosten weggefressen wird. Wie dem auch immer sein möge: Auf den Konsumschub warten die Ökonomen bis heute vergeblich.

Auch dem Finanzsystem steht nach der Banken- und der Schuldenkrise eine weitere Bewährungsprobe bevor. Denn Schätzungen zufolge stehen weltweit Kredite im Umfang von 250 bis 300 Milliarden Dollar an Unternehmen aus der Öl- und Gasindustrie aus - und das Firmensterben hat erst gerade begonnen.

So richtig den Angstschweiss auf die Stirn treiben einem aber erst die Kredite an ebenfalls massgeblich von der Ölpreisentwicklung abhängige Schwellenländer. Ihr Volumen überragt das von Ausleihungen an die Unternehmen aus der Öl- und Gasindustrie um ein Vielfaches. Nicht wenige dieser Kredite müssen in Dollar zurückbezahlt werden. Der gegenüber den meisten Schwellenländerwährungen starke Greenback lässt die Schuldenlast ins Unerträgliche wachsen. Das hat früher oder später auch verheerende Folgen für die Gläubiger, sprich für die Banken. Ihnen drohen schmerzhafte Zahlungsausfälle.

Ob und wie die Notenbanken auf die sich abzeichnende Neuauflage der Finanzkrise der Jahre 2007/08 reagieren werden, bleibt ungewiss. Denn aus der ursprünglichen Rettung des Bankensystems ist längst ein erbitterter Kampf gegen deflationäre Kräfte geworden. Man wird die Geister, die man rief, nicht mehr einfach so wieder los.

Offiziell ist die Deflation der erklärte Gegner. Unter dem Deckmantel der Deflationsbekämpfung ist allerdings ein erbitterter Abwertungswettlauf zwischen den führenden Wirtschaftsnationen entbrannt, an dem sich seit wenigen Wochen auch China beteiligt. Nur die Amerikaner schauen dem Geschehen von der Zuschauertribüne aus zu - zumindest fürs Erste. Mittlerweile fordern aber auch in Washington immer mehr Politiker lauthals die Einführung eines Negativzinses.

Verbale Interventionen, Wertpapierkäufe und eben diese negativen Einlagezinsen - die Notenbankverantwortlichen legen eine ungeheure Kreativität an den Tag, wenn es darum geht, die eigene Währung zu schwächen und den eigenen Unternehmen dadurch einen Vorteil im internationalen Wettbewerb zu verschaffen.

Der öffentlichen Hand kommt die Politik des billigen Geldes und der tiefen Zinsen sehr gelegen. Ihre Schulden werden mit der Notenpresse bedient - so etwas gab es in der Geschichte der freien Marktwirtschaft noch nie. Erst vor wenigen Monaten läutete die Europäische Zentralbank (EZB) ein weiteres Kapitel ein, als sie die Wertpapierkäufe auf Kommunalanleihen ausdehnte.

Im Fachjargon spricht man gerne auch von einer "Monetarisierung der Staatsschulden". Noch nie war es für die öffentliche Hand einfacher, quasi zu Vorzugskonditionen an frisches Geld zu kommen. Wer bei diesem nur zu verlockenden Angebot sparen und den Gürtel enger schnallen will, ist selber schuld. Das Ganze hat aber auch eine Kehrseite: Sollte es tatsächlich zu einer Neuauflage der Finanzkrise kommen, bleiben den führenden Zentralbanken kaum noch Pfeile im Köcher.

Die rund um die Einschränkung des Bargelds entbrannte Diskussion stimmt äusserst nachdenklich, gäbe diese den Zentralbanken doch noch mehr Macht über ihre Bürger. Nur das Bargeld macht es überhaupt noch möglich, sich den Negativzinsen zu entziehen. Sowieso entbehren diese grundsätzlich jeglichem gesunden wirtschaftlichen Verständnis.

An dieser Stelle möchte ich kurz noch auf die deflationären Kräfte zu sprechen kommen. Eigentlich ist es eine Farce, überhaupt von Druck auf das Preisniveau zu sprechen.

Fakt ist: Die Statistikämter haben sich in den vergangenen Jahrzehnten regelrecht einen Sport daraus gemacht, die Inflationsraten mittels einer Anpassung der Warenkörbe und saisonaler Bereinigungen zu zähmen. In den Konsumentenpreisindizes spiegeln sich schon lange nicht mehr die effektiven Lebenshaltungskosten. Schliesslich werden darin weder den stetig steigenden Mieten, noch den schon seit Jahren ausufernden Gesundheitskosten angemessen Rechnung getragen. Im Zuge stark rückläufiger Rohstoffpreise rächt sich das nun.

Auch wenn es etwas gar unkonventionell anmutet, müssten die Statistikämter eigentlich die Gunst der Stunde nutzen und die Zusammensetzung der Konsumentenpreisindizes in mehreren Schritten an die effektiven Lebenshaltungskosten angleichen. Zumindest wäre die Entscheidungsschlacht im Kampf gegen die deflationären Kräfte damit schon mal gewonnen. Und es wäre vor allem eines: ehrlich den Bürgern gegenüber.

Allerdings hat die öffentliche Hand wohl kaum ein Interesse daran, der Politik des billigen Geldes und der historisch tiefen Zinsen ein Ende zu bereiten. Man baut lieber an just dem Kartenhaus weiter, das eines Tages in sich zusammenfallen wird.

Die Finanzmärkte scheinen der Geldflut der Zentralbanken zusehends kritisch gegenüber zu stehen. Das bekommen vor allem die Bank of Japan sowie die EZB zu spüren. Angeblich diskutiert letztere sogar eine Ausweitung der Wertpapierkäufe auf ungesicherte Forderungen europäischer Banken.

Das Ganze geht sowieso nur solange gut, wie der Bürger auf der Strasse den Glauben an die Werthaltigkeit des Papiergelds nicht verliert. Bislang liess er sich von den Statistikämtern stets erfolgreich täuschen. Die Frage ist bloss: Wie lange noch?
 

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