Der cash Insider berichtet im Insider Briefing jeweils vorbörslich von brandaktuellen Beobachtungen rund um das Schweizer Marktgeschehen und ist unter @cashInsider auch auf Twitter aktiv.
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Die amerikanischen Konsumentenpreise schüttelten am gestrigen Donnerstagnachmittag auch den Schweizer Aktienmarkt so richtig durch. Innerhalb von Minuten schmierte der Swiss Market Index (SMI) um 200 Punkte ab und fiel bei etwas mehr als 10'000 Punkten auf den tiefsten Stand in diesem Jahr.
Und das nicht ohne Grund, wenn man sich die Teuerungszahlen aus Übersee etwas genauer anschaut. Denn die Konsumentenpreise stiegen von August bis September um 0,4 Prozent. Im Jahresvergleich errechnet sich sogar ein sattes Plus von 8,2 Prozent. Dass ausgerechnet die Kernrate – sie klammert die stark schwankenden Nahrungsmittel- und Energiepreise aus – gegenüber August um 0,6 Prozent zunahmen, straft diejenigen Ökonomen Lügen, welche die gestiegenen Energiepreise für den Teuerungsschub verantwortlich machen.
In New York stiess die Rendite zweijähriger amerikanischer Staatsanleihen unmittelbar nach der Veröffentlichung der Konsumentenpreise in der Spitze in die Nähe von 4,5 Prozent vor und liegt damit auf den höchsten Stand seit unmittelbar vor der Finanzkrise von 2007.
Dass vom dortigen Aktienmarkt aus eine kräftige Erholungswelle rund um den Globus rollte, versetzt nicht nur mich, sondern auch viele andere Börsenbeobachter in ungläubiges Staunen. Nach dem Teuerungsschub vom September dürfte die Hoffnung auf eine gemächlichere Gangart der amerikanischen Notenbank bei der Erhöhung der Leitzinsen wieder schwinden.
Nicht zuletzt auch deshalb wurde die Talsohle an den Aktienmärkten wohl noch nicht durchschritten. Kommende Woche wird sich zeigen, ob sich das Aufbäumen nicht auch diesmal wieder als ein blosses Strohfeuer herausstellt.
Hierzulande ist die Liste derjenigen Aktien, welche auf neue Jahrestiefstkurse gefallen sind, in den letzten Tagen nochmals länger geworden. Mittlerweile erstreckt sie sich von "A" wie AMS Osram, über "L" wie Logitech oder "T" wie Temenos bis hin zu "Z" wie Zur Rose. Ich zähle nicht weniger als 30 Aktien mit neuen Jahrestiefstkursen – wobei sich die Liste wie das "Wer-ist-Wer" der Börsenüberflieger vergangener Tage liest. Neuerdings lassen selbst widerstandsfähige Aktien wie etwa die von UBS oder Swisscom den Kopf hängen. Sogar jene unserer altehrwürdigen Schweizerischen Nationalbank (SNB) – sie gelten eigentlich als der Inbegriff für Stabilität – sind so günstig zu haben wie noch nie in diesem Jahr.
Kurszerfall bei den Aktien von AMS Osram seit Jahresbeginn (Quelle: www.cash.ch)
Wie ich gestern Donnerstag im Insider-Briefing berichtete, ziehen amerikanische (Gross-)Investoren auch weiterhin im grossen Stil Gelder aus den europäischen Aktienmärkten ab. So hatten Fonds auf europäische Aktien vergangene Woche an der New Yorker Börse erneut einen Nettoabfluss in Höhe von 610 Millionen Dollar zu beklagen. Das zeigen zumindest Erhebungen der Bank of America. Den Berechnungen der amerikanischen Investmentbank zufolge war es die 34. Woche in Folge mit Abflüssen. Seit Jahresbeginn wurden unter dem Strich nicht weniger als 67,6 Milliarden Dollar aus den besagten Fonds abgezogen.
In Anbetracht solch geradezu beeindruckender Zahlen überraschen mich die vielen neuen Jahrestiefstkurse nicht. Denn selbst wenn die Fonds auf europäische Aktien an der New Yorker Börse gehandelt werden, müssen sie sich dann auch bei uns von Titelpositionen trennen – und das um jeden Preis.
Bei den hiesigen Unternehmen sorgte zu Wochenbeginn eine Meldung für Aufruhr, wonach sich der deutsche Financier Jörg Bantleon bei GAM von Aktien getrennt habe. Als Abgeber musste sich der Grossaktionär nur deshalb zu erkennen geben, weil sein Stimmenanteil im Zuge der Verkäufe unter den meldepflichtigen Schwellenwert von 10 Prozent gefallen war. Neuerdings hält Bantleon noch 9,4 Prozent an der ehemaligen Julius-Bär-Tochter – wenn er sich mittlerweile denn nicht von weiteren Aktien getrennt hat.
Mit dem Bekanntwerden der Beteiligungsreduktion stirbt auch jegliche Hoffnung auf eine Übernahmeofferte an die GAM-Aktionäre – sofern es sich nicht bloss um einen grossen Bluff handelt. Denn nachdem sich der deutsche Financier in mehreren Schritten eingenistet hatte, hiess es in Börsenkreisen eigentlich, dass die Tage des Fondsanbieters als eigenständiges Unternehmen bald gezählt sein könnten. Der Grund: Die offensichtlichen Anknüpfungspunkte zwischen Bantleon und GAM auf dem Gebiet sogenannter Total-Return-Strategien.
Die prozentual zweistelligen Kursverluste der letzten Tage lassen allerdings darauf schliessen, dass sich der Grossaktionär von weiteren Aktien getrennt haben könnte. Der enge Markt in diesen Valoren macht es ihm fast unmöglich, überhaupt noch zu halbwegs vernünftigen Kursen auszusteigen.
Ich habe in den letzten Jahren immer wieder eindringlich vor Investitionen in schlecht handelbare Aktien gewarnt. Einsteigen ist in einem engen Markt das eine, Aussteigen das andere. Dass sich ein Profi vom Schlag eines Jörg Bantleon bei GAM derart verrennt, grenzt an einen Anfängerfehler.
Einmal mehr in den Dauerschlagzeilen findet sich die Credit Suisse wieder. Will man einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg Glauben schenken, dann droht der kleineren der beiden Schweizer Grossbanken nichts Geringeres als eine Neuauflage des Steuerstreits mit dem amerikanischen Justizministerium.
Im Raum steht der Vorwurf, die Credit Suisse habe Kunden auch nach dem milliardenschweren Vergleich von 2014 bei der Hinterziehung von Steuern geholfen. Das wiederum käme einem Verstoss gegen damalige Vereinbarungen gleich – ein gefundenes Fressen für die Politik in Washington.
Die Grossbank selbst weist die Vorwürfe denn auch entschieden zurück und lässt wissen:
Die Credit Suisse toleriert keine Steuerhinterziehung. Insbesondere seit 2014 wurden die Anstrengungen verstärkt, Personen zu identifizieren, die versuchen, Vermögenswerte vor Steuerbehörden zu verbergen. Nach unseren klaren Richtlinien müssen nicht offengelegte Konten geschlossen werden, wenn sie als solche identifiziert werden. Mitarbeitende, die sich nicht an die entsprechenden Bankrichtlinien halten oder die strengen Verhaltensstandards der Credit Suisse nicht erfüllen, werden diszipliniert. Die Credit Suisse kooperiert mit den amerikanischen Behörden, einschliesslich dem US Senat und dem US Department of Justice und wird dies auch weiterhin tun.
Am gestrigen Donnerstag berichtete ich zudem von einem "Sonderbericht" der Deutschen Bank aus der Feder des Währungsstrategen Robin Winkler. Wie er darin schreibt, werden zusehends Zweifel an der Stabilität des Schweizer Bankenplatzes laut – mit entsprechenden Folgen für den Franken.
Winkler will zwar ganz klar verstanden wissen, dass es ihm nicht um die Möglichkeit einer Bankenkrise, sondern vielmehr darum geht, die zu erwartenden Auswirkungen auf die Entwicklung des Frankens aufzuzeigen. Neben der Rettung der UBS von 2008 greift er auch die Immobilienkrise von Anfang der Neunzehnneunzigerjahre auf – und das ziemlich ausführlich. Und auch den Namen Credit Suisse sucht man im Sonderbericht vergebens. Dennoch wird man beim Lesen das Gefühl nicht los, dass der Währungsstratege – wenn auch ziemlich verblümt – auf einen potenziellen Kollaps der kleineren der beiden Schweizer Grossbanken anspielt.
Ich bin jedenfalls neugierig, was Firmenchef Ulrich Körner und sein Verwaltungsratspräsident Axel Lehmann in knapp zwei Wochen aus dem Zylinder zaubern werden.
Kürzlich hielt ich zum Thema Credit Suisse folgendes fest:
Zu einem Sorgenkind verkommt immer mehr auch Temenos. Ein Gewinneinbruch im zurückliegenden Quartal zwang die Bankensoftwareschmiede aus Genf zu einer früher als ursprünglich geplanten Veröffentlichung des Zahlenkranzes. Und dieser hat es faustdick hinter den Ohren: Die Lizenzeinnahmen verringerten sich im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent auf 76,3 Millionen Dollar und verfehlten die von Analysten erwarteten 108 Millionen Dollar klar. Der operative Gewinn (EBIT) brach sogar um mehr als 50 Prozent auf 40,8 Millionen Dollar ein. Hier war man in Expertenkreisen von einem Überschuss von rund 85 Millionen Franken ausgegangen.
Nach dem katastrophalen dritten Quartal gibt sich das Unternehmen selbst nun kleinlauter, was die diesjährigen Gewinnvorgaben anbetrifft. Spätestens jetzt dürfte auch dem hintersten und letzten Analysten Zweifel an der Erreichbarkeit der Mittelfristziele kommen.
Die Gewinnwarnung zwingt die Aktien von Temenos regelrecht in die Knie (Quelle: www.cash.ch)
Erst vor gut einer Woche war bekannt geworden, dass sich der für seine aktive Einflussnahme bei Unternehmen berüchtigte Finanzinvestor Petrus Advisers bei Temenos eingenistet hat – wenn auch zu deutlich höheren Kursen. In einem Schreiben an den Verwaltungsratspräsidenten Andreas Andreades und an den Firmenchef Max Chuard fordert der Finanzinvestor nichts Geringeres als eine Strategieüberprüfung. Verklausuliert heisst das nichts anderes, als dass die Genfer sich an den Höchstbietenden verkaufen sollen.
Eigentlich geht es Finanzinvestoren vom Schlag von Petrus Advisers bloss um eines: Ums schnelle Geld. Dessen sollten sich die Aktionärinnen und Aktionäre von Temenos stets bewusst sein, wenn sie sich in den kommenden Wochen der sich abzeichnenden Aktionärsrevolte anschliessen. Denn es brodelt im Aktionariat, vermutlich selbst bei Ankeraktionär Martin Ebner und seiner Gattin Rosmarie.
Gerade noch rechtzeitig die Reissleine zog Cengizhan Sen von Julius Bär. Der Technologieanalyst stufte die Aktien des Bankensoftwareherstellers zu Wochenbeginn überraschend von "Buy" auf "Hold" herunter und strich das Kursziel auf 70 (zuvor 100) Franken zusammen. Er warnte schon zu diesem Zeitpunkt vor dem zusehends schwierigeren Umfeld und der vermehrten Zurückhaltung der Banken bei grossen Investitionsentscheiden.
Auch den Valoren von AMS Osram zog der Analyst den Stecker und strafte diese mit einem Kursziel von 6 (zuvor 12) Franken ebenfalls von "Buy" auf "Hold" ab.
Analyst zieht bei den Aktien zweier «heisser» Schweizer Übernahmekandidaten den Stecker |
Eines haben Temenos und AMS Osram übrigens gemeinsam: In beiden Unternehmen sah der Julius-Bär-Analyst zuletzt "heisse Übernahmekandidaten".
Schmerzhafte Kursverluste hatten diese Woche auch die Aktien von Givaudan zu beklagen. Der Aromen- und Duftstoffhersteller aus Genf läutete hierzulande am Dienstag die Quartalsberichterstattung ein. Mit einem unmissverständlichen Urteil der Börse: Die Aktien gingen alleine an diesem Tag um fast 7 Prozent tiefer aus dem Handel.
Und all das nur, weil das organische Umsatzwachstum im dritten Quartal nicht wie von Analysten erwartet bei 6,9 Prozent, sondern "bloss" bei 6,1 Prozent zu liegen kam. Wir sprechen hier wohlverstanden von gerade mal 15 Millionen Umsatzfranken, um welche die Schätzungen verfehlt wurden.
Damit ist mit Blick auf die nächsten Wochen, wenn die Unternehmensberichterstattung hierzulande erst so richtig Fahrt aufnimmt, eigentlich alles gesagt, was gesagt werden muss. Schauen wir aber doch mal, wie sich die beiden SMI-Schwergewichte Roche und Nestlé im dritten Quartal so geschlagen haben – und fast noch wichtige: Wie die Börse letztendlich auf die Zahlenkränze reagieren wird. Das dürfte nämlich auch den SMI bewegen.
Mehr dazu am kommenden Freitag, wenn es wieder heisst: Die Börsenwoche im Schnelldurchlauf.