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Gefühlt befinden sich die Kurse auch am Schweizer Aktienmarkt im freien Fall. Die Liste von Unternehmen, die alleine seit Jahresbeginn einen Drittel oder mehr ihres Börsenwerts verloren haben, wird täglich länger.

Rückblickend erweisen sich selbst die pessimistischsten Annahmen als zu optimistisch. Da gibt es nichts schönzureden – auch von meiner Seite her nicht. Als ich Ende Dezember meine Aktienfavoriten für das Börsenjahr 2016 kommunizierte, war mir eines sehr bewusst: Es wird kein einfaches Jahr.

Mit einer taktischen Barmittelquote von 30 Prozent und den defensiven Indexschwergewichten von Roche und Nestlé sei meiner vorsichtigen Haltung jedoch genügend Rechnung getragen, so dachte ich damals. In den vergangenen sechs Wochen wurde ich nun eines Besseren belehrt.

Doch auch bei einigen Aktienanalysten dürften in diesen Tagen die Telefone heiss laufen. Noch bis vor wenigen Wochen bestenfalls sportlich, sind einige ihrer Kursziele nach dem Börseneinbruch geradezu astronomisch. Noch zieren sich viele Experten, beherzt zum Rotstift zu greifen.

In einem Kommentar verteidigt der für Kepler Cheuvreux tätige Autor die einst sehr beliebten Aktien von Dufry vehement. Da der Experte neuerdings von einer verhalteneren Geschäftsentwicklung in Europa ausgeht, reduziert er seine Schätzungen für den operativen Gewinn (EBITDA) um durchschnittlich 2 Prozent. Obschon das Kursziel dadurch leicht auf 160 (165) Franken zurückfällt, liegt es noch immer atemberaubende 72 Prozent über dem gestrigen Schlusskurs.

Die Vorbehalte in Bezug auf die hohe Verschuldung hält der Verfasser des Kommentars für übertrieben und bezeichnet die bei Kepler Cheuvreux weiterhin zu den "Swiss Top Picks" zählenden Aktien als "Kauf aus Überzeugung".

Optimistisch gibt sich der Experte auch für die Aktien des Genfer Luxusgüterkonzerns Richemont, die er schon seit Jahren zum Kauf empfiehlt. Vom Kursziel von 95 Franken trennen die Papiere inzwischen nicht weniger als 50 Prozent. Damit befindet sich der Aktienanalyst in bester Gesellschaft: Neun von zehn seiner Berufskollegen erachten die Aktien ebenfalls als kaufenswert - allerdings nicht mit einem auch nur annähernd so astronomischen Kursziel.

Gerade den amerikanischen Investmentbanken wird hierzulande gerne Effekthascherei mittels extremer Kursziele nachgesagt. Dieses Klischee bediente Goldman Sachs kürzlich bei den Valoren des Westschweizer Stellenvermittlers Adecco. In einer Branchenstudie strich der für die amerikanische Grossbank tätige Verfasser zwar seine Gewinnschätzungen zusammen. Dennoch traut er den Aktien auf einen Anlagehorizont von zwölf Monaten einen Anstieg auf 97 (98) Franken zu, was einem Aufwärtspotenzial von 74 Prozent entspricht.

Übertroffen wird dies nur durch das 80 Franken lautende Kursziel des Berufskollegen von Jefferies International für die Aktien von LafargeHolcim. Dass der Experte früher oder später über die Bücher gehen muss, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Denn solange die für den Weltmarktführer wichtigen Schwellenländer darben, wird sich der Börsenwert bestimmt nicht mehr als verdoppeln.

Abenteuerlich mutet auch das Kursziel von Barclays Capital für die bei den Anlegern in Ungnade gefallenen Aktien von AMS an. Dieses wird selbst nach dem durchwachsenen Schlussquartal und dem vorsichtigen Ausblick mit 45 Franken angegeben. Das Aufwärtspotenzial von 78 Prozent lässt sich auf die Schnelle nur dann realisieren, wenn der Halbleiterhersteller von einem finanzkräftigen Rivalen übernommen wird.

Nach dem Börseneinbruch muss sich nun erst einmal der Staub legen. Nicht wenige Bewertungsmodelle bedürfen dringend eines Realitätschecks. Grundsätzlich gilt: Ein hohes Kursziel ist bei Aktien noch lange kein dringendes Kaufargument.

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Wenn man den Strategen der UBS etwas nicht vorwerfen kann, dann Wankelmütigkeit. Während im Zuge der Börsenturbulenzen ein Berufskollege nach dem anderen das Handtuch wirft, halten Erstere hartnäckig an ihrer positiven Einschätzung für die europäischen Aktienmärkte fest.

Ganz ohne Einschnitte geht es aber auch bei der traditionsreichen Schweizer Grossbank nicht. In Erwartung einer Wachstumsverlangsamung in Übersee und aufgrund der schon seit Monaten rückläufigen Rohstoffpreise rechnen die Experten in diesem Jahr nur noch mit einem durchschnittlichen Gewinnwachstum von 8 Prozent. Ursprünglich lag diese Prognose bei zu optimistischen 13 Prozent.

Neu sehen die Aktienstrategen den breit gefassten Stoxx Europe 600 Index bis Ende Dezember auf 400 (435) Punkte klettern. Vom gestrigen Schlussstand aus betrachtet entspricht das einem Aufwärtspotenzial von nicht weniger als 28 Prozent.

Das würde europäische Aktien aus Anlegersicht quasi zum "blinden Kauf" machen. Allerdings knüpfen die Experten dieses ansprechende Jahresendziel an eine Bedingung: Die amerikanische Wirtschaft darf nicht in eine Rezession zurückfallen.

Wie schon seit Monaten setzt man bei der UBS auf Aktien von europäischen Unternehmen mit einem hohen Ergebnisbeitrag aus dem heimischen Binnenmarkt. Bei diesen habe die Gewinnentwicklung die Talsohle im zurückliegenden vierten Quartal durchschritten, so lautet die Begründung.

An den Börsen sind die harten Fakten oft nur von untergeordneter Bedeutung. Es überrascht deshalb nicht, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen besser sind, als es die Aktienkurse vermuten lassen.

Bleibt aus Sicht der nicht gerade erfolgsverwöhnten Anleger zu hoffen, dass das Jahresendziel der UBS für den Stoxx Europe 600 Index nicht bloss dem Zweckoptimismus dient.
 

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