Behäbig, uneinig, unschlüssig, ständig um sich selbst kreisend – so empfinden viele die Politik in Brüssel, der EU. Viele ganz wichtige Dinge werden in der Gemeinschaft der 27 Länder nicht gelöst, sondern nur diskutiert und teils sogar Jahrzehntelang wie die Bugwelle eines riesigen Schiffes nur vor sich hergeschoben. Die Probleme werden nicht angegangen und bleiben bestehen. In vielen Wirtschaftsbereichen ist die Folge ein riesiger Investitionsstau.
Ein ganz gewaltiges Problem ist die Infrastruktur. Viele Länder in der EU, in der Gesamtheit die gesamte Union, investiert viel zu wenig in Schienen, Strassen, Brücken oder Gebäude. Die Infrastruktur in der Union ist teils in einem erbärmlichen Zustand. So hat erst vor wenigen Tagen der EU-Rechnungshof kritisiert, dass das Stromnetz der Gemeinschaft etwa für die Energiewende ganz dringend ein Update, eine Erneuerung, braucht. Und offensichtlich in grossen Teilen komplett. Nach Angaben der Behörde ist nämlich fast die Hälfte der Leitungen der EU-Mitgliedsstaaten mehr als 40 Jahre alt.
Die 27 EU-Staaten müssen folglich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten alleine dafür gigantische Summen in die Hand nehmen um nur das Leitungsnetz der Mitgliedsstaaten zu erneuern. Die EU-Kommission geht von einem Investitionsbedarf bis 2050 von bis zu rund 2300 Milliarden, das sind 2,3 Billionen, Euro aus.
Nur für das Stromnetz! Oder die Bahn. Auch für den Schienenverkehr sind hunderte von Milliarden, wenn nicht Billionen Euro erforderlich um den teils erbärmlichen Zustand von Zügen und Gleisen oder Signalanlagen, Brücken und Bahnhöfen in der EU zu verbessern. Neuere Probleme wie Digitalisierung oder auch die Energiewende kommen noch dazu. So schätzt die EU-Kommission den Investitionsbedarf der EU bis 2050 alleine für erneuerbaren Wasserstoff auf bis zu knapp 500 Milliarden Euro.
Der verkorkste Investitions-Knoten könnte jetzt aber platzen. Deutschland hat erst vor wenigen Wochen ein schuldenfinanziertes Infrastrukturpaket für die nächsten zehn Jahre in Höhe von 600 Milliarden Euro beschlossen. Das tut dringen Not, ist aber angesichts eines riesigen Nachholbedarfs mit einem jährlichen Budget von etwa 60 Milliarden Euro doch auch nur ein erster Tropfen auf den heissen Stein. Denn Deutschland war in den letzten zehn Jahren mit einem Anteil der öffentlichen Investitionen an der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt BIP) von etwa 2,5 Prozent mit Portugal und Irland Schlusslicht der EU.
Wie eklatant die Investitionslücke in vielen EU-Ländern wie Deutschland ist, zeigen beispielsweise die Investition pro Kopf in die Schieneninfrastruktur. Während der deutsche Staat 2023 pro Kopf dafür 115 Euro ausgegeben hat, waren es in der Schweiz mit 477 Euro pro Einwohner viermal so viel.
Da Deutschland nun den Startschuss für Erneuerung und Ausbau der Infrastruktur gegeben hat, könnten andere EU-Länder diesem Beispiel bald folgen und ebenfalls mittels Staatsverschuldung im Bereich Infrastruktur aufrüsten. Angesichts einer durchschnittlichen Investitionsquote bezogen auf das BIP von nur 3,6 Prozent in der EU sehen die Volkswirte der Europäischen Zentralbank für die Union der 27 Staaten eine Investitionslücke von 900 Milliarden Euro bis 2031.
Deutschland ist mit seinem Infrastrukturpaket aus der Deckung gegangen und die Begehrlichkeit der EU ist offensichtlich schon geweckt. So fordern jetzt beispielsweise die Europäischen Verkehrssicherheitsräte, dass die EU bei der Planung ihres mittelfristigen Haushalts 2028 bis 2034 auch mehr Geld für Investitionen in die europäische Strassenverkehrsinfrastruktur locker machen soll.
Eins dürfte ziemlich sicher sein: In den nächsten Jahren und wahrscheinlich Jahrzehnten wird ganz viel Geld in Infrastruktur fliessen. Das könnte in dem Sektor annähernd einen Boom auslösen wie seit dem Ukraine-Krieg in der Rüstungsindustrie. Zu den Gewinnern zählen dann Firmen beispielsweise aus den Bereichen der Bauindustrie wie etwa eine Holcim oder Hochtief, ebenso wie der Stahlsektor mit einer ArcelorMittal, oder auch Maschinenbauer wie Burkhardt Compression.
Anleger, die im Bereich Infrastruktur grosse Chancen wittern, können anstatt sich Einzelinvestments ins Depot zu legen auch auf ein ganzes Paket von Gewinnern der Investitions-Billionen setzen. Zürcher Kantonalbank beispielsweise legt aktuell mit Handelsstart am 24. April ein neues Tracker-Zertifikat auf ein europäisches Infrastruktur-Aktienbasket (ISIN: CH1218270200) auf. Enthalten sind dort neben den bereits genannten Titeln weitere 17 europäische Unternehmen, wie etwa OC Oerlikon, Sika, Sulzer, Wienerberger oder Norsk Hydro.