An der Börse wurden die Neuigkeiten negativ aufgenommen. Die Airbus-Aktie verlor am Mittwoch kurz nach Handelsstart in Frankfurt rund eineinhalb Prozent. Die Boeing-Aktie war nach der Vorlage der Absatz- und Auftragszahlen am Dienstagabend in New York mit einem Abschlag von knapp einem Prozent aus dem Handel gegangen.

Branchenexpertin Chloe Lemarie vom Analysehaus Jefferies zeigte sich von den Airbus-Auslieferungen enttäuscht. Zwar habe der Hersteller sein eigenes Ziel bereits zurückgezogen, zugleich aber Anfang Dezember eine Zahl "nicht wesentlich" unter dem Ziel von 700 Maschinen in Aussicht gestellt. Mit der nun verkündeten Zahl hat Airbus nach Ansicht der Analystin seine eigene Zielvorgabe recht deutlich verfehlt.

Auch wenn Boeing im vergangenen Jahr wie erwartet erneut deutlich hinter Airbus zurückblieb, wertete Analyst Ken Herbert von der kanadischen Bank RBC die Zahlen des US-Konzerns positiv. So habe der Hersteller sein Ziel für die Auslieferungen des Mittelstreckenjets 737 Max nur knapp verfehlt.

Mit Blick auf Neuaufträge lag Airbus nicht ganz so weit vor Boeing wie bei den Auslieferungen. Die Europäer holten im abgelaufenen Jahr Bestellungen über 1078 Verkehrsflugzeuge herein - Boeing kam auf 935 Maschinen. Nach Abzug von Stornierungen waren es bei Airbus noch 820 Stück, ebenfalls mehr als bei dem Konkurrenten. Dadurch wuchs der Auftragsbestand weiter: Ende Dezember hatte Airbus Bestellungen über 7239 Passagier- und Frachtjets in den Büchern und damit rund ein Drittel mehr als Boeing.

Im vergangenen Jahr punktete der US-Konzern Boeing zwar erneut mit seinen Grossraumjets für die Langstrecke; bei dem Massengeschäft mit den kleineren Mittelstreckenjets ist Airbus seinem Konkurrenten jedoch schon länger enteilt. Wer heute einen Mittelstreckenjet aus der Modellfamilie Airbus A320neo bestelle, müsse bis 2029 auf die Auslieferung warten, sagte Verkaufschef Christian Scherer in einer Telefonkonferenz mit Journalisten. "Wir könnten weit mehr A320 verkaufen, wenn wir mehr Kapazität hätten."

Daher will der Hersteller die Produktion der A320neo-Familie bis zum Jahr 2024 auf monatlich 65 Jets und bis Mitte des Jahrzehnts auf 75 Maschinen ausweiten, wie Firmenlenker Faury bekräftigte. Das liegt auch an der geplanten Langstreckenversion A321XLR. Schon vor ihrem ersten Testflug im vergangenen Juni hatte Airbus Bestellungen über mehr als 500 Exemplare dieser Variante eingesammelt.

Allerdings dürfte sich der geplante Produktionsausbau der Modellfamilie wegen der Engpässe bei den Zulieferern und knappen Arbeitskräften um einige Monate verzögern, schätzt der Airbus-Chef. Die holprigen Lieferketten machen dem Konzern zu schaffen. Die Entwicklung der letzten Monate von 2022 dürfte sich Anfang 2023 fortsetzen, sagte Faury. Auch Boeing will seine Lieferketten und die Produktion stabilisieren, wie der Chef der Verkehrsflugzeugsparte, Stan Deal, sagte.

Wie viele Flugzeuge Airbus im laufenden Jahr ausliefern wird, will das Management erst bei der Vorlage der Jahresbilanz am 16. Februar prognostizieren. Die 661 Jets von 2022 waren immerhin acht Prozent mehr als im zweiten Corona-Jahr 2021. Ursprünglich hatte Faury jedoch sogar 720 Exemplare angepeilt, das Ziel aber schon im Sommer auf 700 heruntergesetzt. Airbus' Rekord stammt aus dem Jahr 2019, vor Beginn der Corona-Krise: Da hatte der Hersteller über alle Typen hinweg insgesamt 863 Verkehrsflugzeuge an seine Kunden übergeben.

Konkurrent Boeing lieferte im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben vom Dienstag mit 480 Flugzeugen zwar 41 Prozent mehr aus als noch 2021, doch der einst weltgrösste Flugzeughersteller kommt aus einem tiefen Tal. So bekam er vor allem mehr Mittelstreckenjets vom Typ 737 Max vom Hof - sein meistgefragtes Modell, das aber nach zwei tödlichen Abstürzen ab März 2019 lange Zeit weltweit nicht abheben durfte. Allein 387 Auslieferungen entfielen auf diese Modellreihe - einschliesslich 13 Militärversionen.

Vom Langstreckenjet 787 "Dreamliner" lieferte Boeing 31 Exemplare aus und damit mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr. Erst im August war ein mehr als einjähriger Auslieferungsstopp für das Modell ausgelaufen. Auf Geheiss der US-Luftfahrtbehörde FAA musste Boeing vorher Produktionsmängel bei dem Flugzeugmodell beheben. Nach den Milliardenbelastungen durch das 737-Max-Debakel kostet der "Dreamliner"-Ärger den Konzern eine Milliardensumme./stw/tav/stk

(AWP)