Der Stoxx Europe 600 Index wird Ende 2022 bei 444 Indexpunkten stehen, mit einem Minus von 9,1 Prozent. Dies wäre die schlechteste Jahresperformance seit 2018, wie der Durchschnitt von 16 Schätzungen in einer monatlich durchgeführten Bloomberg-Umfrage suggeriert.

Die Ziele der pessimistischeren Strategen deuten auf die schlechteste Rendite seit der globalen Finanzkrise hin. Damals betrug das Minus 46 Prozent.

Das Ziel von 444 Punkten bedeutet zwar ein Aufwärtspotenzial von 5 Prozent gegenüber dem Schlusskurs vom Mittwoch. Doch die Wahrscheinlichkeit einer Erholung schwindet, da die Strategen ihre Schätzungen seit der recht optimistischen Umfrage im letzten Monat um 23 Punkte gesenkt haben. Die Gefahr einer Energiekrise wegen ausbleibender Gasflüsse aus Russland, die Herausforderungen wie Zinserhöhungen und die Möglichkeit einer Rezession sind Gründe für die pessimistischere Haltung.

«Zunehmender Gegenwind»

"Die Erwartung eines zunehmenden Gegenwinds in den kommenden Quartalen stellt eine deutliche Veränderung im Wachstums-Inflations-Mix dar", sagte UBS-Strategin Sutanya Chedda. Sie hat ihr Jahresendziel für den Stoxx Europe 600 um fast 15 Prozent auf 410 Punkte gesenkt, was einen Abschlag von 16 Prozent für 2022 bedeutet. Das Wirtschaftswachstum werde in den nächsten Quartalen stagnieren. "Die Ungewissheit über die Gaslieferungen, und insbesondere der begrenzte Fluss von russischem Gas, dürfte die Energiepreise auf einem hohen Niveau halten", fügte sie hinzu.

Auch die Strategen von Goldman Sachs senkten ihr Sechsmonatsziel im vergangenen Monat um 15 Prozent und signalisierten einen Rückgang von 20 Prozent für den Index im Gesamtjahr. Sie prognostizieren für die Stoxx-600-Unternehmen ein Gewinnwachstum von 7 Prozent, halb so viel wie es der Konsens erwartet.

Furcht vor einer Rezession

Die europäischen Aktien haben sich von einem 18-Monats-Tief Anfang Juli erholt, liegen aber seit Jahresanfang immer noch um 13 Prozent im Minus. Erhöhte Rohstoffpreise treiben die Inflation weiter an. Im Juni lag die Teuerung in der Eurozone bei einen Rekordwert von 8,6 Prozent, was die Europäische Zentralbank dazu veranlasste, am Donnerstag die Zinssätze um 50 Basispunkte zu erhöhen.

Die Furcht vor einer Rezession in der Region wächst, während eine Unterbrechung der russischen Gaslieferungen bis zum Jahresende immer noch eine Möglichkeit ist, auch wenn die Wiederaufnahme der Gaslieferungen durch die Nord-Stream-1-Pipeline eine gewisse Erleichterung brachte. Der Rücktritt des italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi ist die jüngste Sorge der Anleger und erhöht die politische Unsicherheit auf dem Kontinent. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat seine parlamentarische Mehrheit verloren, während Deutschland mit seiner hohen Abhängigkeit von russischem Gas in grosser Furcht vor einem extrem schwierigen Winter ist.

Französische Bank empfiehlt Aufbau von Positionen

Bei allem Pessimismus gibt es aber auch jene, die auf Silberstreifen am Horizont setzen. "Wir würden empfehlen, jede Schwäche als Gelegenheit zu nutzen, vor Jahresende einige Positionen neu aufzubauen, da die Wachstums- und Inflationsdynamik dann günstiger für europäische Aktien sein werden", sagte Charles de Boissezon, Stratege bei der Société Générale. "Das nächste Quartal könnte unruhig und volatil bleiben, aber der Tiefpunkt des Pessimismus dürfte nicht mehr weit entfernt sein", sagte er.

Die Strategin der Bank of America Milla Savova stimmt zu, dass der Stoxx 600 seinen Tiefpunkt erreicht habe. "Wir sehen keinen weiteren Abwärtstrend für den Stoxx 600 nach dem starken Rückgang seit Januar, weshalb wir unsere Haltung gegenüber dem Markt im letzten Monat von negativ auf neutral angehoben haben", so Savova, die ihr Jahresendziel von 430 Indexpunkten bekräftigte.

Bei anderen ist der Pessimismus jedoch noch immer präsent. Fast Hälfte der Teilnehmer an der jüngsten Umfrage der Bank of America unter europäischen Fondsmanagern rechnet mit weiteren Rückgängen bei europäischen Aktien im kommenden Jahr, gegenüber etwa einem Drittel im Juni. Weltweit sind die Anleger gegenüber den Aktien im Euroraum am negativsten eingestellt. Die Allokation in Aktien aus der Region ist im letzten Monat um 23 Prozentpunkte auf eine Netto-Untergewichtung von 35 Prozent gefallen. Dies ist der niedrigste Stand seit Juni 2012.

Resultate werden genau beobachtet

Die jetzt beginnende Ertragssaison wird genau beobachtet. Bisher sind Analysten noch zurückhaltend, die düsteren Wirtschaftsaussichten einzupreisen. Im Tech-Sektor reichen die Ergebnisse von schlechten Resultaten wie bei SAP bis zu sehr guten Ergebnissen wie bei Nokia Oyj. Der niederländische Chipkonzern ASML hat den Ausblick gesenkt, aber tiefere Erwartungen haben die Aktie dennoch gestützt. 

Eine grössere Korrektur bei den Schätzungen könnte noch folgen, weil die durchschnittlichen Kurs-Gewinn-Verhältnisse der Stoxx-600-Konstituenten in den nächsten zwölf Monaten um 30 Prozent ansteigen könnten. JP-Morgan-Strategen um Mislav Matejka würden eine Neuausrichtung der Schätzungen allerdings begrüssen. Eine milde Rezession könnte Gewinne und Margen weniger belasten als in früheren Phasen von Konjunkturschwächen. Schwache Unternehmensergebnisse dürften auch den Zinserhöhungskurs der Notenbanken bremsen. 

Matejka setzt für den Stoxx 600 ein Punkteziel von 500, was 18 Prozent Kursanstieg bedeutet. Schwäche Konjunkturdaten und Unternehmensresultate würden für die US-Notenbank Fed im September zu einem Neuorientierung führen und "Investoren den Anreiz liefern, auf der Suche nach dem Wendepunkt wieder in den Markt zu gehen." 

(Bloomberg/cash)