Ein Trend kristallisiert sich dabei klar heraus: Der Onlinehandel verschmilzt immer mehr mit der Offlinewelt. Anleger können mit Hebelpapieren auf ausgewählte Branchenvertreter setzen.
Einkaufen an sechs Tagen in der Woche ist längst nicht mehr genug. So versuchen die Einzelhändler, mit verkaufsoffenen Sonntagen die wachsende Konsumlust zu stillen. Das wahre Shoppingparadies ist allerdings im Internet zu finden. In den eigenen vier Wänden wird in aller Ruhe ein neues Outfit ausgewählt, das Zuhause neu dekoriert, Tickets gebucht oder auch Lebensmittel bestellt. Und das rund um die Uhr. Dank Amazon, Zalando & Co. war Einkaufen nie einfacher als heute.
»Bequemlichkeit first« findet auch hierzulande verstärkt Anklang und so nutzen immer mehr Schweizer die Vorzüge des E-Commerce. Die Wachstumsraten sind erstaunlich: Zwischen 2010 und 2016 legte das Marktvolumen des Online- und Versandhandels um mehr als die Hälfte zu. Dieser Trend setzte sich im vergangenen Jahr ungebremst fort. Während die Umsätze im Schweizer Detailhandel stagnierten, ging es mit den Onlineverkäufen weiter aufwärts. Schätzungen zufolge haben die Konsumenten im vergangenen Jahr rund 9 Prozent oder 700 Millionen Schweizer Franken mehr im World Wide Web für Waren ausgegeben. Das Gesamtvolumen legte damit auf 8,5 Milliarden Schweizer Franken zu.
Virtuelle Kauforgien
Im Vergleich zu den grossen Internetmärkten in China oder den USA sind das allerdings Peanuts. Allein am sogenannten »Singles’ Day« 2017 im Reich der Mitte, der sich mittlerweile zum grössten Shoppingtag der Welt entwickelt hat, setzte der E-Commerce-Riese Alibaba mit umgerechnet 19,5 Milliarden Schweizer Franken doppelt so viel um wie die gesamte Schweiz in einem Jahr. Die chinesischen Verbraucher kaufen bei diesem Event, das einst als Konkurrenz zum Valentinstag eingeführt wurde, sogar mehr als die US-Bürger am »Black Friday« und »Cyber Monday« zusammen, den beiden Höhepunkten für Onlineshopper in den Vereinigten Staaten.
Im Wesentlichen sind es zwei Unternehmen, die in den 24 Stunden am 11. November für einen Kaufrausch in China sorgen: Alibaba und JD.com. Erstgenannter beherrscht über die Portale Tmall und Taobao das klassische Onlineshopping mit einem Marktanteil von mehr als 60 Prozent. Konkurrent JD.com holt aber auf und vereint mittlerweile rund ein Viertel des »Onlineshopping-Kuchens« auf sich. An dem Einkaufsspektakel im Herbst 2017 konnte JD.com seine Erlöse im Vergleich zum Vorjahr um 50 Prozent steigern, Alibaba gelang »nur« ein Plus von 39 Prozent. Der westliche Gigant Amazon hat im Reich der Mitte dagegen nichts zu melden, der US-Konzern kommt nicht einmal auf einen Marktanteil von 1 Prozent.
Grafik 1: Wertentwicklung im Vergleich
China ist das Mass aller Dinge
China ist inzwischen der mit Abstand grösste E-Commerce-Markt der Welt. Das dürfte auch so bleiben, denn schon alleine die steigende Zahl von Internetnutzern spricht für weiteres Wachstum. Zwar verfügt das riesige Land mit mehr als 730 Millionen Usern bereits über die grösste Webgemeinde weltweit. Doch sind von der 1,4 Milliarden starken Bevölkerung damit erst rund 53 Prozent regelmässig online, was im Umkehrschluss noch viel Potenzial bedeutet. Die Analysten von Goldman Sachs gehen davon aus, dass der Onlineeinzelhandel im Reich der Mitte bis 2020 um durchschnittlich 23 Prozent p.a. expandieren wird. Liegen die Experten mit ihrer Prognose richtig, würde Internetshopping dann ein Viertel des gesamten Einzelhandels in China ausmachen. Besondere Chancen sieht Goldman Sachs bei Frischwaren wie Obst, Gemüse und Milchprodukte. Diesem Bereich wird ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 34 Prozent zugetraut. Aber auch die klassischen Bestellwaren wie Elektronik und Bekleidung sollen weiter robust zulegen. Folglich könnte bereits im Jahr 2020 nahezu die Hälfte aller chinesischen Kleidungskäufe online erfolgen.
Fashionbegeisterte Europäer
Auch in hiesigen Breitengraden zeigt die E-Commerce-Kurve weiter nach oben. Umfragen zeigen, dass mittlerweile ein Viertel der europäischen Verbraucher mindestens einmal pro Woche online einkauft. Zuletzt sorgten vor allem Märkte wie die Türkei mit einem Plus von 31 Prozent oder Italien, Spanien und Russland mit Zuwächsen von rund einem Viertel für hohe Steigerungsraten. Insgesamt liess die Vorliebe der Verbraucher für Onlineshopping die Umsätze auf dem alten Kontinent im vergangenen Jahr prozentual zweistellig auf mehr als 600 Milliarden Euro ansteigen. Am beliebtesten sind nach einer Untersuchung des Kreditkartenbetreibers Mastercard Kleider, Accessoires und Schuhe mit einem Marktanteil von 48 Prozent.
Von dem immensen »Modekuchen« möchten sich auch die klassischen Einzelhändler immer mehr abschneiden. So zum Beispiel H&M. Die Schweden leiden bereits seit längerem unter der erstarkten Konkurrenz aus dem Internet wie Zalando. Das lässt sich auch am Aktienkurs ablesen. Während die H&M-Aktie innerhalb eines Jahres knapp die Hälfte ihres Börsenwertes eingebüsst hat, verteuerten sich die Titel von Zalando um 27 Prozent. In Zukunft fokussieren sich die Schweden nun verstärkt auf das Internet. Um mindestens 25 Prozent soll das Onlinegeschäft im laufenden Jahr zulegen. Wie wichtig das Internet für den Geschäftserfolg ist, zeigt sich in der 2017er-Bilanz: Zwar machte E-Commerce nur 12,5 Prozent der Erlöse aus, sorgte aber für 22 Prozent des operativen Gewinns.
Wie Wachstum im World Wide Web funktioniert, zeigte einmal mehr Zalando mit seiner jüngsten Jahresbilanz. Nach vorläufigen Zahlen kommt der Berliner Modehändler auf einen Umsatz von 4,5 Milliarden Euro – 24 Prozent mehr als im Vorjahr. Das Unternehmen, das seinen Onlineshop nun auch noch um Kosmetikartikel erweitern möchte, strebt im laufenden Geschäftsjahr bis zu 1 Milliarde Euro mehr Umsatz an. Dies wäre ein Plus von deutlich mehr als einem Fünftel gegenüber 2017. Der Gewinn kann mit dem hohen Expansionstempo allerdings nicht Schritt halten. Die Investitionen, die für einen erneuten Wachstumssprung nötig sind, drücken auf die Margen. Bereits 2017 reduzierte sich die Rendite um 1 Prozentpunkt auf 4,9 Prozent. Laut Vorstand ist dieses Jahr keine Verbesserung zu erwarten.
Grafik 2: Umsätze E-Commerce weltweit
Grafik 3: E-Commerce-Marktanteil Regionen 2017
Alles aus einer Hand
Während die einen verstärkt ins Internet drängen, gehen Internetriesen wie Alibaba, Amazon und JD.com den entgegengesetzten Weg. So verleibte sich Amazon im vergangenen Jahr die grösste US-Bio-Supermarktkette Whole Food Markets ein und greift damit traditionelle Händler an. In China sind vergleichbare Bestrebungen festzustellen. So hat JD.com Anfang dieses Jahres einen neuen High-Tech-Supermarkt »7Fresh« in Peking eröffnet. Nicht nur frische Nahrungsmittel gehören zum Inventar, sondern auch sensoraktivierte Produktinformationen sowie intelligente Einkaufswagen. Darüber hinaus investiert JD.com stark in die Lieferkette. Zusammen mit dem US-Partner Wal-Mart versucht das Unternehmen zum Beispiel, das Netzwerk von Lager- und Kühlhäusern zu kombinieren, um die Lieferzeit zu verkürzen. Apropos Versand: JD.com forscht auch intensiv im Bereich der Warenzustellung durch Drohnen. Die unbemannten Flugobjekte sollen bereits spätestens 2020 in den Standardbetrieb übergehen.
Alibaba steht der Konkurrenz in nichts nach. Das Unternehmen ist nicht nur Retailer, sondern auch Logistiker und versucht zudem ebenfalls, mit eigenen Supermärkten den Einzelhandel zu revolutionieren. Mittlerweile gibt es 25 »Hema«-Shops in China, 30 weitere sollen in diesem Jahr eröffnet werden. Diese Läden bringen Online und Offline zusammen. So erhalten Internetkäufer eine kostenlose Lieferung innerhalb von 30 Minuten. Das ganze Einkaufserlebnis bei Alibaba wird mit einem eigenen digitalen Bezahlsystem abgerundet. Die App »Alipay« zählt mittlerweile mehr als 520 Millionen Nutzer.
Zum Vergleich: Der in den USA und Europa sehr beliebte Zahlungsabwickler PayPal verfügt gerade mal über 227 Millionen aktive Accounts. Allerdings zeigt der Trend auch bei dem US-Konzern klar nach oben. Die vor zwei Jahren von eBay als eigenständiges Unternehmen an die Börse gebrachte Tochter steigerte im abgelaufenen Geschäftsjahr ihren Umsatz um 21 Prozent auf 13,1 Milliarden US-Dollar. Die Nutzerzahlen legten um 15 Prozent zu, das abgewickelte Zahlungsvolumen um 27 Prozent auf 451 Milliarden US-Dollar.
Aus zwei wird eins
Zukunftsforscher sind sich einig: Die beiden getrennten Handelswelten Online und Offline werden in den kommenden Jahren immer mehr zusammenwachsen. »Digital Commerce« ist dabei die übergreifende Idee. Übersetzt bedeutet dies, die wertvollen Kundeneinkaufsdaten zu sammeln und so aufzubereiten, dass der physische Handel in Kombination mit dem Internet das Geschäft ankurbelt. Ein perfektes Beispiel für derartige Innovationen im E-Commerce zeigt Amazon mit seiner digitalen Assistentin Amazon Echo. Anhand von erstellten Userprofilen weiss das Unternehmen genau, wann und was die Verbraucher bestellen möchten, und kann diese Produkte just in time über gut vernetzte Paketdienstleister wie die Deutsche Post an den Kunden liefern.
Letztendlich wird in Zukunft also die Kombination aus einem lokalen Store mit hohem Einkaufserlebnis sowie einem technisch ausgereiften Onlineshop über den langfristigen Geschäftserfolg entscheiden.