Seit Jahresbeginn steigt der Weizenpreis an der Handelsbörse in Paris um 5 Prozent. Zwar ist Weizen Mitte März wie alle übrigen Rohstoffe eingebrochen. Doch wurde der Einbruch - wie aus der untenstehenden Grafik ersichtlich - schon Ende März wieder aufgeholt. Seitdem bewegt sich der Preis tendenziell aufwärts.

Der Weizenpreis seit Juli 2017 (Quelle: marketsinsider).

Dies obwohl der Ölpreis auf ein Mehrjahrestief eingebrochen ist. Normalerweise sinkt mit einem fallenden Ölpreis auch der Weizenpreis. Denn der Ölpreis spiegelt sich in den Transport und Herstellungskosten der Produzenten wieder. Warum ist dies jetzt nicht der Fall?

Alles nur wegen Corona?

Ein Faktor ist sicherlich, dass die Corona-Epidemie weltweit Hamsterkäufe ausgelöst hat. Dies schürt die Angst vor Versorgungsengpässen. Das Problem: Die grossen Importeure könnten sich zu Panikkäufen gezwungen fühlen, wenn die Grossabnehmer glauben, im Mai oder Juni kein Weizen mehr zu erhalten.

Zudem ist Weizen nicht das einzige Grundnahrungsmittel, das eine positive Preisentwicklung zeigt: Der Preis für Reis ist seit Jahresbeginn gar um 29 Prozent gestiegen. Reis ist weltweit eines der wichtigsten Getreide. In Süd- und Sodostasien wird beispielsweise der Energiebedarf der Bevölkerung zu etwa 50 Prozent durch Reis gedeckt. Ein Grund für den Preissprung: Die zwei Hauptexporteure Indien und Vietnam haben in der Corona-Krise wegen Arbeitskräftemangel und Lieferschwierigkeiten Probleme, die üblichen Mengen zu exportieren.

Für Abdolreza Abbassian, Chefökonom bei der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO, kommt noch hinzu, dass die Nahrungsmittelversorgung und der Transport durch die Schliessung der Grenzen erheblich gestört sind. Die durch die Hamsterkäufe verursachte "Knappheit" werde durch die Probleme in der Lieferkette verstärkt.

Fundamentale Faktoren entscheidend

Für Brivio Santosh, leitender Ökonom bei der Migros Bank, spielt hingegen die Corona-Krise gegenwärtig bei den Getreidepreisen eine untergeordnete Rolle. Denn der grösste Teil der letzten Produktion wurde bereits vor Corona vermarktet. Entsprechend dürften die "üblichen" fundamentalen Faktoren wie Anbau- und Ernte-Erwartungen oder Wetterbedingungen die massgeblichen Einflussfaktoren sein. 

Dies zeige sich beispielsweise bei Weizen, dess Preis in den letzten Wochen ein Auf und Ab erlebte. Die aktuelle Aufwärtsbewegung dürfte in Europa vor allem auf eine erwartete Angebotsverknappung aufgrund geringerer Anbauflächen sowie zu trockenen Wetterbedingungen zurückzuführen sein. Die Getreidepreise dürften sich auf Jahressicht eher seitwärts bewegen – mit erhöhtem Aufwärtspotential. 

Auch die Commerzbank geht in ihrem Tagesbericht vom 20. April davon aus, dass sich mit der anhaltenden Trockenheit in vielen EU-Ländern und der Schwarzmeerregion die Aussichten für die bislang noch recht ordentlich erwarteten Ernten 2020/21 eintrüben. So habe sich beim grössten Weizenproduzenten der EU, Frankreich, der Pflanzenzustand wegen der Trockenheit in der letzten Woche weiter verschlechtert.

Zudem rechnet Russland damit, dass seine angekündigte Obergrenze für Getreideexporte bereits Mitte Mai erreicht sein wird. Bis zum Beginn der nächsten Saison im Juli würde dann also rund sechs Wochen kein Getreide mehr ausgeführt. Alleine die Ankündigung Russlands, wie auch einiger anderer Länder, die Exporttätigkeit einzuschränken, sorgt schon seit einiger Zeit für Preisauftrieb am Weizenmarkt.

Wer profitiert von einem höheren Weizenpreis?

Die Rohstoffpreise fliessen in die Kalkulationen der Landwirte, Agrarkonzerne und Lebensmittelhersteller ein. Von steigenden oder gestiegenen Getreidepreise profitieren in erster Linie die Produzenten. Bleibt den Bauern mehr in der Tasche, investieren diese mehr Geld in Landmaschinen, Saatgut, Dünger und Pflanzenschutz. 

Davon dürften zeitversetzt agrarnahe Unternehmen profitieren, was deren Aktienkurse Auftrieb verleihen könnte. Papiere von Dünger- und Saatgutproduzenten, Pflanzenschutzmittelherstellern sowie Landmaschinenbauern profitieren auch langfristig vom wachsenden Bedarf an Lebensmitteln. Unter diesen Vorzeichen könnten sich die in der Corona-Krise arg gebeutelten Aktien der Landmaschinenhersteller Agco und Deere & Co. als interessant erweisen. Haben diese doch seit Jahresbeginn 37 beziehungsweise 21 Prozent ihres Werts verloren.

Detailhändler, Nahrungsmittelhersteller und Zwischenhändler stehen vor einer anderen Situation. Diese werden vorsichtig sein, gestiegene Einkaufspreise direkt auf die Verbraucher abzuwälzen. Denn: Die Konsumlaune wird auf absehbare Zeit tief bleiben. Ein Preisanstieg für den Endverbraucher würde diese Entwicklung noch verstärken.
 

ManuelBoeck
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