Nach jahrelanger Diskussion kommen in Deutschland angesichts des Ukraine-Kriegs Überlegungen zum Bau von Import-Terminals für verflüssigtes Erdgas (LNG) voran. Sie sollen die Abhängigkeit von russischem Erdgas verringern. Die Bundesregierung unterstützt zwei Projekte - in Wilhelmshaven an der Nordsee und in Brunsbüttel bei Hamburg. Die Anlagen sollen nach dem Willen von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im "Tesla Tempo" errichtet werden. Tesla-Chef Elon Musk hat mit dem Bau der Giga Factory für Elektroautos in Grünheide bei Berlin binnen zwei Jahren neue Massstäbe gesetzt. Branchenexperten sind wegen der bürokratischen Hürden und der Beteiligung von Umweltverbänden am Genehmigungsverfahren allerdings skeptisch, dass dies auch bei LNG-Terminals möglich ist.
"Der Zeitrahmen wird sehr schwer einzuhalten sein", sagt der Energieexperte des Beratungsunternehmens GLJ, Greg Owen. Die Genehmigungsverfahren müssten deutlich beschleunigt werden. Wahrscheinlich seien Förderzusagen und Garantien nötig, damit die Unternehmen überhaupt eine Investitionsentscheidung treffen könnten. Der Bau einer einfachen Anlage dauere zwei bis drei Jahre - nach einer Investitionsentscheidung, grössere Anlagen mindestens fünf Jahre.
Das Projekt in Brunsbüttel unterstützen die staatliche Förderbank KfW, der Essener Energieriese RWE und der niederländische Versorger Gasunie. Für Wilhelmshaven macht sich der Düsseldorfer Kraftwerksbetreiber Uniper stark. Eine Sprecherin der Gesellschaft German LNG Terminal, die das Projekt in Brunsbüttel vorantreibt, wollte sich nicht dazu äussern, wann eine Investitionsentscheidung getroffen werden soll. Darüber hinaus gibt es noch ein drittes Projekt in Stade westlich von Hamburg, das bislang ohne Unterstützung der Bundesregierung läuft. Hier haben sich der belgische Netzbetreiber Fluxys und der Chemiekonzern Dow mit dem Schweizer Finanzinvestor Partners Group sowie dem Hamburger Hafen- und Schiffahrtslogistiker Buss Group zusammengetan.
Konkurrenz bei der Beschaffung von LNG ist gross
Der Weg Deutschlands aus der Abhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen wird lang, sagen Experten. Der Ökonom der Deutschen Bank, Eric Heymann, schätzt, dass der Bau der ersten beiden LNG-Terminals mindestens drei Jahre dauern wird. Christoph Merkel vom Beratungsunternehmen Merkel Energy verweist darauf, dass Polen fast zehn Jahre gebraucht hat, um einen Plan zu erarbeiten, wie das Land bis 2023 ohne russisches Gas auskommen kann. Hierfür verdoppelt Polen fast die Kapazität seines LNG-Terminals. Hinzu kommen eine Pipeline, durch die Gas aus Norwegen importiert werden kann, sowie Leitungen nach Litauen und in die Slowakei.
Die Bundesregierung will das Tempo mit Spezialschiffen erhöhen, die als schwimmende LNG-Terminals fungieren sollen. RWE und Uniper sollen Regierungskreisen zufolge insgesamt drei Schiffe betreiben. Ein viertes könnte hinzukommen. Bundesfinanzminister Christian Lindner hat knapp drei Milliarden Euro für die Anmietung von vier Flüssiggasterminals freigegeben. Der Betrieb könnte dem Bundeswirtschaftsministerium zufolge teilweise bereits im kommenden Winter aufgenommen werden. Wo das ganze Flüssiggas herkommen soll, ist allerdings noch nicht geklärt. Für kurzfristige LNG-Lieferungen hat die Bundesregierung 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Zudem laufen Verhandlungen mit Katar - dem weltgrössten LNG-Produzenten. Die Konkurrenz insbesondere aus Asien ist gross. So hat China im vergangenen Jahr rund 110 Milliarden Kubikmeter LNG importiert. Zum Vergleich: Der Gasverbrauch Deutschlands liegt bei jährlich rund 100 Milliarden Kubikmeter.
(Reuters)