cash: Herr Pieth, kommen Sie sich am WEF als Strafrechtsprofessor und Korruptionsbekämpfer nicht manchmal als Exot vor?
Mark Pieth: Am Anfang, vor über zehn Jahren, kam ich mir vor wie ein Clown. Wir, das heisst Paci (Anm. der Red.: Pieth ist Mitgründer der 'Partnering Against Corruption Initiative' des WEF), waren lange unsicher, ob unsere Tätigkeit wirklich relevant ist für die Businesswelt. Mit der Zeit bekamen wir aber das Gefühl, dass wir Einfluss haben. Das hängt damit zusammen, dass die Bussen mittlerweile enorm hoch sind, wenn man einen Blödsinn macht, vor allem in den USA. Aber auch damit, dass ich zum Experten für Schiedsgerichtsbarkeitsfällen geworden bin. Das geht es teilweise um wahnsinnig hohe Summen.
Laut WEF-Teilnehmerliste sind die Top-Manager aller grossen Rohstofffirmen der Schweiz in Davos. Sie halten sich aber im Hintergrund. Was machen diese Leute hier?
Das kann ich Ihnen relativ leicht erklären. Jeder Chef dieser Rohstofffirmen sitzt hier in einem Hotel und führt jede Viertelstunde ein anderes Gespräch. Früher habe ich das bei den Ölfirmen selber gemacht. Die habe ich einfach abgeklappert. In der Rüstungsindustrie war auch einmal ein schwieriger Fall, nämlich British Aerospace mit ihrem Korruptionsfall in Saudi-Arabien. Wir haben in diesem Gespräch sozusagen Frieden geschlossen. Der Deal war: Ich wurde weniger 'scharf', und British Aerospace musste dafür sorgen, dass England ein neues Gesetz erhält. Also einerseits erwischt man diese Leute in Davos in einem entspannteren Umfeld. Andererseits sind die Leute ganz klar hier, um Geschäfte zu machen.
Glencore, Trafigura, Vitol und so weiter: Die sechs grössten Unternehmen der Schweiz gemessen am Umsatz sind Rohstofffirmen, erst auf Platz sieben folgt Nestlé. Weshalb wächst dieser Sektor so stark?
Diese Entwicklung war zu erwarten. Die Schweiz war früher ein Produktionsstandort und stark im Finanzdienstleistungsbereich. Die Maschinenindustrie zum Beispiel wandert inzwischen aber ab. Der Standort Schweiz wird immer mehr in die Spezialistenecke gedrängt. Da gehört der Rohstoffhandel dazu.
Welche Rolle spielen die typischen Schweizer Standortvorteile?
Vor nicht allzu langer Zeit haben mir Firmenverantwortliche gesagt, sie seien nur wegen der Steuern in der Schweiz. Und der bekannte Rohstoffhändler Marc Rich sagte unumwunden: Wenn Ihr mich unter das Geldwäschereigesetz stellt, dann gehe ich. Das weiss ich, weil ich damals in einer Kommission des Finanzdepartementes sass. Aber die Firmen haben heute gemerkt, dass sie etwas unternehmen müssen. Dazu gehört ein gewisser Prozess der Öffnung in letzter Zeit.
In seinen Berichten zu Rohstoffen und Gold setzt der Bundesrat auf Selbstregulierung der Branche statt auf neue Gesetze. Auch das Parlament will es so. Klappt Selbstregulierung?
Da habe ich Bedenken. Ich sage dies mit meiner 25-jährigen Erfahrung bei der Korruptionsbekämpfung und im Gebiet der Geldwäscherei. Selbstregulierung ist okay, aber wir müssen klare Leitplanken setzen wie zum Beispiel in der Europäischen Union. Sie hat die relativ weichen Vorgaben der OECD für verbindlich erklärt. 2021 tritt dies in Kraft. Wie verhalten sich dann zum Beispiel die Schweizer Goldraffinerien, wenn sie mit der EU in Kontakt treten? Dann müssen sie EU-Regeln anwenden. Die Schweiz importiert ja etwa 70 Prozent der Weltgoldproduktion. Im Goldbericht wird die Schweizer Rechtslage übrigens mit Südafrika, den Vereinigten Emiraten und Indien gleichgesetzt. Das ist aber die 'Schmutzkonkurrenz'. Die Schweiz ist auf einer anderen Ebene, vor allem bezüglich Menschenrechte.
Das Problem vor allem für Schweizer Goldraffinerien ist die Herkunft des Rohstoffes. Unternehmen die Firmen da genügend Anstrengungen?
Sie geben sich Mühe - auf dem Papier. Sie wissen nicht wirklich, woher ihr Gold stammt. Sie kennen den Lieferanten, also eine Exportfirma aus Peru zum Beispiel, aber nicht die ganze Lieferkette dahinter. Ich wollte die Herkunft des Goldes im letzten Sommer persönlich in Erfahrung bringen. Das ist aschfahl.
Erzählen Sie.
Eine Schweizer Raffinerie bezieht all ihr Gold aus der Gegend des Titicacasees in Peru. Ich fuhr dorthin und sah auf 5500 Metern Höhe in Gletschernähe einen Slum mit 60’000 Minenarbeitern und 4000 Zwangsprostituierten. Die ganze Goldgewinnung dort ist illegal. Die Mineure arbeiten 28 Tage lang ohne Lohn, damit verschaffen sie sich aber Zugang zur Mine. Dann dürfen sie zwei oder drei Tage auf eigene Rechnung Gold schürfen. Das ist das Prinzip der alten Inkas. So kann man 400 Dollar oder mehr pro Monat verdienen. Es hat auch bloss 20 Polizisten dort. Das ist deshalb so wenig, weil sie nur 200 Dollar verdienen. Die Polizisten werden sofort zu Minenarbeitern, wenn sie ankommen.
Das tönt nicht ungefährlich. Wie haben Sie sich Zugang zu diesem Ort verschafft?
Ich habe eine Journalistin aus Lima gebeten, mich zu begleiten. Sie kennt sich im Goldbereich aus und kennt auch Mineure persönlich. Wir wurden dann von Pfarrer zu Pfarrer weitergereicht, bis wir bei einem bekannten Ingenieur der Mine landeten. Wir kamen quasi mit dem Schutz der katholischen Kirche dorthin.
Sind Anlagen in Rohstoffe unmoralisch?
Ich denke nicht. Es gibt grosse Unterschiede. Der Staatsfonds aus Norwegen, der durch die Erdöleinnahmen des Landes gespiesen wird, schaut bei seinen Investitionen genau hin. Wenn man aber Investitionen im Kongo tätigt, ist das Risiko relativ gross, dass die Anlagen mit dem Bürgerkrieg in Zusammenhang stehen.
cash-Chefredaktor Daniel Hügli im Gespräch mit Mark Pieth.
Und aus Sicht des Privatanlegers?
Man muss wirklich genau hinschauen. Anlagen in Kakao klingen relativ harmlos. Aber in diesem Bereich gibt es relativ viel Kinderarbeit. Bei Kaffee sieht es besser aus. So ist das organisierte Verbrechen in Kolumbien nicht stark verbreitet im Kaffeesektor. Bei Getreide oder Reis besteht die Gefahr, dass man möglicherweise an Preissteigerungen teilnimmt.
Einige Unternehmen, etwa die Zürcher Kantonalbank, bieten ihren Kunden 'Fair Gold' oder 'Clean Gold' an. Hält das Versprechen?
Ich habe mir solche Orte in Peru, wo Gold unter besseren Bedingungen geschürft und verarbeitet wird, bei meinem Besuch im Sommer ebenfalls angeschaut. Auch bei diesen bestens zertifizierten Produkten besteht keine Garantie, dass bei der Verarbeitung kein Quecksilber oder Zyanid verwendet wird. Das sind hochgiftige Stoffe. Immerhin wird Kinderarbeit ausgeschlossen, und sie sind arbeitsrechtlich gut aufgestellt.
Wir leben in Zeiten, die von weniger Toleranz gegenüber Kritikern geprägt ist. Wurden Sie jemals unter Druck gesetzt oder mit moderneren Mitteln angegriffen, etwa mit Cyberattacken?
Als ich bei der OECD arbeitete, war ich relativ forsch sowohl mit Ländern wie mit Firmen. Da wurden mir mehrere Male Ehrverletzungsklagen angedroht. Bei meiner Arbeit bei 'Oil for Food' in New York wechselten wir wegen möglicher Verwanzung alle zwei Wochen die Deckenplatten unseres Büros aus und schraubten die Telefone auseinander. Wir liessen auch einen Geheimdienst zur Beratung kommen. Im persönlichen Bereich musste ich sicherstellen, dass keine Abhörgefahr besteht und dass niemand in mein Büro gelangte. Dann konnte es schon passieren, dass mein Büro über ein Jahr lang nicht gereinigt wurde (lacht).
Mark Pieth (65) ist seit 1993 Ordinarius für Strafrecht, Strafprozessrecht und Kriminologie an der Universität Basel und Ehrendoktor der Sussex University in England. Er ist Gründer und Präsident des 'Basel Institute on Governance' war von 1990 bis 2013 Präsident der OECD-Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der Korruption im internationalen Geschäftsverkehr. Von 2011 bis 2013 war Pieth zudem Vorsitzender der unabhängigen Kommission für Governance bei der FIFA. Von diesem Posten trat er unter Protest zurück.