"Für den Rentenmarkt ist dies das schlechteste Jahr der Geschichte", sagt Anlagestratege Lawrence Gillum vom Vermögensverwalter LPL. "Wenn das kein Bärenmarkt ist, dann weiss ich auch nicht."
Dieser Begriff steht an der Börse für einen Kursrückgang um mindestens 20 Prozent im Vergleich zum vorangegangenen Hoch. Am Aktienmarkt sind derartige Rücksetzer keine Seltenheit, bei Bonds dagegen weitgehend unbekannt. Zwischen 1990 und 2021 waren Schuldtitel - unter anderem wegen der billionenschweren Ankauf-Programme der Notenbanken - so heiss begehrt, dass sie Anlegern einen Gewinn von zusammengerechnet fast 470 Prozent bescherten.
Verkaufswellen am Bondmarkt treiben Renditen
Mit der Rückkehr der Inflation und den Zinserhöhungen der Notenbank ist nun Schluss damit: Investoren werfen bereits gehandelte, niedriger verzinste Papiere in hohem Bogen aus ihren Depots. Der Index für US-Staatsanleihen der Bank of America verlor seit Anfang 2022 bereits etwa elf Prozent und steuert auf das schwärzeste Jahr seiner Geschichte zu. Ausserhalb der USA sieht es nicht besser aus. Der Bloomberg Welt-Bond-Index rutschte im Vergleich zu seinem jüngsten Hoch um etwa 20 Prozent ab und steht erstmals an der Schwelle zu einem Bärenmarkt.
Im Gegenzug ziehen die Renditen kräftig an. Die zehnjährigen US-Bonds rentierten Mitte Juni mit fast 3,5 Prozent so hoch wie zuletzt vor elf Jahren. Ihre deutschen Pendants markierten mit knapp zwei Prozent ein Achteinhalb-Jahres-Hoch.
Notenbanken nehmen Kampf gegen die Inflation auf
Vor allem die US-Notenbank fährt einen harten Kurs im Kampf gegen die Inflation. Sie wird den Leitzins nach Einschätzung von Börsianern Ende September zum dritten Mal in Folge um 0,75 Prozentpunkte anheben. Gleichzeitig hat Fed-Chef Jerome Powell unlängst Hoffnungen auf ein langsameres Zinserhöhungstempo in den kommenden Monaten zunichte gemacht.
Angesichts einer Rekord-Inflation in der Euro-Zone gilt eine vergleichbare XXL-Zinserhöhung bei der nahenden Ratssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) als sicher. Bis zum Jahresende werde sie zwei weitere Schritte um jeweils einen halben Prozentpunkt folgen lassen, prognostiziert Volkswirt George Buckley von der Investmentbank Nomura.
Wann ebbt die Verkaufswelle ab?
Vor diesem Hintergrund wetten Investoren in grossem Stil auf einen weiteren Kursverfall der Anleihen. Daten der US-Derivateaufsicht CFTC zufolge ist das Volumen derartiger Geschäfte seit Ende Juli um 30 Prozent gestiegen.
Das Ende der Fahnenstange sei noch nicht erreicht, warnt Simeon Hyman, Chef-Anlagestratege des Fondsanbieters ProShares. Schliesslich stehe die Fed beim sogenannten "Quantitative Tightening" erst am Anfang. Darunter verstehen Experten den Abbau von Wertpapier-Beständen durch eine Notenbank, der im Fall der Fed derzeit ein Volumen von 95 Milliarden Dollar monatlich erreicht. Hyman hält eine Verdoppelung dieser Summe für möglich.
Gene Tannuzzo, Anleihe-Chef des Vermögensverwalters Columbia Threadneedle, sieht dagegen ein Ende des US-Zinserhöhungszyklus nahen. Die Abkühlung des Immobilienmarktes und ein schwächelnder Autoabsatz deuteten darauf hin, dass die bisherige Straffung der Geldpolitik Wirkung zeige. Auch Anders Persson, Chef-Anleger des Vermögensverwalters Nuveen, rechnet mit bald wieder anziehenden Bond-Kursen. Die anstehenden Zinserhöhungen spiegelten sich angemessen in den aktuellen Preisen wider.
(Reuters)