Weltweit ist die Inflation auf dem Vormarsch und zwingt Währungshüter dazu, sich von einer jahrelangen lockeren Geldpolitik zu verabschieden. Seit Juli 2021 haben laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) bereits 75 Notenbanken ihre Leitzinsen erhöht. Im Schnitt haben sie dabei mehr als drei Mal ihre Zinsschrauben angezogen - zum Teil sehr aggressiv. Die US-Notenbank Federal Reserve erhöhte im Juni ihre Leitzinsen um 0,75 Prozent, der grösste Zinsschritt seit 1994. Angesichts des noch immer nicht abebbenden Preisauftriebs wird sogar ein noch grösserer Schritt an den Märkten nicht ausgeschlossen. Doch bei der EZB steht die Zinswende immer noch aus - erst nächste Woche soll es zu einer ersten zaghaften Erhöhung kommen - die erste seit 2011.
Warum ist die EZB so zögerlich?
Die EZB sieht sich mit einer sehr schwierigen konjunkturellen Gemengelage konfrontiert. Einerseits ist die Inflation im Euro-Raum inzwischen auf 8,6 Prozent nach oben geschnellt - und es sieht derzeit nicht danach aus, dass der Inflationsschub abebbt. Das zwingt die EZB zum Handeln, denn ihr Mandat ist Preisstabilität. Und stabile Preise sieht sie bei einer Rate von mittelfristig zwei Prozent als gesichert an. Aktuell liegt die Inflation somit mehr als vier mal so hoch wie ihr Ziel. Auf der anderen Seite schwächt sich angetrieben durch die hohe Inflation und die Folgen des Ukraine-Kriegs das Wachstum im Euro-Raum spürbar ab. Sollte es zu einem Gaslieferstopp aus Russland kommen, rechnet EZB-Vizepräsident Luis de Guindos sogar mit einer Rezession in Deutschland und in der Euro-Zone.
Die EZB steht daher vor der schwierigen Gratwanderung, die Inflation wirksam einzudämmen, ohne aber gleichzeitig die Konjunktur im Euro-Raum abzuwürgen. "Die restriktivere Geldpolitik kommt eigentlich zur Unzeit, denn wenn sich die Wirtschaft abschwächt, müssten die Notenbanken unter konjunkturellen Gesichtspunkten die Zinsen eigentlich senken und nicht erhöhen", schreiben die Experten des Bankhauses M.M.Warburg.
Wie plant die EZB die Zinswende?
Die EZB-Währungshüter haben bereits ihre billionenschweren Nettokäufe von Staatsanleihen eingestellt - ein zentrales Element ihrer Krisenpolitik während der Corona-Krise und in den Jahren zuvor. Aktuell werden nur noch ablaufende Anleihen im Bestand wieder ersetzt. Für die Zinssitzung am 21. Juli hat die EZB in Aussicht gestellt, alle drei Schlüsselzinsen - den Leitzins, den Einlagensatz und den Spitzenrefinanzierungssatz - um jeweils 0,25 Prozentpunkte anzuheben. Im September will sie die Zinsen erneut anheben und - wenn die Inflationsdaten zwischenzeitlich anhaltend hoch ausfallen - womöglich noch kräftiger. Nach dem September plant sie die Zinsen weiter schrittweise, aber nachhaltig zu erhöhen. Negativzinsen sollen EZB-Präsidentin Christine Lagarde zufolge wahrscheinlich bis Ende September abgeschafft sein.
Warum ist der Euro das Sorgenkind?
Kopfschmerzen bereitet der EZB bei ihrem komplizierten geldpolitischen Wendemanöver der Kursrutsch des Euro. Die Gemeinschaftswährung war zuletzt auf ein 20-Jahrestief gesunken. Zeitweise fiel der Kurs sogar unter die Parität zum Dollar. Die EZB verfolgt zwar kein Wechselkursziel. Doch mit dem Kursrutsch des Euro verteuern sich die Importe, wie etwa von Energie und vielen Rohstoffen, die vielfach in Dollar abgerechnet werden. Dies schiebt die ohnehin schon massive Inflation weiter an. "Angesichts des drohenden Rezessionsrisikos könnten der EZB die Hände gebunden sein, um mit aggressiveren Zinserhöhungen zur Verteidigung des Euro zu drohen", meinen die Experten des Bankhauses ING.
Welche Rolle spielt Italien?
Die angekündigte Zinswende und Beendigung der Anleihenkäufe hat bereits dazu geführt, dass die Staatsanleiherenditen deutlich gestiegen sind. Zeitweise war der Renditeabstand (Spread) zwischen den Staatsanleihen Deutschlands und denen höher verschuldeter südlicher Euro-Länder, insbesondere Italiens, auf den höchsten Stand seit über zwei Jahren geklettert. Dies bedeutet steigende Finanzierungskosten für diese Länder. Der EZB-Rat kam deswegen sogar im Juni zu einer Sondersitzung zusammen. Im Hintergrund lauert die Angst vor einer neuen Euro-Schuldenkrise.
Auch aus diesem Grund ist der Kurswechsel der EZB ein heikles Unterfangen. "Viele Marktteilnehmer befürchten, dass die Staatsverschuldung Italiens bei höheren EZB-Leitzinsen ausser Kontrolle gerät", meint etwa Christian Kopf, Leiter Rentenfondsmanagement bei Union Investment. Die EZB sieht insbesondere die Gefahr, dass durch exzessive Renditeausschläge die Übertragung ihrer geldpolitischen Schritte - sie nennt das "Transmission" - nicht mehr überall im Euro-Raum ankommt.
Welches neues Instrument hat die EZB?
Um ein Auseinanderdriften der Euro-Zone inmitten steigender Leitzinsen zu verhindern will die EZB gegensteuern. Zum einen will sie die Reinvestition der Gelder aus fällig werdenden Anleihen aus ihrem Corona-Krisenprogramm PEPP flexibel nutzen, um gegen unerwünschte Renditeausschläge vorzugehen. Zudem plant sie ein neues Instrument, um gezielt Anleihen stark verschuldeter Euro-Länder aufzukaufen. "Wir vermuten, dass die EZB auf ein Programm setzen wird, bei dem an den Märkten keine Zweifel am Einsatzwillen aufkommen und das deswegen als Backstop eingesetzt werden kann, der tatsächlich nicht oder nur selten eingesetzt wird", meint etwa Commerzbank-Ökonom Michael Schubert Das neue Instrument wirft allerdings viele rechtliche Fragen auf. Denn die EZB muss vermeiden, dass sie mit den Käufen ihr Mandat überschreitet.
(Reuters)