EZB-Präsidentin Christine Lagarde verwies am Mittwoch in einer Videoschalte auf einer Finanzkonferenz auf eine laufende Debatte unter Währungshütern. Dabei stelle sich die Frage, ob Zentralbanken sich verpflichten sollten, nach längeren Zeiten mit zu niedriger Inflation danach entsprechend auch einen höheren Preisdruck zu tolerieren. Falls ein solches Konzept "glaubwürdig" umgesetzt werde, könnte die Wirtschaft in einer Phase ultra-niedriger Zinsen besser stabilisiert werden.
"Zeit um zuzuhören und nachzudenken"
Lagarde betonte, ein solches Vorgehen sei eine Prüfung wert. Sie werde jedoch den Ergebnissen des laufenden Strategiechecks nicht vorgreifen: "Jetzt ist die Zeit um zuzuhören und nachzudenken." Die US-Notenbank Fed hatte nach ihrem jüngsten Strategieschwenk in Aussicht gestellt, die Zinsen so lange nahe Null zu halten, bis die Inflation auf dem Weg sei, "für einige Zeit" das Ziel von zwei Prozent Teuerung "moderat zu übertreffen".
Das vorrangige Ziel der EZB ist es, Preisstabilität zu gewährleisten. Im Mittelpunkt steht dabei das Inflationsziel der Währungshüter von knapp unter zwei Prozent, das sie inzwischen seit Jahren verfehlt. Laut dem französischen Notenbankchef Francois Villeroy de Galhau kann das EZB-Ziel mittelfristig jedoch ähnliche Ergebnisse erbringen wie das neue Konzept der US-Notenbank. Falls es glaubwürdig umgesetzt werde, wirke es ähnlich wie eine Inflationssteuerung nach der im Fachjargon als 'Average Inflation Targeting" bekannten Strategie, sagte er auf der Finanzkonferenz. Er betonte das EZB-Ziel sei "symmetrisch" - also keine Obergrenze. Symmetrie bedeutet aus seiner Sicht, dass die Euro-Notenbank es für einige Zeit zulassen könnte, wenn die Inflationsrate etwas über dem Ziel liegt. Bei früherer Gelegenheit hatte er vorgeschlagen, die Formulierung des Inflationsziels unter die Lupe zu nehmen.
Strategiecheck erst 2021 abgeschlossen
Während das neue Konzept der Fed steht, dürfte die EZB erst im zweiten Halbjahr 2021 soweit sein. Neben dem Inflationsziel sollen auch Themen wie der Klimawandel bei der Überprüfung eine wichtige Rolle spielen. Am 21. Oktober sollen Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen auf Einladung Gelegenheit erhalten, ihre Ansichten zur Geldpolitik vorzubringen. Auch die Beiträge aus der von dem Wirtschaftsweisen Volker Wieland organisierten "The ECB and Its Watchers"-Konferenz vom Mittwoch werden in die Strategieüberprüfung einfliessen, die wegen der Corona-Krise dem ursprünglichen Zeitplan hinterherhinkt.
Bundesbankpräsident Jens Weidmann mahnte auf der Konferenz, das Mandat der EZB nicht zu weitgehend auszulegen: "Umso weitgehender wir unser Mandat interpretieren, desto grösser ist das Risiko, dass wir in die Politik hineingezogen werden und uns mit zu vielen Aufgaben überlasten." Zugleich verwies er mit Blick auf die Strategieüberprüfung darauf, dass die EZB nicht wie die Fed ein doppeltes Mandat aus Preisstabilität und Vollbeschäftigung habe: Deshalb könnten die Fed-Entscheidungen nicht "einfach" auf den Euroraum übertragen werden: "Doch sie könnten unsere eigenen Überlegungen bereichern."
(Reuters)