Die Euro-Notenbank deutete nach ihrer Zinssitzung am Donnerstag auch die Möglichkeit noch tieferer Schlüsselzinsen an. Bislang sollten sie bis zur Jahresmitte 2020 stabil bleiben. Die erhoffte Erholung der Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte 2019 sei nun aber weniger wahrscheinlich, sagte Draghi in Frankfurt. "Der Ausblick wird schlechter und schlechter." Erneute Anleihenkäufe werden ebenso geprüft wie ein System, um die Folgen der Strafzinsen für Banken abzumildern. Diese könnten trotzdem weiter ins Minus gedrückt werden.

Ein Ende der jahrelangen Krisenpolitik, wie sie vor allem in Deutschland gefordert wird, ist damit nicht absehbar. Draghi wird voraussichtlich der erste EZB-Präsident werden, unter dessen Führung die Europäische Zentralbank kein einziges mal die Zinsen angehoben hat. Er ist noch bis Ende Oktober im Amt. "Mario Draghi legt die Zündschnur für ein geldpolitisches Feuerwerk im September", sagt Thomas Gitzel, Chefökonom der Liechtensteiner VP Bank.

«Falsche Medizin»

Kritik kam von den deutschen Banken. Iris Bethge, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes Öffentlicher Banken, sprach von der falschen Medizin, die nun auch noch länger verabreicht werde. Die EZB müsse bei einer Zinssenkung Banken durch Freibeträge entlasten, forderte Kai Wohlfahrt vom Bundesverband der Deutschen Volks- und Raiffeisenbanken. Schon seit 2014 müssen Kreditinstitute Strafzinsen zahlen, wenn sie überschüssiges Kapital bei der EZB parken. Aktuell liegt der sogenannte Einlagensatz bei minus 0,4 Prozent.

Anleger an der Börse hatten von Draghi ein noch klareres Signal für neue Geldspritzen erhofft. Der deutsche Leitindex DAX büsste zeitweise 1,8 Prozent auf 12'299 Punkte ein. Der Euro entfernte sich von seinem Zwei-Jahre-Tief bei 1,1100 Dollar und kostete 1,1179 Dollar. Investoren hätten auf Hinweise gehofft, dass die Massnahmen quasi bereits beschlossene Sache seien, so Commerzbank-Analystin Esther Reichelt. "Jetzt bleibt ein Restrisiko."

Veraltetes Inflationsziel?

Die EZB erklärte, sie stehe bereit, ihre Instrumente anzupassen, um das Inflationsziel von knapp 2 Prozent zu erreichen. Dieses verfehlt sie seit Jahren. Auch längerfristig werde nur eine Teuerung von 1,6 Prozent erwartet, sagte Draghi. Er sprach davon, dass die EZB entschlossen sei, beim Inflationsziel kein grösseres Abweichen nach oben oder unten zu tolerieren. Dies werteten Experten als Hinweis, dass baldige Massnahmen bevorstehen, zumal die entsprechenden Ausschüsse mit der Prüfung explizit beauftragt wurden.

Die EZB hat in den vergangenen Jahren schon Wertpapiere im Volumen von 2,6 Billionen Euro gekauft, um für eine höhere Inflation zu sorgen. Trotzdem lag diese im Juni nur bei 1,3 Prozent. Draghi sagte, es sei diskutiert worden, ob die EZB sich ein anderes Inflationsziel setzen sollte. Manche Experten halten dies für veraltet, weil vor allem die Internetbranche dafür sorgt, dass viele Produkte günstiger sind als in früheren Zeiten.

Die EZB treibt auch um, dass die Handelskonflikte die Stimmung in der Wirtschaft weiter eintrüben und die Konjunktur bremsen. Zudem sind viele Konzerne wegen der Brexit-Hängepartie verunsichert. In Deutschland ist die Stimmung in der Wirtschaft gerade auf den niedrigsten Stand seit mehr als sechs Jahren gefallen.

In den USA stehen die Zeichen ebenfalls auf Zinssenkung. Auch dort lastet der von US-Präsident Donald Trump angefachte Handelsstreit mittlerweile auf den konjunkturellen Aussichten. Noch voriges Jahr hatte die Notenbank Fed im Zuge der brummenden Wirtschaft vier Mal die Zinsen angehoben, bevor sie eine Pause einlegte. Ökonomen gehen davon aus, dass die US-Währungshüter Ende Juli den Leitzins um 0,25 Punkte senken. Aktuell liegt er in einer Spanne von 2,25 bis 2,5 Prozent.

Draghi will nicht IWF-Chef werden

Draghi machte zudem deutlich, dass er nicht Chef des Internationalen Währungsfonds werden will. "Ich stehe nicht zur Verfügung." Damit dürfte er in Washington nicht Nachfolger seiner eigenen Nachfolgerin bei der EZB werden - der IWF-Chefin Christine Lagarde. Diese hält er für eine hervorragende Wahl: "Sie wird eine ausgezeichnete EZB-Präsidentin sein." Er kenne sie schon sehr lange - "vielleicht länger als sie und ich uns eingestehen wollen". Lagarde habe einen kollegialen Stil, nutze auch Eingaben ihres Stabes und diskutiere mit dem IWF-Personal. Sie übernimmt im November das Ruder bei der EZB.

Die EZB hatte zuvor offiziell erklärt, dass sie keine Einwände gegen die Ernennung hat. Experten erwarten, dass die ehemalige französische Finanzministerin die lockere Geldpolitik zunächst fortsetzen wird.

(Reuters)