Eröffnung eines Familienkontos bei einer Schweizer Grossbank im Jahr 2018: Mehr als eine Stunde dauert der Besuch in der Filiale. Eine Online-Kontoeröffnung sei bei diesem Produkt nicht möglich, wird zuvor mitgeteilt. Stattdessen erhält der Kunde vor Ort Unterlagen zu weiteren Angeboten ausgehändigt: Jugendsparkonto, Säule 3a-Produkte, usw.. Sachen, die er nicht will und auch nicht benötigt.
Dieses Vorgehen passt so gar nicht zum digitalen Selbstbild, das sich die Banken heutzutage gerne auf die Fahne schreiben. "Einfach, schnell, praktisch und papierlos", beschreibt zum Beispiel die Credit Suisse ihre Online-Kontoeröffnung. Auch UBS, Raiffeisen und Postfinance bewerben ihr "digital Onboarding" offensiv.
Die Kontoeröffnung ist nur eine Digital-Front, welche die Schweizer Banken bewirtschaften. Vieles tut sich derzeit auch in den Bereichen Anlageberatung, Hypothekenvermittlung oder bei der Effizienzsteigerung interner Prozesse. Doch es ist so eine Sache: Nicht überall, wo Digitalisierung drauf steht, ist auch Digitalisierung drin. Das hat mit Kosten, Können und Kunden zu tun.
Träge Kunden
Einerseits gelten Schweizerinnen und Schweizer als träge, wenn es ums Thema Geld geht. Neue Produkte werden eher zurückhaltend genutzt, der Hausbank wird jahrzehntelang die Treue gehalten.
Ein Beispiel sind die digitalen Vermögensverwalter, sogenannte Robo Advisor, wo ein grosser Teil der Arbeit mit Hilfe von Algorithmen erledigt wird. Die führenden Schweizer Anbieter True Wealth und Swissquote verwalten trotz deutlich tieferer Kosten lediglich 100 respektive 200 Millionen Franken (per Ende 2017). Das ist noch keine ernsthafte Konkurrenz für die etablierten Vermögensverwalter.
Der Schweizer Kunde verzichtet offenbar auch nicht freiwillig auf Papier, wie ein Beispiel der UBS zeigt. Im vergangenen Jahr stieg der Papier-Output der UBS um 6 Prozent. So verschickte die Grossbank zum Beispiel 14,4 Millionen Kontoauszüge oder 1,2 Millionen Vermögensausweise. Insgesamt entsprach die Menge an Papier etwa 12'600 Bäumen, wie der Bankenprofessor Andreas Dietrich von der Hochschule Luzern in einem Blogeintrag schreibt.
Der digitale Kunde möchte weiterhin nicht auf Papier verzichten, wie das Beispiel von @UBSschweiz zeigt #ifzbanking pic.twitter.com/WDlUJ1yd2j
— Thomas Lauber (@lauberthomas) June 21, 2018
Die UBS schreibt auf Anfrage, der gestiegene Papierverbrauch sei auf das Netto-Kundenwachstum, die zunehmende Regulierung und die gestiegene Kundenaktivität zurückzuführen. Um den Verbrauch in Zukunft zu begrenzen, erhöht die UBS per Ende Juni teilweise die Preise für die papierbasierte Zustellung von Bankdokumenten.
Bluffende Banken
Die gute Nachricht für Schweizer Banken ist jedoch: Grundsätzlich wird ihnen im internationalen Vergleich ein gutes Digital-Zeugnis ausgestellt, im Vergleich zu Deutschland gelten sie gar als führend. Doch Tim Dührkoop, Partner beim Digital-Beratungsunternehmen Namics, sagt: "Gegenüber internationalen Vorreitern wie der slowakischen Tatra Bank, der australischen Westpac oder der britischen Smartphone-Bank Revolut besteht aber nach wie vor Luft nach oben."
Auffällig sei, dass bei vielen Schweizer Banken noch eine "Scheindigitalisierung" vorherrsche, so Dührkoop. Das heisst, sie investieren viel Geld und Energie in eine schöne digitale Fassade. Im Hintergrund läuft aber nach wie vor vieles analog ab. Das kann verschiedene Gründe haben. Entweder ist die Technik nicht ausgereift. Diese auf den neusten Stand zu bringen, ist für eine Bank sehr komplex und dementsprechend teuer.
Der zweite mögliche Grund: Bestimmte Prozesse sollen gar nicht vollständig digitalisiert werden. Zum Beispiel, weil die Banken im Verkauf ein Anreizsystem verfolgen, das auf persönlichen Kontakt setzt. Das Ziel ist es, den Kunden in eine Filiale zu bringen oder zumindest ans Telefon zu kriegen. Nur so können die Kundenbeziehung intensiviert und zusätzliche Produkte direkt beworben werden, was aus Bankensicht absolut Sinn macht.
Findige Fintechs
"Das ist im heutigen Zeitalter aber die falsche Strategie, denn die Kunden wollen vermehrt eine möglichst digitale Bankbeziehung", sagt Tim Dührkoop dazu, der schon mehrere Banken bei Digitalisierungs-Projekten unterstützt hat. Schweizer Banken nehmen die Kundenbedürfnisse auch durchaus ernst, wie eine Studie von GFT Technologies zeigt. Dabei wurden Vertreter von 30 verschiedenen Banken zu ihrer Digital-Strategie befragt.
Das Resultat: Als wichtigsten Treiber ihrer digitalen Transformation bezeichnen die hiesigen Finanzinstitute die Reduzierung der Kosten, gefolgt von der Erfüllung der Kundenerwartung. Als drittwichtigstes Kriterium wurde die Umsatzsteigerung mit neuen Produkten angegeben.
Niemand erwartet, dass die grossen Schweizer Banken demnächst verschwinden werden. Aber junge Technologie-Unternehmen erhöhen laufend den Druck auf die etablierten Player, indem sie den digitalisierten Kunden konsequent ins Zentrum ihrer Produkte stellen. Vernachlässigen die Banken das Kundenerlebnis, spielen sie den Fintechs in die Karten – angefangen beim umständlichen Gang in die Filiale und der aufdringlichen Verkaufstaktik.