Damals rieben sich viele Leute verwundert die Augen: Thomas Flury, langjähriger Devisenspezialist bei der UBS, überraschte die Märkte im April mit einer gewagten Prognose: Der Franken werde sich auf Sicht von zwölf Monaten gegen den Euro auf ein Niveau von 1,16 abschwächen. Flury machte die Vorhersage zu einer Zeit, als das Währungspaar schon während Monaten auf einem Niveau zwischen 1,06 und 1,08 dümpelte und kaum etwas für eine Euro-Aufwertung sprach.
Wie wenig "Credit" Flury damals genoss, zeigte auch eine Umfrage von cash.ch Ende April zu diesem Thema. Lediglich 22 Prozent von knapp 5000 Umfrage-Teilnehmenden glaubten an eine Frankenabschwächung bis 1,16. 78 Prozent sahen den künftigen Franken gar stärker. Wie wir wissen, kam es (bis heute) anders. Der Euro erstarkte vor allem Ende Juli/Anfang August deutlich und erreichte letzte Woche mit 1,1625 den höchsten Stand seit dem Ende der 1,20-Kursuntergrenze im Januar 2015.
Entwicklung Euro-Franken-Kurs seit Jahresbeginn, Quelle: cash.ch
"Hauptauslöser für die Frankenabschwächung ab Ende Juli war die EZB, die andeutete, dass es in Richtung Tapering geht und dass sich die europäische Wirtschaft erholt", sagt Thomas Flury zu cash. Dieser Effekt sei durch das Überschreiten der 1,11 Marke beim Euro-Franken-Kurs noch verstärkt worden, da viele Finanzmarktteilnehmer, die zuvor auf einen stärkeren Franken gewettet hatten, nun plötzlich Franken verkauften.
Wird sich die vergleichsweise schnelle Frankenabschwächung nun weiter fortsetzen? Geht der Euro gar auf 1,20? Flury ist nun skeptisch. "Einen Euro-Franken-Kurs von 1,20 werden wir meiner Einschätzung nach nicht sehen", sagt der Devisenspezialist. Er glaubt vielmehr, dass es bei dieser Schwelle einen harten Widerstand geben werde und als Folge viele Euro-Verkäufe ausgelöst würden - was den Franken dann wieder erstarken liesse. Flury sieht auf die nächsten drei Monate einen Kurs von 1,14, mit möglichen Schwankungen zwischen 1,12 und 1,16. Die 12-Monatsprognose der UBS liegt weiter bei 1,16.
Ein Grund, weshalb der Euro zum Franken nicht ins Unermessliche steigen dürfte, ist (wieder einmal) die Politik in Europa. Am Sonntag wurde die EU-feindliche und rechtspopulistische "Alternative für Deutschland" (AfD) drittstärkste Kraft im deutschen Parlament. "Der hohe Stimmenanteil der AfD in Deutschland war nochmals eine Bestätigung dafür, dass die politischen Probleme in Europa weitergehen werden", so Flury.
SNB als Gewinnerin
"Negative" Folgen für den Euro aus den Wahlen sieht auch Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank. Die Regierungsbildung in Deutschland werde zu einem zähen Ringen. Das nun mögliche "Jamaika"-Bündnis aus den Parteien CDU, FDP und Grünen biete für Europa ein gewisses Konfliktpotenzial. "Dies wäre auch eine Last für den Euro, wir halten an unserer Meinung fest und erwarten einen schwächeren Euro in den kommenden Monaten."
Im nächsten Frühjahr stehen zudem weitere heikle Wahlen in Europa an, wo Euroskeptiker mehr Macht erlangen könnten. Nach Frankreich und Deutschland in diesem Jahr wird dann Italien an der Reihe sein. Die populistische Fünf-Sterne-Bewegung um Beppe Grillo rechnet sich Chancen aus, die Macht ergreifen zu können.
Devisenauguren von anderen Instituten sehen die Gemeinschaftswährung dagegen weiter anziehen. Die britische Grossbank HSBC sieht den Euro in den nächsten Monaten bis auf 1,20 steigen und glaubt an eine Stabilisierung auf diesem Niveau im Jahr 2018. Interessant dabei: Die Bank sah in den letzten Jahren immer einen sehr starken Franken und landete mit Vorhersagen von 92 Rappen pro Euro für Ende 2015 oder 1,02 für Ende 2016 ziemliche Fehlprognosen. Auch die Zürcher Kantonalbank hält die Marke von 1,20 für "durchaus erreichbar", wie Analyst David Marmet gegenüber "20 Minuten" sagte.
Gewinnerin der Abschwächung der Schweizer Währung ist auf alle Fälle die Schweizerische Nationalbank (SNB). Wie den Sichteinlagen bei der SNB zu entnehmen ist, intervenierte die SNB in den letzten Wochen nicht mehr an den Devisenmärkten, um den Franken abzuschwächen. Die Abwertung geschah also ohne "künstliche" Hilfe. Und die Notenbank wird künftig diese Zurückhaltung wohl beibehalten: "Von jetzt an dürfte nicht mehr jede potenzielle Aufwertung des Frankens mit Interventionen der SNB quittiert werden", ist Flury von der UBS überzeugt.