Seit Mai 2000 ist Ansgar Gmür Direktor des Hauseigentümerverbandes Schweiz (HEV). Unter seiner Leitung entwickelte sich der HEV zu einer der grössten Organisationen der Schweiz, sie zählt inzwischen über 330'000 Mitglieder. Gmür ist bekannt für seine Hartnäckigkeit bei Verhandlungen, aber auch für seinen Humor und seine Redegewandtheit. Seinen "Rücktritt" hat er vor ein paar Monaten angekündigt, im September 2018 wird er sein Amt abgeben und in Pension gehen. Danach will er Pfarrer werden.
Gmür kam 1953 als siebtes Kind einer armen Bauernfamilie in Amden SG beim Walensee zur Welt. Seine Mutter starb, als er elf Jahre alt war. Heute ist er verheiratet und Vater von drei erwachsenen Töchtern. Aussergewöhnlich sind seine Hobbies: Er trat früher als Bauchredner auf und absolvierte eine Solistenausbildung als Tenor am Konservatorium Zürich.
cash: Herr Gmür, Sie werden nächstes Jahr nach über 18 Jahren als Direktor des Hauseigentümerverbandes Schweiz zurücktreten. Wie schwer fällt es Ihnen, aufzuhören?
Ansgar Gmür: Es ist ein ganz komisches Gefühl. Bisher habe ich bei einem Stellenwechsel stets wieder an einem neuen Ort angefangen. Jetzt ist es dann plötzlich fertig und ich werde kein gefragter Mensch mehr sein. Das ist eine spezielle Situation, mit der ich mich vorgängig abfinden muss.
Aber Sie sehen in Ihrem Abgang auch positives?
Am Anfang wird es wie eine Erlösung sein von der ganzen Belastung. Ich habe 47 Jahre durchgearbeitet, auch während meines Studiums. Jetzt will ich endlich etwas tun können, ohne dem Geld nachspringen zu müssen. Aber vielleicht kommt dann einmal doch noch die Phase, wo ich sage: Es ist schön gewesen. Der Mensch neigt ja dazu, nur das Schöne in Erinnerung zu behalten.
Stand auch zur Diskussion, etwas länger im Amt zu bleiben?
Mehrmals wurde ich von verschiedenen Mitgliedern des Vorstandes dazu ermuntert, weiter zu machen. Das ehrt mich zwar, kam aber nie in Frage für mich. Obwohl mir mein Beruf sehr gefällt, möchte ich mit 65 Jahren aufhören. Ich habe da die gleiche Devise wie Friedrich der Grosse: 'Servir et disparaître' (Anm. der Red.: 'Dienen und abtreten'). Man wird mich also nicht mehr sehen.
Was werden Sie besonders vermissen?
Das Baden im Erfolg ist schön. Der Hauseigentümerverband hat 120 Sektionen. Diese Sektionen führen jeweils Generalversammlungen durch, die Leute kommen zu Hunderten. Dort halte ich dann Referate, die Leute jubeln mir zu. Aber natürlich hat mein Job auch andere Bestandteile, die weniger schön sind.
Worüber konnten Sie sich denn so richtig ärgern?
Ich kann mich ärgern, wenn Leute etwas behaupten, was weder Hand noch Fuss hat. Manchmal habe ich das Gefühl, dieses falsche Behaupten sei ein Privileg der Linken und des Mieterverbandes. Da wurde etwa bekanntgegeben, wie viele Milliarden Franken die Vermieter den Mietern stehlen würden, da sie angeblich die tieferen Mietzinsen nicht weitergäben. Ich frage mich, woher diese Zahl kam. Die Wahrheit weiss doch niemand so genau. Diese Gruppierungen haben sicher ihre Aufgaben und sie sollen auch für ihre Interessen kämpfen. Aber bitte bei den Fakten bleiben.
Was ärgert Sie noch?
Viele Politiker haben das Gefühl, Wohneigentümer hätten ihre Immobilie wie Manna aus dem Himmel bekommen. Dass weit über 90 Prozent der Eigentümer ihr Haus durch harte Arbeit und durch Überschulden sich erkämpfen mussten, darüber denken sie nicht nach. Auch die Besteuerung des Eigenmietwertes ärgert mich. Für das eigene Haus einen Mietwert zu bezahlen, das macht für mich überhaupt keinen Sinn.
Sie wollen nun Pfarrer werden. Aus schlechtem Gewissen, weil Sie häufig den Mieterverband geärgert haben?
(lacht) Man könnte es tatsächlich so interpretieren, es ist aber nicht so. Ich bin sehr katholisch und konservativ aufgewachsen. Ich vertrete die Meinung, dass jeder von Gott ein Talent bekommen hat. Mein Talent ist das Reden. Bisher habe ich dieses Talent nur fürs Geschäft benutzt, künftig will ich es für Gott einsetzen. Deshalb könnte man es in einem gewissen Sinne also doch als schlechtes Gewissen bezeichnen. Jedoch nicht gegenüber dem Mieterverband, sondern gegenüber dem Herrgott.
Wann kam bei Ihnen der Wunsch auf, Pfarrer zu werden?
Dieser Wunsch besteht schon viele Jahre. Ich habe zu Hause einen Bibelkreis, da befasst man sich mit diesem Thema. Viele Leute haben mich auch schon dazu ermuntert, Pfarrer zu werden. Da habe ich dann langsam begonnen, darüber nachzudenken. Eigentlich hätte ich dies sogar schon viel früher tun wollen, es lag aber einfach aus finanziellen Gründen nicht drin.
Sie sprechen das Finanzielle an. Sie hatten eine schwierige Kindheit und sind in armen Verhältnissen in Amden aufgewachsen. Inwiefern hat das Sie als Person geprägt?
Damals hatte ich immer massive Existenzängste. Diese Ängste begleiteten mich bis weit ins Alter. Weil ich früher nichts hatte, bin ich dreissig Jahre lang dem Geld hinterher gerannt. Mit zwanzig hatte ich noch immer keine eigenen Schuhe. Als ich mit 25 in Zürich die Taxiprüfung ablegte, sagte die Ärztin zu mir, dass ich mehr essen müsse, weil ich zwölf Kilo Untergewicht hatte. Als ich ihr sagte, dass mir dazu das Geld fehle, dachte sie, ich mache einen Witz. Aber so war es tatsächlich.
Gab es ein Ereignis, welches Sie besonders prägte?
Es gab in meiner Kindheit tatsächlich ein Schlüsselerlebnis: Unser Bauernhof hatte damals keine dazu führende Strasse. An einem kalten Wintertag wütete ein starker Schneesturm. Als ich mit dem Schlitten und der Milchkanne die Wiese hochlief, bekam ich plötzlich Atemnot. Ich sagte zu mir: 'Ansgar, du musst vorwärts, sonst wirst du umkommen'. Ich dachte: Nach meiner Schwester suchte zunächst auch niemand, als sie vierjährig in eine Schlucht fiel und starb. Der Schnee kam also bis zu meinem Bauch, ich stampfte und stampfte. Dieses Erlebnis prägte meine Willenskraft enorm.
Als junger Erwachsener hatten Sie auffallend viele Berufe: Chemielaborant, Taxifahrer, Putzmann, Nachtportier, Kassierer, Lehrer, Ausbilder und Controller. Welchen dieser damaligen Jobs ist ihnen am positivsten in Erinnerung?
Eigentlich habe ich alles gerne gemacht, ausser Kassierer, das ist harte Kost. Damals an der Migros-Kasse musste ich alle Beträge von Hand in der Kasse eintippen. Ich kam nach Hause und konnte nur noch schlafen, so kaputt war ich. Es ist auch heute noch ein harter Job. Wenn ich solche Dinge erzähle, denken die Leute, wie schlecht ich es früher hatte. Aber ich litt keinesfalls. Heute geht es mir zwar materiell besser, aber damals war ich genauso fröhlich wie heute. Man muss einfach aus jeder Situation das Positive rausholen und dankbar sein für das, was man hat. Und uns geht es ja gut, wir könnten daher ruhig etwas dankbarer sein.
Sie hatten in der Vergangenheit Auftritte als Bauchredner mit den Puppen Lucy und Fritzli. Wird es da ein Comeback gegen?
Vor vielen Jahren habe ich die Auftritte eingestellt und die Puppen gelagert. Bauchreden muss man ständig üben, die Texte müssen selber geschrieben werden. Das braucht extrem viel Zeit. Nach meiner Pension hole ich die Puppen aber tatsächlich wieder hervor und werde Kindern Geschichten aus der Bibel erzählen.
Wie werden Sie Weihnachten verbringen?
Vor vielen Jahren haben wir angefangen, Leute ausserhalb der Familie an unser Weihnachtsfest vom 24. Dezember einzuladen. Es sind Gäste, die einsam sind oder sich ein richtiges Fest nicht leisten können. Dieses Jahr werden wir mit 32 Leuten einen neuen Teilnehmerrekord erreichen. Wir werden zusammen essen, Weihnachtsgeschichten lesen, singen und beten.
Das hört sich nach viel Stress an.
Meine Familie ist stundenlang in der Küche, kocht, serviert und wäscht ab. Darüber hinaus gibt es für jeden Anwesenden sechs bis sieben Geschenke, so dass wir nun tagelang am Einpacken sind. Es ist für meine Familie eine wahnsinnig arbeitsintensive Zeit. Aber alle packen an, niemand beschwert sich und jeder hat Freude. Das ist Weihnachten.
Hat es einen speziellen Hintergrund, weshalb Sie jedes Jahr ein so grosses Fest feiern?
Ich war in meinen jüngeren Jahren häufig alleine über die Festtage. Das beelendete mich, und ich flüchtete mich in die Arbeit. Als Taxifahrer hatte ich zumindest noch Unterhaltung durch die Fahrgäste. Als Nachtportier hingegen war ich jeweils alleine.
Schauen Sie auch das Video-Interview mit Ansgar Gmür, in dem er erzählt, wie es derzeit um den Schweizer Immobilienmarkt steht und wie sich die Hypothekarzinsen weiter entwickeln werden (auf Bild klicken).