cash.ch: Herr Ellinghorst, die Aktie von Volkswagen ist seit Anfang des Jahres hoch im Kurs. Mit dem 'Power Day' Mitte März löste der traditionelle Autobauer eine regelrechte Rally an der Börse aus. Zurecht?
Die Rally ist aus zwei Gründen gerechtfertigt. Erstens hat die Volkswagen-Aktie letztes Jahr im Branchenvergleich relativ schlecht abgeschnitten. Dementsprechend gab es jetzt einen gewissen Nachholeffekt. Zweitens beginnen Investoren derzeit, traditionelle Autohersteller, insbesondere die deutschen, deutlich positiver zu sehen. Ich teile den Optimismus, auch was die Zukunftsträchtigkeit angeht
Woher kommt der plötzliche Optimismus bei Volkswagen?
Insbesondere im Bereich Elektromobilität und Vernetzung hat Volkswagen einfach eine sehr klare Strategie kommuniziert. Der Konzern setzt voll auf das Thema Elektromobilität bis hin zur Batteriezellen-Fertigung. Das bringt zwar auch erhebliche Risiken mit sich, doch bei Investoren liegt man damit derzeit voll im Trend.
Vor einigen Wochen hat Volkswagen den 'Power Day' abgehalten. Der Name ist eine relativ unverblümte Kampfansage an Tesla. Der E-Autopionier hatte im vergangenen Herbst mit seinem 'Battery Day' für Aufsehen gesorgt. Schafft es Volkswagen, hier tatsächlich an Teslas scheinbar übergrossen Thron zu sägen?
Davon geh ich auf jeden Fall aus. Der 'Power Day' war natürlich eine Anspielung an Tesla Event im letzten Herbst. Aus Kommunikationsgesichtspunkten war das ein klarer Erfolg für Volkswagen. Der Konzern dringt bei elektrischen Antrieben, ähnlich wie Tesla, in die gesamte Wertschöpfungskette ein. Man will eigene Batterien bauen und dafür zahlreiche Gigafactories hochziehen. In Europa soll eine Kapazität von 240 Gigawatt erreicht werden, das sind riesen Zahlen.
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Volkswagen dreht sein Geschäft quasi einmal komplett auf Links. Ist das erfolgversprechend?
Der Konzern schaut sich natürlich genau an, wo die Reise hingeht in Sachen effiziente, saubere Mobilität. Vor allem in Europa kommt man als Autobauer am Thema Elektromobilität natürlich nicht mehr vorbei. Gerade als grösster europäischer Hersteller muss Volkswagen natürlich eine Antwort auf die Frage haben, wo die Batteriezellen herkommen sollen. Das sind Probleme die etwa Daimler oder BMW in der Grössenordnung bei Weitem nicht haben. Diese können wegen ihrer geringeren Grösse weniger stark skalieren im Bereich Elektromobilität und haben deshalb auch andere Strategien.
Über Daimler und BWW sprechen wir gleich noch ausführlicher. VW-Chef Herbert Diess hat jüngst versprochen, dass sich Volkswagen 'langfristig eine Pole-Position im Rennen um die beste Batterie' sichern werde. Wird er sein Versprechen halten können?
Nein. Die verschiedenen Batterien am Markt werden sich eines Tages sehr ähneln. Ich denke nicht, dass man im Bereich Batterie-Leistung als Autohersteller langfristig einen erheblichen Wettbewerbsvorteil erzeugen kann. Die Innovationen in diesem Segment finden bei allen Batterieherstellern statt. Ob das jetzt LG Chem, Panasonic, Samsung, CATL oder auch kleinere Hersteller sind: Alle arbeiten an ähnlichen Technologien und Innovationen, was etwa Energiedichte, Ladegeschwindigkeit oder Einsatz von Mineralien bei der Batterieherstellung betrifft. Selbst Tesla hat hier keinen wirklichen Wettbewerbsvorteil mehr.
Volkswagen strebt eine Einheitsbatterie an, die künftig in alle VW-Modelle integriert werden soll. In der Branche heisst es immer wieder, die Kosten pro Kilowattstunde müssen langfristig unter 100 Dollar liegen. Warum?
Heute liegen die Kosten für eine Kilowattstunde zwischen 130 Dollar und 140 Dollar. Wenn man sich Richtung 100 Dollar bewegt, erreicht man bei der Profitabilität so langsam einen 'Break Even' – allerdings nur bei Premium-Fahrzeugen mit entsprechend höheren Preisen. Im Mittelklassen-Bereich müssen die Batteriekosten Richtung 60 Dollar pro Kilowattstunde gedrückt werden. Davon sind wir aber noch Lichtjahre entfernt. Es wird schon schwierig werden, allein Richtung 100 Dollar zu kommen.
VW-Chef Herbert Diess und Tesla-CEO Elon Musk sollen einen ziemlich guten Draht zueinander zu haben. Inwiefern könnte die gute Verbindung ein Vorteil für Volkswagen sein?
Es steht beiden natürlich ganz gut, sich hin und wieder öffentlichkeitswirksam zu positionieren. Was sie verbindet, ist eine gewisse Kompromisslosigkeit im Umgang mit Elektromobilität. Herbert Diess hat den VW-Konzern kompromisslos in den Wandel gezwungen. Er war ja der erste Top-Manager, der Tesla ernst genommen hat. Diess hat den Konkurrenten Tesla als Drohkulisse genutzt hat, um in seinem Konzern den Wandel zu beschleunigen.
Sie und Ihr Analysehaus Bernstein geben für BMW, Daimler oder auch General Motors allesamt Kaufempfehlungen heraus. Bei Volkswagen lautet Ihr aktuelles Verdikt lediglich 'Market Perform'. Warum?
Die Aktie ist zuletzt sehr stark gelaufen. Mein Kursziel liegt bei 237 Euro, was ungefähr dem aktuellen Kurs entspricht. Damit ist der Titel nach meiner Einschätzung fair bewertet. Wir dürfen nicht den Fehler machen, nur auf das Thema Elektromobilität zu schauen und die vielen anderen Herausforderungen der Hersteller komplett zu ignorieren.
Die da wären?
Volkswagen hat etwa 670'000 Mitarbeiter, deren Arbeit lange Zeit auf traditionelle Antriebe ausgerichtet war. Da muss natürlich einiges restrukturiert werden, um in der Elektromobilität profitabel arbeiten zu können. Die Herausforderung für Volkswagen, das klassische Modell erfolgreich umzubauen, wird in meinen Augen vom Markt unterschätzt. Da wird mir die Diskussion teilweise etwas zu eindimensional auf das Thema Elektromobilität beschränkt. Volkswagen hat im Januar und Februar jeweils etwa 10'000 Elektrofahrzeuge verkauft. Das ist noch nicht viel. Und Volkswagen hat noch ein weiteres Problem.
Und zwar?
Der Konzern muss sich fragen: Wie ziehe ich am Ende des Tages mein gesamtes Produktportfolio von Elektro-, Hybrid und Verbrenner-Fahrzeugen in einer Technologie-Architektur zusammen? Ich kann nicht einerseits die alten Verbrenner mit alter Technologie und Software haben und auf der anderen Seite die "tollen" Elektro-Fahrzeuge. Dass muss wie ein Reissverschluss zusammenlaufen, und da hat Volkswagen noch einiges vor sich. Da sind die Strategien von BMW und Daimler klarer.
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BMW setzt mit seiner Elektromobil-Strategie im Gegensatz zu Volkswagen und Tesla auf keine eigene Produktion von Batteriezellen.
Nein, und das würde auch keinen Sinn ergeben. Um einfach mal die Grössenordnung darzustellen: Volkswagen braucht bis Mitte der 2020er-Jahre etwa 180 Gigawattstunden an Batteriekapazität, BMW und Daimler vielleicht 30. Das heisst für sie ist es problemlos möglich, den Bedarf an Batterien durch strategische Partnerschaften mit Herstellern sicherzustellen. Ob das eine Kooperation mit CATL, LG Chem, Samsung oder Panasonic ist, spielt dann keine grosse Rolle mehr. Die Strategie der partnerschaftlichen Kooperation, bei der man gemeinsam mit den Batteriezellen-Herstellern Innovationen vorantreibt, macht für mich absolut Sinn. Da bin ich vor allem bei BMW sehr zuversichtlich.
Der Markt teilt Ihren Optimismus in Bezug auf BMW bisher noch nicht wirklich. Die Aktie war zuletzt eher die lahme Ente unter den Auto-Werten.
BMW muss klarer kommunizieren, was seine Strategie im Bereich Elektromobilität ist. Da macht der Konzern im Vergleich zu anderen Herstellern einfach zu wenig bisher. Die Produkte kommen und die Strategie macht auch Sinn. Doch der Konzern ist in seiner Kommunikation noch zu sehr zwischen alter und neuer Welt. Bei BMW heisst zu oft noch, 'ja, aber…'. Der Konzern hält sich zu sehr damit auf, zu betonen, wie sehr es noch die Verbrenner-Motoren brauche. Das stimmt zwar, doch das will der Kapitalmarkt nicht hören. BMW sollte aktiver und progressiver seine Strategie kommunizieren. Das weiss man in München aber auch.
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BMW hat also ein klassisches Image-Problem?
Ich spreche ja viel mit Zulieferern, Batterieherstellern und Softwareunternehmen. Die sagen eigentlich alle, BWM habe es am besten verstanden und sei am weitesten. Das Problem von BMW ist die Kommunikation.
Unter Analysten scheiden sich bei BMW die Geister. Aktuell gibt es mehr 'Halten'- als Kauf-Empfehlungen. Sie persönlich ragen da ein wenig heraus und haben mit 120 Euro das höchste Kursziel unter den von Bloomberg aufgezählten Analysten gesetzt.
Die BMW-Aktie wird vom Markt derzeit noch massiv unterschätzt. Momentan ist es einfach absolut Konsensus, Volkswagen zu kaufen. Auch Daimler ist derzeit eine sehr attraktive Equity-Story. Hier restrukturiert man das Kerngeschäft, man spaltet die LKW-Sparte ab, und man liefert momentan Top-Renditen – das alles ist sehr attraktiv. Nun kann BMW natürlich kein LKW-Geschäft abstossen (lacht). Aber der Markt übersieht derzeit komplett, dass es BMW als bisher einziger westlicher Hersteller geschafft hat, das China-Geschäft voll zu kontrollieren. BMW hat in seinem China-Joint-Venture einen Deal, seinen Anteil auf 75 Prozent aufzustocken. Ab 2022 wird das über eine Milliarde mehr Cashflow in das Unternehmen spülen. Damit hat BMW bei der Ertragskraft einen enormen Vorteil.
Auf 12-Monats-Sicht hat die Aktie von Daimler – abgesehen von Tesla – eine der stärksten Kursentwicklungen unter den westlichen Autobauern hingelegt. Sehen Sie hier noch Luft oder ist die Story fürs Erste eingepreist?
Wenn ich die einzelnen Segmente von Daimler einzeln bewerte, hat Daimler noch deutliches Kurspotenzial. Die Abspaltung des LKW-Geschäfts rückt in greifbare Nähe, ist im Kurs aber noch nicht abgebildet. Gleichzeitig wird hart an der Performance von Mercedes gearbeitet. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass sich die Bewertung von Mercedes-Benz bei einer möglichen separaten Notierung deutlich verbessern würde. Die Aktie hat zuletzt eine kleine Verschnaufpause eingelegt. Der Kurs wird bald wieder Fahrt aufnehmen.
Die Tesla-Aktie hat ihr Momentum seit rund zwei Monaten verloren. Ist der Hype jetzt erstmal zu Ende?
Nun, bei knapp 650 Milliarden Dollar Marktkapitalisierung wird es irgendwann mal schwierig. Es war sehr viel Hype, viele Retail-Investoren haben investiert, gleichzeitig gerieten Wachstumsaktien allgemein unter Druck. Die Bewertung zu rechtfertigen, ist für traditionelle Analysten sehr schwierig. Wir wissen alle, dass Tesla 2021 vielleicht eine Millionen Autos verkaufen wird. Ich weiss momentan nicht, wo die grossen Überraschungen herkommen sollen.
Während die Konkurrenz aufholt...
Andere Hersteller überzeugen immer mehr mit ihren Produkten. Auch ein Porsche Taycan, ein Audi e-tron oder ein Mercedes EQS sind heute coole Produkte. Ich bin Anfang der Woche hier in London den EQS gefahren, ein sensationelles Produkt. Dinge wie "Over-the-Air", also regelmässige und drahtlose Updates der Autosoftware, oder semi-autonomes Fahren gibt es längst nicht mehr nur bei Tesla. Im Zweifel können das viele jetzt sogar auch schon besser. Die Kurschancen sehe ich jetzt eher bei den massiv unterbewerteten traditionellen Autoherstellern.
Ein weitere Börsen-Überflieger unter den Auto-Aktien war zuletzt General Motors. Was haben die richtig gemacht?
Zunächst mal hat CEO Mary Barra bei General Motors eine unglaubliche Transformation zustande gebracht. Sie hat das Geschäft von allen strukturell unprofitablen Bereichen getrennt und das Unternehmen voll auf den US-Markt und China fokussiert, insbesondere auf das hochmargige SUV-Geschäft. Zudem hat sie, ähnlich wie Volkswagen, eine sehr klare und umfangreiche Elektro-Strategie vorgestellt. Das überzeugt den Markt.
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Stellen wir als Fazit fest: Die Aktien von traditionellen Autoherstellern sind ein klarer Kauf.
Man muss es sich so vorstellen: Wenn die Autobauer weiterhin die Cashflows liefern, die sie in den letzten Jahren geliefert haben, dann sind die Unternehmen immer noch so bewertet, als gingen sie in vier bis fünf Jahren pleite. Die aktuelle Bewertung des traditionellen Auto-Markts ergibt überhaupt keinen Sinn – trotz der zuletzt gestiegenen Kurse. Wenn die Hersteller weiter zeigen können, dass die Ergebnisse und Cashflows passen, und sie im Bereich neue Mobilität weiter überzeugen können, dann kann die Bewertung nur weiter hochgehen. Es ist im Gesamtmarkt schwierig, Unternehmen zu finden, die an der Börse so niedrig bewertet sind wie die traditionellen Autobauer.
Arndt Ellinghorst ist Analyst und Managing Director sowie Senior Vice President beim Research-Unternehmen Sanford C. Bernstein Limited in London. Zuvor war er einige Jahre lang Global Head of Automotive Research und Co-Head of EMEA Equity Research bei der Credit Suisse.