Ein Börsengang ist erst Tatsache, wenn bei der SIX die Glocke läutet und die Aktien gehandelt werden. Denn eine Absage ist quasi bis in letzter Minute möglich. So geschehen zuletzt bei Grazianofairfield, der Getriebesparte des Oerlikon-Konzerns, oder bei Swissport und Gategroup, den Tochterunternehmen der chinesischen HNA-Gruppe. Diese Börsenkandidaten mussten die Übung im letzten Jahr kurz vor dem Ziel abbrechen.

Die Tatsache, dass diese Unternehmen den Gang an die Börse bis heute nicht gewagt haben, zeigt, wie schnell das Fenster für ein IPO (Initial Public Offering) wieder zuschlagen kann. Ein solcher Kurswechsel zeichnet sich bei Stadler Rail indes nicht ab. Der Zugbauer will seinen Börsengang "in den nächsten Monaten" durchführen, heisst es in einer Mitteilung vom Dienstag,  "vorbehaltlich des Marktumfeldes". Es wäre einer der grössten und aufsehenerregendsten Events am Schweizer Kapitalmarkt der letzten Jahre.

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Der Milliarden-Coup von Peter Spuhler

Der Börsengang von Stadler Rail wird langsam konkreter

Stadler ist aus Anlegersicht deshalb so populär, weil der Zugbauer mehrere positive Eigenschaften vereint. Da ist einerseits das Zuggeschäft als Zukunftsmarkt. Der weltweite Trend zur Reduktion von CO2 sowie das rasche Wachstum von Metropolen spielen diesen Firmen in die Karten. Wer hier erfolgreich ist, wird auch nicht so schnell verdrängt. Aufgrund der Komplexität des Zuggeschäfts sind die Eintrittshürden für Konkurrenten hoch.

IPO-Geld zum Wachsen

Gemessen am Umsatz ist Stadler Rail weltweit die Nummer sieben unter den Bahnherstellern. 2017 beliefen sich die Verkäufe auf 2,4 Milliarden Franken. Bis 2020 sollen sie auf knapp 4 Milliarden steigen. Allerdings ist ein Verdrängungskampf im Gang, angetrieben durch Chinas Staatsbetrieb CRRC: Wie die Handelszeitung schreibt, ging die Zahl der Zuganbieter in den letzten 20 Jahren von 200 auf 20 zurück. Ein Börsengang würde Stadler auch mehr Flexibilität bieten, um mit zusätzlichem Kapital Übernahmen zu stemmen und so die Marktstellung zu festigen oder zu verbessern.

Nicht nur der Umsatz stimmt bei Stadler, auch die Profitabilität. Die EBIT-Marge liegt deutlich höher als bei der Konkurrenz, laut Berechnungen der Handelszeitung bei 10 Prozent. Unter dem Strich käme Stadler Rail auf einen Börsenwert von mindestens 3 Milliarden Franken. Im Schweizer Vergleich würde das eine Einreihung zwischen bekannten Mid Caps wie Dormakaba (Börsenwert 2,9 Milliarden), Sulzer (3,3 Milliarden) oder Georg Fischer (3,8 Milliarden Franken) bedeuten.

Hinzu kommt eine Prise Exotik. Die Schweiz gilt als Land der Zugfahrer, die Bahn hat einen hohen Stellenwert. Doch eine "Zug-Aktie" gibt es bislang nicht. Ein börsenkotierter Schweizer Zugbauer, das ist eine attraktive Anlegerstory. Und so ist denn auch die Aufmerksamkeit von professionellen Investoren gegeben. Mehrere Schweizer Fondsmanager zeigten im Gespräch mit cash.ch bereits Interesse an einer möglichen Stadler-Aktie.

Warten lohnt sich

Wer an einem Investment bei Stadler ebenfalls interessiert ist, muss sich aber noch einige Zeit gedulden. Nicht nur, weil der Börsengang jederzeit noch verschoben werden kann. Auch deshalb, weil Privatanleger bei einem IPO in der Regel vorerst leer ausgehen. Wie Fondsmanager berichten, dürfte es die grosse Nachfrage nach Stadler-Aktien sogar für sie schwierig machen, eine Zuteilung im Vorfeld des IPO zu bekommen.

Die breite Öffentlichkeit erfährt sowieso erst bei der offiziellen Ankündigung etwas von den Kotierungsplänen eines Unternehmens. Dann gehen die zum Verkauf angebotenen Aktien zuerst an die Banken, an Grossinvestoren oder an die Unternehmensführung. Private haben also überwiegend das Nachsehen bei der Aktienverteilung. Erst im regulären Handel können sie dann Titel kaufen.

Die längere Wartefrist kann aber auch Vorteile haben. Denn der wahre Unternehmenswert wird nicht vor, sondern vor allem nach dem Börsengang ermittelt. Angebot und Nachfrage am Aktienmarkt widerspiegeln den Gesundheitszustand eines Unternehmens oft realistischer, als es die Firmen in Zusammenarbeit mit Banken tun.

Es lohnt sich auf jeden Fall, die Stadler-Aktie einige Zeit am Markt zu beobachten, bis sich der Kurs eingependelt hat. Der Sensorhersteller Sensirion zum Beispiel stieg in den ersten Monaten nach dem Börsengang im März 2018 rasch an, notiert heute aber wieder in der Region des Börsengangs. Eine ähnliche Performance weist der Implantatehersteller und Börsenneuling Medartis auf.

Mit Peter Spuhler als Ankeraktionär verfügt Stadler Rail über ein Kriterium, das für ein langfristiges Engagement spricht. Als früherer CEO und heutiger Verwaltungsratspräsident gehören Spuhler derzeit 80 Prozent der Firma, nach der Publikumsöffnung könnten es zwischen 35 und 45 Prozent sein. Das heisst, der Anteil frei handelbarer Aktien wird ungefähr bei 40 Prozent liegen. Klar, ein tiefer Free Float ist für die Liquidität der Aktie ein Nachteil. Aber ein starker Ankeraktionär sorgt für Konstanz und weitsichtige Planung, auch liegt eine attraktive Dividende in seinem Interesse.

 

 
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Wenige Schattenseiten

Was könnte einen Schatten auf die Börsen-Story von Stadler Rail werfen? Da sind einerseits die hohen Erwartungen. Kritische Stimmen zu Stadler sind praktisch inexistent. Im Zuge eines Börsengangs wird die Zukunft eines Unternehmens so positiv wie möglich gezeichnet. Kommt es wider Erwarten zu einer Enttäuschung, wäre die Fallhöhe gross. Ebenfalls wichtig: Analystenberichte zu Börsenneulingen aus der Feder involvierter Banken sind nicht unabhängig und mit Vorsicht zu geniessen. Auch Bewertungsgrössen wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) werden erst mit "unabhängigem" Research aussagekräftiger.

Zu einem weiteren Bremsklotz könnte die Börsenentwicklung werden. Mit der anbrechenden Dividendensaison beginnt zwar eine Zeit erhöhter Liquidität am Finanzmarkt. Doch die Schweizer Börse hat sich in den letzten Wochen wieder in schwindelerregende Höhen geschwungen. Dem Leitindex Swiss Market Index (SMI) fehlt nur wenig bis zu einem neuen Allzeithoch. Kommt es zu einer länger andauernden Korrektur, wird die Lage auch für eine kotierte Stadler-Aktie ungemütlich.

Die nächsten Schritte an die Börse

Nach der offiziellen Ankündigung eines Börsengangs kann es schnell gehen. Beobachter gehen davon aus, dass Stadler theoretisch noch bis Ende Mai Zeit für ein IPO hat, denn das Segment der mittelgrossen Schweizer Aktien gilt als saisonal: Ihre Performance ist im historischen Durchschnitt während den ersten fünf Monaten besser als in den Folgemonaten. Zu den wichtigsten nächsten Schritten gehören die Bewertung und die Festlegung der Preisspanne. Dann folgt das Bookbuilding-Verfahren, wobei das aus professionellen Investoren bestehende Aktionariat zusammengestellt wird. Die Investoren können dann Aktien kaufen, solange die Orderbücher geöffnet sind. Das Resultat ist der Emissionspreis. Beim eigentlichen Börsengang entsteht ein Eröffnungskurs, der selten identisch ist mit dem Emissionspreis. Daraus lässt sich erstmals ableiten, wie erfolgreich ein IPO ist.