cash.ch: Herr Henny, die Börsen waren in letzter Zeit teilweise nervös, die Volatilität sprang an. Haben Sie im Portfolio Veränderungen bei der Aktienquote vorgenommen?
Matthias Henny: Unsere Aktienquote beträgt 5,8 Prozent. Diese Quote ist durch Derivatprogramme, also durch Put-Optionen, abgesichert. Daher müssen wir nicht auf jede Marktbewegung reagieren. Wir haben die Aktienquote wegen der hohen Solvenzanfoderungen auch nicht aufgebaut. Und weil die Märkte ein gewisses Bewertungsniveau erreicht haben, sehen wir uns derzeit nicht veranlasst, die Aktienquote weiter auszubauen.
Das heisst, die Aktienmärkte sind überbewertet?
Ich würde es so formulieren: Ganz allgemein sind die Anlagemärkte relativ teuer bewertet. Das betrifft alle Anlagekategorien. Das ist ein Trend, der sich über die letzten Jahre wegen der tiefen Zinsen und der lockeren Geldpolitik der Zentralbanken verstärkt hat. Wenn man die Rendite bei Aktien im Vergleich zu Obligationen betrachtet, kommt man aber zum Schluss, dass Aktien gar nicht so hoch bewertet sind.
Die Grundausrichtung der Baloise bei Aktien lautete in den letzten Jahren: Substanzaktien eher vor zyklischen Aktien. Hat sich daran etwas geändert?
Die Grundausrichtung ist immer noch dieselbe. Wir wollen in Aktien investieren, die eine hohe und verlässliche Dividende ausschütten. Als Versicherungsgesellschaft brauchen wir dieses laufende Einkommen gerade in den Leben-Portfolios, um Garantien und Überschussbeteiligungen zu finanzieren. Wir investieren also in Titel, die sowohl günstig bewertet sind wie auch eine hohe Qualität aufweisen. Wir nennen das 'Value and Quality'.
Wird es nicht immer schwieriger, solche Aktien zu finden?
Es gibt immer Möglichkeiten. Wir hatten bei uns in letzter Zeit eine gewisse Verschiebung in Richtung Zykliker, weil diese günstig waren. Aber die langfristige Grundausrichtung bleibt dieselbe. Sie erzielte historisch betrachtet auch die beste Outperformance.
Im Corona-Jahr kam es bei vielen Unternehmen punkto Dividenden zu einer Zäsur. Die Ausschüttungen wurden halbiert oder gestrichen. Macht Ihnen das mit der Ausrichtung auf Dividendentitel kein Bauchweh?
Nein, denn wir fokussieren uns vor allem auf Aktien, welche Dividenden nachhaltig und langfristig steigern können. Gerade Pharma-Titel weisen diesbezüglich eine hohe Qualität auf. Sie sind bei uns im Portfolio relativ prominent vertreten.
Wie schätzen Sie die Aktienmärkte bis Ende Jahr ein?
Das Umfeld bleibt weiter intakt, trotz des Anstiegs bei den Langfristzinsen und der Inflationsängste. Strukturell bleibt das Tiefzinsumfeld bestehen, und es wird ein Konjunkturaufschwung nach der Coronakrise erwartet.
Die steigenden Inflationszahlen sind also ein vorübergehendes Phänomen?
Beim Thema Inflation spielen drei Faktoren mit. Zum einen gibt es einen Basiseffekt. In den USA haben wir einen Inflationswert von 4 Prozent. Das mag auf den ersten Blick beunruhigend hoch sein. Man vergisst aber, dass der Basiswert für diesen Preisanstieg vor einem Jahr während der Coronakrise war, als die Inflationswerte unter dem langfristigen Durchschnitt lagen. Zudem ergaben sich durch Corona Verschiebungen bei den Lieferketten, zum Beispiel bei Halbleitern oder Baustoffen wie Holz oder Aluminium. Hier trifft eine normale Nachfrage auf eine Industrie, die sich eigentlich auf einen Einbruch ausgerichtet hatte. Diese Anpassungen schauen wir als temporär an. Der dritte Faktor sind die Konjunkturprogramme in den USA. Da gehen wir nicht davon aus, dass diese zu einer unkontrollierbaren ZyklusInflationsspirale führen werden.
Gesetzt der Fall, Sie haben Unrecht und die Inflationszahlen steigen unerwartet weiter. Was passiert dann mit Aktien, wo breite Anlegermassen investiert sind, und Obligationen, in die vor allem Institutionelle Investoren wie etwa Versicherungen engagiert sind?
Sollte ein Szenario wie Ende 1970er Jahre eintreffen und die Inflation aus dem Ruder laufen, müsste die Teuerung mit starken Leitzinserhöhungen bekämpft werden. Wir als Versicherer hätten dann unrealisierte Verluste auf den Obligationenanlagen. Weil aber die Obligationen gekauft wurden, um Verbindlichkeiten abzudecken, wäre dies für uns ökonomisch kein Thema. Wir müssen die Obligationen nicht verkaufen, sondern lassen sie ablaufen und reinvestieren dann zu höheren Zinsen. Für die Aktienmärkte wäre eine ausufernde Inflation eher negativ. Gewisse Branchen könnten profitieren, leiden würden aber sicher Aktien, die als Obligationenersatz gekauft wurden, das heisst solche mit hoher Dividende.
Können die Zentralbanken überhaupt aus der Tiefzinspolitik aussteigen, nachdem sich die Märkte derart lange an das billige Geld gewöhnt hatten?
Das ist eine gute Frage. Das Problem ist, dass es eine solche Ausweitung der Geldmenge noch nie gegeben hat, es fehlt die Vergleichsgrundlage. Ob es die Zentralbanken zulassen, dass es bei Zinserhöhungen zu Kollateralschäden an den Märkten kommt, bleibt offen. Ich glaube, sie werden dies nur dann in Kauf nehmen, falls die Inflation ausser Kontrolle zu geraten droht.
Am Schweizer Immobilienmarkt ist oft von einer Preisblasenbildung die Rede. Stimmt das?
Es gibt sicher einige Regionen, wo Immobilien sehr hoch bewertet sind. Aber ist das eine Blase? Ich würde sagen: Nein. Ähnlich wie bei Aktien muss man die Rendite vergleichen mit dem, was man bei anderen Anlagen erhält. Eine Rendite von 2 bis 3 Prozent ist verglichen mit einer Rendite von minus 0,75 Prozent (Leitzins der Schweizerischen Nationalbank, Anm. der Red.), dann ergibt sich eine Risikoprämie von rund 3 Prozent. Das ist für Immobilien keine unvernünftige Zahl.
Glauben Sie, dass sie Immobilienpreise in der Schweiz jemals wieder deutlich sinken werden?
(Überlegt lange) Das würde wohl nur in einem Szenario mit deutlich höheren Zinsen eintreffen. Die Immobilienpreise hängen letztendlich von zwei Faktoren ab: Von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und dem Zinsniveau. Bei ersterem deutet derzeit nichts darauf hin, dass wir in eine Rezession wie zu Beginn der 1990er Jahre geraten. Auch wenn die Zinsen jüngst etwas angestiegen sind, dürfte das Zinsniveau in unseren Augen auf absehbare Zeit weiterhin tief bleiben.
Die Corona-Krise ergab wegen der Home-Office-Thematik eine Zweiteilung bei Immobilienanlagen. Firmen mit hoher Geschäftsliegenschaftsausrichtung stehen noch immer unter Druck, demgegenüber sind Wohnimmobilien Krisengewinner. Bleibt das so?
Falls die Leute auch nach Corona zu etwa 50 Prozent zu Hause arbeiten, bestünde natürlich weniger Bedarf an Geschäftsimmobilien. Gleichzeitig werden aber die Ansprüche derer steigen, die von zu Hause arbeiten. Wichtiger wird in Zukunft sicher die Lage und der Zugang öffentlichen Verkehrsmittel. Periphere Lagen von Büroliegenschaften werden sicher leiden.
Bedeutet Corona eine Veränderung der Baloise-Anlagepolitik bei Immobilien?
Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir zum grossen Teil in der Kategorie der Wohnliegenschaften investiert sind. Wir haben in der Vergangenheit die Lage der Immobilien immer sehr stark gewichtet.
Können Sie da genauer sein?
Wir haben beispielsweise über 300 Millionen Franken in den Baloise Park investiert. Die Lage direkt am Bahnhof Basel mit Ausrichtung Innenstadt ist eine ideale Lage. In solche Projekte und Lagen werden wir weiter investieren.
Baloise zog sich vor Jahren weitgehend aus kleineren und mittelgrossen Mehrfamilienhäusern zurück, weil zu viel Geld von privater Seite in dieses Segment floss. Haben Sie an dieser Politik festgehalten?
Aufgrund des Wachstums bei Immobilien gab es Portfolioanpassungen. In einem Immobilienportfolio, das 8 Milliarden Franken umfasst, macht es aus Portfoliomanagement- und Verwaltungssicht deshalb wenig Sinn,, Liegenschaften mit einem Wert von unter 10 Millionen Franken aufzunehmen. Solche Liegenschaften transferieren wir zum Beispiel eher in den 'Baloise Swiss Property Fund', der mittlerweile eine Grösse von 600 Millionen Franken aufweist.
Der promovierte Physiker Matthias Henny ist seit Mai 2017 Anlagechef von Baloise. Er stiess 2012 zum Versicherungskonzern. Seine früheren Stationen waren McKinsey, Winterthur Gruppe und Axa Winterthur.