cash.ch: Seit Anfang November prägen die Impfstoffhoffnungen das weltweite Anlegerverhalten. Global steigende Aktienmärkte sind die Folge. Warum ist diese Entwicklung trotzt anhaltender Corona-Pandemie gerechtfertigt?

Anastassios Frangulidis: Wir haben mehr als eine Hoffnung, dass der Impfstoff funktionieren wird. Die vorgelegten Resultate sind besser, als wir dies erwartet haben. Die Frage ist nun, wie schnell es vorwärtsgehen wird. Hier ist die Erwartung des Marktes, dass bereits im nächsten Quartal ein bedeutender Teil der stark betroffenen Menschen den Impfstoff erhalten werden – zumindest hier im Westen. Bis im Sommer sollte dann ein bedeutender Teil der Bevölkerung geimpft sein. Dies wird mit einer gewissen Normalisierung des sozialen Lebens und dem Nachlassen der bestehenden restriktiven Massnahmen einhergehen.

Im Endeffekt wird die Weltwirtschaft stark profitieren…

Ja, es ist eine positive Nachricht für die Weltkonjunktur. Wir erwarten für das neue Jahr ein globales Wachstum von 5,6 Prozent.

Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA wird vermutlich sehr bald eine Notfallzulassung für einen Impfstoff gutheissen. Dieses Ereignis ist wohl hingegen an den Märkten schon eingepreist?

Ja, es wird die Märkte nicht stimulieren. Im November war die gute Nachricht von Pfizer unerwartet gewesen. Das bedeutet, dass das Weihnachtsrally nicht im Dezember, sondern im November stattgefunden hat. Insbesondere der amerikanische Aktienmarkt ist aktuell leicht überkauft und muss sich konsolidieren.

Doch in der Tendenz werden sich die Aktienmärkte 2021 nach der aktuellen Konsolidierungsphase wegen des erwarteten Wirtschaftswachstums nach oben orientieren?

Sämtliche wichtige Märkte werden 2021 wahrscheinlich Gewinne verzeichnen.

Die Schweizer Börse profitiert jedoch aktuell von der Erholung an den Aktienmärkten im Vergleich zum Ausland viel weniger. Warum?

Der defensive Charakter des Schweizer Aktienmarkts spielt sicher eine bedeutende Rolle. Zudem befinden wir uns in letzter Zeit in einer Phase der Marktrotation von wachstums- hin zu unterbewerteten Substanztiteln. Der Schweizer Markt ist mit den Pharmawerten und Nestlé klar wachstumsorientiert. Der Schweizer Markt hat sich, seitdem die Weltkonjunktur schon Anfang 2019 Schwäche gezeigt hatte, recht gut geschlagen. Dies ist nicht erstaunlich: Die Gewinnentwicklung der Schweizer Unternehmen ist viel stabiler als im Ausland. Im Pandemiejahr, wo die globale Gewinnentwicklung vermutlich 16,5 Prozent zurückgehen wird, beläuft sich in der Schweiz der prognostizierte Rückgang nur auf 8,5 Prozent. In Zeiten aber, in welchen der Optimismus wieder stark aufkommt, läuft der Schweizer Markt traditionell weniger gut als die anderen Märkte.

Dies gilt daher auch für das kommende Jahr 2021…

Ja, ich denke, dass der Schweizer Aktienmarkt nächstes Jahr eher unterdurchschnittlich abschneiden wird. Das gilt für die grosskapitalisierten Schweizer Unternehmen, welche den SMI bilden. Für diese gehen wir von einem Gewinnwachstum von 16,5 Prozent aus, während weltweit der entsprechende Wert bei über 27 Prozent liegen wird. Bei den kleineren und mittleren kapitalisierten Schweizer Unternehmen sieht es anderes aus. Diese profitieren stärker von der erwarteten globalen und europäischen Konjunkturerholung.  Der "SPI mid" wird sich deshalb nächstes Jahr besser entwickeln als der Rest des Schweizer Aktienmarkts.

Anleger müssen sich daher für ein starkes Kurswachstum hauptsächlich im Ausland orientieren?

Wenn sich das angenommene Bild von einem globalen Wachstum von über 5 Prozent bewahrheitet, dann profitiert Europa, die Schwellenländer und wahrscheinlich auch Japan mit seinen zyklischen Titeln im Industriebereich. Die Schweizer Börse hat gegenüber diesen Märkten an Attraktivität verloren.

Ist für den Schweizer Anleger diesbezüglich ein Kauf eines ETF (Exchange Traded Funds) auf einen ausländischen Index interessant?

Es ist für einen Privatanleger sicherlich nicht empfehlenswert, selbst in einem ausländischen Markt auf Einzeltitel zu setzen. Man sollte hier diversifizieren. Mit einem Index-ETF partizipiert ein Anleger an der Entwicklung des jeweiligen Index. Alternativ bieten sich aber auch themen- oder sektorenbasierte Investments an. Werden diese gut verwaltet, liefern sie meist eine sehr gute Kursentwicklung. 

Welche Themen und Sektoren sind denn für sie 2021 interessant?

Auf der Sektorenseite sind dies sicherlich Industrie, Roh- und Grundstoffe. Internetsicherheit bei Unternehmen, Robotics und erneuerbare Energien sind hingegen sektorenübergreifende Themen, die für das nächste Jahr vielversprechend sind.

Kommen wir nochmals zur Schweiz. Insbesondere Pharmatitel kommen im Moment kaum vom Fleck. Inwiefern spielt hierbei der schwächelnde Dollar eine Rolle?

Der schwächer werdende Dollar hat einen negativen Einfluss auf die Schweizer Pharmaunternehmen, welche einen bedeutenden Teil ihrer Umsätze im Dollarraum erwirtschaften. Noch wichtiger ist aber, dass Pharmaunternehmen Wachstumstitel sind, die meist unabhängig von der Konjunkturlage stabile Gewinne aufweisen. Diese Titel sind in einem Konjunkturabschwung stark gefragt, in einem Konjunkturaufschwung sind sie relativ gesehen etwas weniger attraktiv.

Am Schweizer Aktienmarkt konnten im letzten Monat insbesondere Finanztitel kräftig zulegen. Gibt es fundamentale Gründe für diese Entwicklung?

Die Finanztitel, insbesondere die Banken, sind genau der Gegenpart zu den Pharmatiteln. Diese haben in der Vergangenheit zyklisch, aber auch strukturell stark gelitten , insbesondere in Europa. Diese Realität führt dazu, dass dieser Sektor äusserst günstig geworden ist. Für eine Erholung bräuchte es aber einen Trigger beispielsweise eine steilere Zinskurve, damit die Banken im Kreditgeschäft wieder stärker profitieren können. Hier gibt es die Erwartung, dass es im nächsten Jahr bezüglich eines Zinsanstiegs ein gewisses, nicht grosses Potenzial gibt. Banken bleiben aber wegen den strukturellen Problemen eine zyklische Geschichte.

Wie beeinflusst die leicht gestiegene Realverzinsung die Attraktivität von traditionellen Dividendentiteln?

Dividendentitel sind besonders interessant in einer Zeit tiefer Realverzinsung und damit fehlender Attraktivität anderer Anlagenklassen wie Anleihen. Das Bedürfnis nach Titeln mit einer guten Dividendenpolitik wird auch in der Zukunft bestehen. Aber es kann gut sein, dass der Markt jetzt Sektoren oder Länder sucht, wo die Veränderung in der Gewinnentwicklung stärker ist. Relativ kann daher die Attraktivität von traditionellen Dividendentiteln vorübergehend nachlassen, strukturell bleibt diese aber bestehen.

Gut geführte Dividendentitel gehören einfach ins Portfolio…

Ja, diese bilden den stabilen Teil eines Portfolios und generieren ein laufendes Einkommen.

Die Verschuldung der Schweizer Unternehmen steigt seit 2015 wegen der Negativzinsen der Schweizer Nationalbank stärker als im westlichen Ausland. Inwiefern vermindert dies die Attraktivität von Schweizer Titeln für Anleger?

Die hohe Verschuldung ist ein gewisses Risiko für die Zukunft, falls die Zinsen irgendwann einmal stark steigen sollten. Es ist daher ein langfristiges Risiko. Insbesondere Unternehmen mit schlechten Bilanzen könnten unter der hohen Verschuldung leiden.

Der Realzins ist seit seinem Tief Mitte August ein wenig gestiegen. Was bedeutet dies für die Goldposition im Anlegerportfolio?

Wenn der Realzins steigt, verringert dies die Attraktivität von Gold. Die Dollarschwäche ist hingegen eine gute Nachricht für den Goldpreis. Es stellt sich die Frage, welche Kraft hier stärker ist. Eine Korrektur hat beim Goldpreis aber schon stattgefunden und der Dollar wird vermutlich auch in der Zukunft Schwäche zeigen. Aber im absehbaren konjunkturellen Umfeld ist die Luft nach oben beschränkt. Gold wird vermutlich 2021 nicht zu den Gewinnern gehören. Doch Gold bringt eine Sicherheit ins Portfolio für schlechtere Zeiten. Hier muss ein Anleger bereit sein, eine gewisse Prämie zu zahlen.

ManuelBoeck
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