Zur Jahresendrally kommt es, wenn die Anleger gegen Ende Jahr nochmals optimistischer werden, ihre Portfolios bereinigen und vielleicht noch ein bisschen "Window-Dressing" betreiben. Letzteres heisst, dass beispielsweise Fonds ihre Portfolios noch etwas aufhübschen.
Zur Faszination der Anleger mit der Jahresendrally trägt auch bei, dass das vierte Quartal häufig - nicht immer - das beste Anlagevierteljahr ist. Damit die Kurse gegen Ende Jahr nochmals ansteigen, müssen die Dinge allerdings fundamental gut liegen. Die Märkte sollten mit der Geldpolitik zufrieden sein, und eine allgemeine Zuversicht hegen, dass die Konjunktur die Unternehmensgewinne den Aktienmarkt weiter tragen werden.
«300 Punkte gehen noch»
Der Schweizer Aktienmarkt hat nun schon einen guten Lauf hinter sich. Der SMI stieg nach einem Tiefpunkt Ende Dezember 2018 bei 8139 Punkten ohne massive Rückschläge im Lauf des Jahres auf über 10'000 Punkte. Das Plus im Jahresverlauf beträgt fast 19 Prozent. Beim breiten SPI, der im September den Rekordstand von 12'302 Punkten erreicht hatte, sind es über 23 Prozent. Vor einem solchen Hintergrund spricht man zumeist davon, dass "die Luft nach oben dünn" geworden sei.
Aus Sicht von Cédric Spahr, Aktienstratege bei der Bank J. Safra Sarasin, kann der SMI indessen noch 200 bis 300 Punkte zulegen. Die Summe der positiven Faktoren überwiege wieder: "Die Wirtschaftsindikatoren in China – gemessen an den Einkaufsmanagerindices – zeigen eine Verbesserung für die nächsten Monate." Auch in den USA erwarte er eine langsame Verbesserung. Zudem seien institutionellen Investoren bei Aktien im dritten Quartal eher untergewichtet - ein Argument also, dass für ein grösseres Engagement der Aktienanleger vor Weihnachten spricht.
Als "super-bullish" will sich Spahr nicht bezeichnen. Es sei immer schwierig für einen Index, sich nachhaltig über einer wichtigen Marke zu halten, wie im Falle des SMI nun bei über 10'000 Punkten: "Daher ist auch mit kurzfristigen Rückschlägen zu rechnen."
Skepsis bei den Schwergewichten
Sicherer fährt man aber wohl, wenn man sich auf eine Seitwärtsbewegung einstellt: "Angesichts der deutlichen wirtschaftlichen Verlangsamung in der Schweiz und in Europa können wir zufrieden sein, wenn das Jahr mit Kursständen endet, wie wir sie jetzt sehen", sagt Andreas Homberger, Verantwortlicher das Research bei Hinder Asset Management, einem auf passive Anlagen spezialisierten Vermögensverwalter. "Es war schon ein sehr gutes Jahr", sagt mit Blick auf die hohen Kursgewinne bei Aktien auch Thomas Steinemann, Anlagechef der Privatbank Bellerive.
Es bräuchte massgeblich die Schwergewichte Nestlé, Novartis und Roche, dass der SMI, aber auch der SPI, nochmals anziehen könnten. Die drei Aktien müssten aber zu einer starken Jahresperformance von 30 Prozent (Nestlé, ohne Dividende), 16 Prozent (Novartis) oder 18 Prozent (Roche) nochmals mit deutlichen Kursgewinnen nachdoppeln. Und obwohl Roche und Nestlé vergangene Woche gute Zahlen vorgelegt hatten, reichten die Resultate nicht aus, um neue Kursschübe zu prognostizieren. Bei Nestlé äusserten sich zudem erste Analysten, die ausdrücklich vor zu hohen Gewinnerwartungen warnen (cash berichtete).
Nicht erleichtert wird die Analyse einer möglichen Rally vor Jahresschluss dadurch, dass positive und negative Faktoren sich in etwa die Waage halten. Andreas Homberger zählt zu den Vorteilen die wieder lockerere Geldpolitik und tendenziell gute Stimmung im Schlussquartal. Auch die nur schwache Exponierung des Marktes gegenüber gewissen Zyklikern - die Schweiz hat wenig Technologie- und Energietitel - zählt zu den stabilisierenden Faktoren.
Andererseits sei der Markt nicht billig bewertet und derzeit sehr anfällig auf politische Einflüsse wie etwa den Handelskrieg: "Bis Ende Jahr sind leichte Kursgewinne, aber auch -verluste möglich", sagt Homberger. Dies heisst aber immerhin auch: Einen deutlichen Kursrückgang an den Märkten, wie er Ende 2018 wegen der Probleme der Tech-Aktien und der damals noch gestrafften amerikanischen Geldpolitik eingetreten war, dürfte es dieses Jahr nicht geben.
Die Stunde der Stock Picker
Die politisch geprägten Ausschläge am Markt können Anlegern kurze Kursgewinne geben, beispielsweise bei einer Entspannung des Handelsstreits oder durch die Vermeidung eines so genannten No-Deal-Brexits. Insgesamt dürfte aber auch eine für die Wirtschaft günstige politische Entwicklung die Märkte nicht entscheidend nach oben treiben.
Angesichts dieser Seitwärtsprognosen müssen Anleger nach Sektoren oder Einzeltiteln Ausschau halten. Profitieren können vor allem Unternehmen, die von der Erholung in China Auftrieb erhielten, sagt Cédric Spahr: Das sind zyklische Konsumgüter wie Uhren, aber auch ein Unternehmen wie SGS. Eine Wette auf Swatch und Richemont bedingt aber nach wie vor die Prognose, dass sich der Handelsstreit beilegen lässt. Noch nicht so richtig erwärmen kann sich der Aktienstratege für die Aktien der Grossbanken.
Die kleineren zyklischen Werte wiederum dürften laut Bellerive-Investmentchef Steinemann mit der Zeit zu einer Erholung ansetzen, aber nicht mehr im laufenden Jahr: "Dafür müssen erst die Wirtschaftsdaten wirklich wieder besser werden."