Vor ziemlich genau 20 Jahren sollte ich nach einer UBS-Medienkonferenz mit UBS-Chef Marcel Ospel ein Kurzinterview führen. Noch während ich brav mein Einleitungssätzli aufs Band sprach, unterbrach mich Ospel barsch und fragte, was das eigentlich alles solle – obwohl der Interview-Ablauf kurz zuvor besprochen worden war. Was ich erst später erfuhr: Mein damaliger Arbeitgeber und die UBS hatten wegen eines anderen Vorfalls einen Disput, und Ospel liess mich das offensichtlich auf seine Art spüren.
So war Marcel Ospel. Unerbittlich, konsequent, misstrauisch-ängstlich gegenüber denjenigen, die er nicht kannte und die er als Gegner betrachtete. Nahbar für diejenigen, denen er vertraute und wo er sich akzeptiert fühlte, so in seiner Heimat Basel bei seinen Fasnachtskollegen.
Ospel polarisierte wie kaum ein anderer Schweizer Wirtschaftsführer. Sein Machtanspruch, seine Auftritte, seine Vergütungen und seine Ambitionen als CEO der grössten Schweizer Bank wären heute nicht mehr denkbar. Ospels Bankenwelt wirkt heute beinahe surreal. Doch damals, in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre bis zur Finanzkrise über zehn Jahre später, dachte man am Schweizer Finanzplatz "big".
Nach der Fusion des Schweizerischen Bankvereins (SBV) mit der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG) 1998 sollte die UBS mit CEO Ospel als grösste Vermögensverwalterin der Welt auch noch die grösste Investmentbank werden. Ein Frontalangriff auf die mächtige Wall Street. Die Schweizer Hochfinanz zeigte selbst nach dem Skandal um die nachrichtenlosen Vermögen in den USA ein unerschrockenes Selbstbewusstsein.
Nicht nur die UBS wollte hoch hinaus. Lukas Mühlemann von der Credit Suisse, Rolf Hüppi von Zurich, der Schweizer Josef Ackermann bei der Deutschen Bank, auch ein Hans Vögeli von der Zürcher Kantonalbank - sie alle fuhren einen aggressiven Expansionskurs. Es waren Aushängeschilder einer Generation, die viel wollte - und von der Realität eingeholt wurde.
Für die UBS unter Ospel als VR-Präsidenten lief es noch jahrelang gut, obwohl die ganz grossen Ambitionen im Investmentbanking nie erreicht wurden. Das Popularitätstief in der Schweizer Bevölkerung, das Ospel wegen seiner umstrittenen Rolle beim Swissair-Grounding 2001 erlitten hatte, war eigentlich nur eine Nebenerscheinung. Das demütigende Ende von Ospels Banker-Karriere kam im April 2008 in der Finanzkrise. Er musste nach dem UBS-«Bailout» des Bundes und der Nationalbank sein Amt abgeben.
Seither ist die Schweizer Bankenwelt eine andere. Der Aktienkurs der UBS steht heute fast zehnmal tiefer als vor der Finanzkrise. Bei der Credit Suisse ist das Missverhältnis noch krasser. Die Pharmaindustrie ist mittlerweile das Zugpferd der Schweizer Wirtschaft, nicht der Bankensektor. Insofern geht mit Marcel Ospel beinahe schon symbolisch ein Teil des Finanzplatzes Schweiz, wie wir ihn kannten - und wie er wohl nicht mehr kommen wird.