"Wir sind eine weltoffene Volkswirtschaft, die quasi verpflichtet ist, Geld, das aufgrund einer Panik anderswo zu uns fliesst, aufzunehmen. Wir sind aber schlichtweg nicht in der Lage, all das Geld bei uns zu halten, ohne dass es zu Schäden führt", sagte Martin Neff am Mittwoch in einem cash-Interview.
Die Schweiz wird von Investoren als sicherer Hafen angesteuert, was den Franken stärkt. Bereits im Jahr 2012 stellte Neff als frankenschwächende Massnahme die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen in der Schweiz zur Diskussion. Eine Massnahme, die auch in der Schweizer Politik in den letzten Jahren ernsthaft geprüft wurde. Der Bundesrat veröffentlichte im Mai 2016 einen ausführlichen Bericht, wo er die währungspolitischen Instrumentarien aufzeigte. Der möglichen Einführung von Kontrollen beim Kapitalverkehr wurde darin ein ganzes Kapitel gewidmet.
Gerade jetzt, wo der Franken wieder deutlich Fahrt aufnimmt, werden Kapitalverkehrskontrollen wieder diskutiert. Es folgen die zentralen Fragen zum Thema:
Was ist das Ziel von Kapitalverkehrskontrollen?
Grundsätzlich geht es darum, die grenzüberschreitenden Geldströme zu kontrollieren. Mit dieser Massnahme kann eine Nation entweder verhindern, dass zu viel Geld das eigene Finanzsystem verlässt. Oder es kann damit auch einem zu starken Geldzufluss in das Land, was die Landeswährung aufwertet, entgegengesteuert werden. Im Falle der Schweiz würde klar letzteres angewandt: Das Ziel von Kapitalverkehrskontrollen wäre die Verhinderung eines Runs auf den Franken.
Kommen Kapitalverkehrskontrollen häufig vor?
International waren solche Kontrollen des Kapitals bis zu den 1970er Jahren in Industrieländern noch gang und gäbe, danach galten sie im Zuge der Liberalisierung von internationalen Kapitalflüssen als eher verpönt. Auch Schwellenländer bauten in den 1990er Jahren solche Kontrollen zunehmend ab. Doch verschiedene Krisen - vor allem die Finanzkrise 2007/08 - haben Kapitalverkehrskontrollen wieder etwas aufkommen lassen. Auch in Europa: Zur Krisenbekämpfung setzte etwa 2008 Island solche Massnahmen um, 2013 folgte Zypern und 2015 schliesslich Griechenland. Bei diesen Beispielen ging es jeweils darum, die Kapitalflucht zu mässigen.
Wie wird derzeit gegen die Frankenstärke vorgegangen?
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) setzt seit 2015 auf Negativzinsen in der Höhe von 0,75 Prozent auf bei ihr parkierte Gelder, die einen gewissen Freibetrag überschreiten. Auch hält sie mit Devisenkäufen einer Überbewertung des Frankens entgegen. Beide Instrumente sind jedoch nicht frei von Kritik: Die Negativzinsen zeigen ungewollte Nebenwirkungen wie eine Überhitzung am Immobilienmarkt oder eine zu hohe Risikobereitschaft der Anleger. Und durch die Devisenkäufe bläht sich die Bilanz der SNB stark auf. Verschiedene Marktteilnehmer - darunter auch Raiffeisen-Chefökonom Martin Neff - bezweifeln zudem, ob diese Massnahmen dem Franken überhaupt nachhaltig an Attraktivität nehmen können.
Wie könnte eine Kapitalverkehrskontrolle in der Schweiz umgesetzt werden?
Grundsätzlich gibt es zahlreiche Varianten zur Umsetzung. Grenzüberschreitende Geldgeschäfte könnten eingeschränkt, besteuert oder sogar ganz verboten werden. Auch ein Verbot der Einführung von grossen physischen Bargeldbeträgen in die Schweiz wäre möglich. Denkbar sind zudem Einschränkungen bei der Bargeldabhebung. In einem Interview mit der Westschweizer Tageszeitung "Le Temps" aus dem Jahre 2015 machte Daniel Kalt, Chefökonom UBS Schweiz, konkrete Vorschläge für die Schweiz: Die täglichen Geldbezüge könnten auf 100 oder 500 Franken begrenzt werden. Auch eine Gebühr von zwei Prozent für jeden Bargeldbezug brachte er ins Spiel.
Entscheidet die SNB über die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen?
Nein, ein solcher Entscheid müsste wohl der Bundesrat fällen. Zuerst wäre dafür aber eine Gesetzesänderung notwendig. Der Bundesrat würde dann jedoch kaum im Alleingang eine solche Notfallmassnahme durchführen, sondern zumindest Rücksprache mit der SNB oder der Finanzmarktaufsicht Finma halten. Ab 2011 hatte sich tatsächlich eine Task Force mit Vertretern des Finanzministeriums, der SNB und der Finma gebildet, die unter anderem auch die Möglichkeit einer Kapitalverkehrskontrolle überprüften.
Gab es in der Schweiz schon einmal Kapitalverkehrskontrollen?
Ja. Bereits nach dem Ende des fixen Währungssystems Bretton-Woods im Jahre 1973 wertete der Franken gegenüber allen wichtigen Währungen stark auf. Die Schweizer Behörden setzten in der Folge ein Massnahmenpaket um, mit dem Ziel der Frankenaufwertung entgegenzuwirken. Dazu gehörte unter anderem eine Einschränkung für Ausländer beim Kauf von Schweizer Obligationen und anderen Wertpapieren, auch der Grundstückkauf durch Ausländer wurde eingeschränkt. Hinzu kamen Kommissionen von bis zu 10 Prozent pro Quartal für ausländische Personen, die Gelder von über 5 Millionen Franken bei Schweizer Geschäftsbanken parkierten.
Wie lautet das Fazit der Kapitalverkehrskontrollen in der Schweiz in den 1970ern?
Wie der Bundesrat in einem Bericht im Mai 2016 schrieb, konnten die in den 1970er-Jahren eingesetzten Massnahmen den Aufwertungsdruck auf den Franken nicht stoppen. Viele seien einfach zu umgehen gewesen. So hätten etwa ausländische Investoren Schweizer Franken anstatt in der Schweiz einfach bei einer ausländischen Bank angelegt. Schlussendlich führte die SNB Ende 1978 eine Kursuntergrenze zur D-Mark ein und hob die meisten Kapitalverkehrskontrollen wieder auf.
Was hält die SNB von Kapitalverkehrskontrollen?
Bereits im Dezember 2011 brachte die SNB - zur Überraschung vieler - die Möglichkeit von Kapitalverkehrskontrollen aufs Tapet. Der damalige SNB-Präsident Philipp Hildebrand sprach davon, dass der Bundesrat die Umsetzbarkeit ergänzender Massnahmen prüfe, die nicht in alleiniger Kompetenz der SNB lägen. Darunter würden Einschränkungen oder die Unterbindung von Kapitalflüssen fallen. Der damalige Vize-Präsident Thomas Jordan ergänzte, dass es sich um flankierende Massnahmen "für absolute Notfälle" handle. Im Januar 2015 dämpfte Jordan in einem Interview mit der NZZ dann die Erwartungen bezüglich einer Einführung von Kapitalverkehrskontrollen wieder etwas: "Ich halte das heute für keine realistische Option."
Was sagt der Bundesrat?
Der Bundesrat hält, wie er 2016 ausführte, solche ausserordentlichen Massnahmen für "weder notwendig noch zielführend". Die Instrumente der SNB würden ausreichen. Einerseits betont er die Umgehungsmöglichkeiten von Kapitalverkehrskontrollen, aber auch die "beträchtlichen" volkswirtschaftlichen Kosten, die damit verbunden seien. So seien Exporteure, der Finanzplatz Schweiz, aber auch Anleger sowie Konsumenten auf freien Kapitalverkehr mit dem Ausland angewiesen. Zudem wäre mit erheblichen administrativen Kosten für Unternehmen und Staat zu rechnen. Hinzu kämen negative Auswirkungen auf die internationale Reputation der Schweiz.