cash: Herr Kim, Sie sind Direktor beim koreanischen Autoproduzentenverband. Im Juli warnte der Verband vor einem schnellen Niedergang der südkoreanischen Autoindustrie. Südkorea sei das einzige Land unter den Top Ten Autoproduzenten der Welt, das seit vier Jahren sinkende Produktion aufweist. Ist es tatsächlich so dramatisch?

Tae-Nyeon Kim: Man muss sicher sehen, dass die weltweite Nachfrage seit letztem Jahr sinkt, und zwar um rund 1 bis 2 Prozent. Wir schätzen im nächsten Jahr einen weiteren Nachfragerückgang um 2 bis 4 Prozent weltweit. Einer der Hauptgründe ist die jüngere Generation. Die Jungen wollen Autos lieber mieten oder teilen. 

Hat die «Krise» auch lokale Gründe?

In Korea haben wir hohe Arbeitskosten. Die lokale Produktion und die Exporte werden in den nächsten Jahren weiter sinken. Bei letzteren sind wir etwa auf dem Stand von vor zehn Jahren angekommen. Die Verkäufe im Inland werden mittelfristig ungefähr gleich bleiben.

Was unternehmen Sie gegen diesen schleichenden Rückgang?

Das entscheidet weitgehend der Markt, und den können wir nicht beeinflussen. Wir von der Automobilvereinigung können Empfehlungen zuhanden der Regierung abgeben. Dies allerdings auch nur in begrenztem Rahmen. 

Wie viele Dieselautos fahren auf Südkoreas Strassen herum?

Der Anteil der Dieselautos nimmt massiv ab. Diese hatten bis vor wenigen Jahren einen Anteil von rund 50 Prozent am südkoreanischen Automarkt, heute sind es noch rund 37 Prozent. Der Anteil wird weiter sinken, denn die Regierung will die Dieselautos vom Verkehr ausschliessen. Sie sollen ersetzt werden durch elektrisch angetriebene Autos oder Fahrzeuge, die mit Wasserstoff beziehungsweise Flüssiggas funktionieren. Das Problem ist derzeit noch, dass in Koreas die Dieselautos zwar teurer sind, Diesel als Kraftstoff aber billiger ist als Benzin. Daher kaufen die Leute noch immer Dieselautos. Und elektrisch angetriebene Autos sind in Korea immer noch sehr teuer.

Wie schnell werden sich die neuen Fahrzeuge verbreiten?

Der Plan der Regierung sieht vor, dass der Anteil der elektrisch angetriebenen Autos auf 10 Prozent bis ins Jahr 2030 steigt. Längerfristig soll er 20 Prozent betragen. Den Rest werden Flüssiggas-Fahrzeuge und Benziner ausmachen, deren Anteil allerdings auch kontinuierlich sinken wird. 

Korea ist weltweit führend bei der Einführung der 5G-Technologie und hat somit sehr gute Voraussetzungen für autonome oder teilautonome Fahrzeuge. Wo steht Korea in der Entwicklung?

Ich würde sagen, Korea befindet sich auf Stufe zwei von insgesamt fünf Stufen auf der Skala, die es für autonomes Fahren benötigt. Viele koreanische Neuwagen haben serienmässig bereits Funktionalitäten dafür eingebaut, wie etwa das automatische Spurhalten oder automatisches Bremsen. Einige Autobahnabschnitte und Stadtgebiete in Korea sind bereits vorgesehen für führerlose Fahrzeuge. Die Stufe drei werden wir wohl nächstes Jahr erreichen. Hyundai will dann im Jahr 2021 ein teilautonomes Auto auf den Markt bringen, das Stufe vier entspricht. Laut des Plans der Regierungen soll schliesslich im Jahr 2027 vollautomatisierte Autos auf Südkoreas Strassen fahren. Der Anteil der teilautonom fahrenden Autos soll bis zu diesem Zeitpunkt schon rund 20 Prozent am Gesamtverkehr betragen. Das sind sehr ambitionierte Pläne, wenn Sie mich fragen.

Wie wird das getestet?

Vor zwei Jahren wurde K-City gebaut. Dort wird auf 320'000 Quadratmetern in einer simulierten Stadt das autonome Fahren ausgetestet. Geplant sind übrigens zwei grosse Datenzentren in Südkorea, die den Verkehr und die Fahrzeuge dereinst überwachen und mit Daten füttern. Aber heute gibt es noch viele Probleme, die geklärt werden müssen: Rechtliche Fragen, das konstante Aktualisieren von grossen Datenbanken oder soziale Phänomene wie der Widerstand der Taxifahrer. Ein grundsätzliches Problem ist noch immer, dass den autonom fahrenden Autos schlechtes Wetter grosse Schwierigkeiten bereitet.

K-City rund eine Stunde südlich von Seoul: Hier testet Südkorea das autonome Fahren.

Trotzdem erstaunt es, dass Hyundai nicht unter den zehn Autoproduzenten erscheint, die führend sind bei der Entwicklung von selbstfahrenden Autos. Hat Hyundai geschlafen?

Ich glaube nicht, dass Hyundai hinterherhinkt. Hyundai hat eine Task Force und eine spezielle Abteilung für Forschung und Entwicklung von selbstfahrenden Autos. Diese existiert schon seit fünf Jahren. Zudem ist Hyundai in diesem Jahr ein vier Milliarden Dollar schweres Joint Venture mit dem irischen Tech-Autozulieferer Aptiv eingegangen und will bis 2027 35 Milliarden Dollar in die Entwicklung von selbstfahrenden Autos stecken. Das ist viel Geld. 

Werden die grossen Autofirmen auseinanderbrechen, weil sie zunehmend mit spezialisierten Tech-Firmen zusammenspannen müssen bei der Entwicklung von modernen Autos?

Ich glaube schon, ja. Die Autoproduzenten können die Technologie für die Autos der Zukunft nicht selber herstellen. Joint Ventures oder andere Arten der Zusammenarbeit werden immer wichtiger. Die eigentliche Produktion von Autos wird eine untergeordnete Rolle spielen. Die IT wird umso wichtiger. Auch die Bedeutung von Automarken und das Branding werden deutlich abnehmen. Die Konsumenten werden sich nicht mehr nach der Automarke orientieren, sondern nach der Technologie, die in den Autos eingebaut ist.

Der Leiter des Research Labs von Hyundai schrieb kürzlich in einem internen Newsletter, dass der grösste Konkurrent von Hyundai in Zukunft nicht mehr traditionelle Autohersteller seien, sondern Google. Stimmen Sie zu?

Da bin ich einverstanden. Google oder andere IT-bezogene Unternehmen werden den Lead haben. Diese Unternehmen sind auch kapitalkräftiger geworden. Die Autohersteller können den Rückstand bei der IT nicht mehr aufholen. 

Welches Land hat die grössten Startvorteile bei der Entwicklung von selbstfahrenden Autos?

Ich würde sagen China, aber auch die USA schon rein wegen der Grösse des Landes. China muss wegen des Einparteiensystems kaum Rücksicht nehmen auf Regulierungen und Gesetze, die anderswo zu langen Diskussionen führen, wenn es zu Änderungen kommt. Und das Sammeln von Daten geht in China einfacher. Dazu hat China sehr viele gute IT- und Software-Firmen auf dem Gebiet der selbstfahrenden Fahrzeuge. 

Wollen die Leute das Autofahren überhaupt aufgeben? Das Lenken eines Fahrzeuges ist doch immer noch mit viel Spass verbunden.

Gegenfrage: Welche Unterhaltung bietet Autofahren heute über das aktive Lenken hinaus? Das führerlose Fahren bietet für Fahrzeuginsassen Beschäftigungen aller Art: Spielen, lernen, schlafen, lesen, essen und so weiter. Ich bin überzeugt: Sind autonome Autos einmal eingeführt, wird der Spass am eigenen Fahren immer mehr in den Hintergrund treten. 

Sie haben viele Pläne genannt. Könnte es sein, dass die Industrie und auch die Regierungen zu optimistisch sind bezüglich der Entwicklung der autonomen Autos?

Ich weiss es nicht. Ich selber bin optimistisch. Ich muss das ja sagen, weil ich für den Automobilverband arbeite (lacht). Im Ernst: Niemand kann die Zukunft der Automobilindustrie wirklich voraussagen. Es wird sicher ein fundamentaler Wandel stattfinden. Der grundlegende Trend geht Richtung Umweltfreundlichkeit und erneuerbare Energien. Fossile Brennstoffe werden langfristig stark zurückgehen. 

Blick in ein Testzentrum für autonomes Fahren in Südkorea (Bild: cash.ch).

Tae-Nyeon Kim ist Executive Director bei Kama, dem Verband der koreanischen Autoproduzenten. Das Interview fand im Kama-Hauptsitz in Seoul statt. Es entstand im Rahmen einer Pressereise, zu der Kotra (Förderstelle für Investitionen in Korea) eingeladen hatte.