Die grösste russische Investmentbank VTB Capital hat sich einen prächtigen Platz im Londoner Finanzviertel gesichert. Das palastartige Gebäude liegt direkt gegenüber der altehrwürdigen Bank of England, der britischen Zentralbank. Vergangene Woche tat sich dort Ungewöhnliches: Die an dem Gebäude angebrachte und weithin sichtbare russische Fahne wurde eingeholt und damit der Rückzug aus einem der wichtigsten globalen Zentren für Geldströme signalisiert. Mehr noch: Dies könnte den Anfang vom Ende von "Londongrad" symbolisieren, wie die britische Hauptstadt wegen ihrer Attraktivität als Wohnsitz für russische Oligarchen auch genannt wird.
Stunden zuvor hatte Großbritannien bekannt gegeben, dass es die Vermögenswerte der grössten russischen Investmentbank einfrieren wird - als Strafe für Moskaus Einmarsch in der benachbarten Ukraine. London hat Banken und Mitglieder des engsten Kreises von Präsident Wladimir Putin ins Visier genommen, ein Verbot für den Verkauf russischer Anleihen auf den Londoner Märkten verhängt und die Einlagen russischer Bürger eingeschränkt.
London war bis dahin auch der bevorzugte Ort für die ausländische Kapitalbeschaffung russischer Unternehmen, von denen sich viele nach einer Börsennotierung sehnten, um internationales Ansehen zu erlangen. Mehr als 20 von ihnen mit einem Gesamtmarktwert von mehr als 400 Milliarden Pfund sind an der Londoner Börse (LSE) notiert.
VTB Capital, die Investmentbanking-Sparte der zweitgrössten russischen Bank VTB, wurde während der globalen Finanzkrise 2008 als Symbol für die Bemühungen Moskaus um die Integration des Landes in die Weltwirtschaft gegründet. Nun ist sie ins Visier der britischen Regierung geraten, da sie Dutzende von Milliarden Pfund für den Kreml und staatseigene Unternehmen beschafft hat, während sie zugleich vom russischen Staat kontrolliert wird. Sie hat VTB Capital eine Frist von 30 Tagen eingeräumt, um alle Transaktionen zu beenden. Das könnte es der Bank ermöglichen, Vermögenswerte zu transferieren und ihre Aktivitäten in andere Länder zu verlagern.
Geld fliesst nun offenbar vermehrt in britische Steuerparadiese
Bisher hat Grossbritannien nur zehn Russen mit vergleichsweise geringen Vermögenswerten in Grossbritannien sanktioniert. Am Wochenende gab der Milliardär Roman Abramowitsch bekannt, dass er die Leitung seines Fussballclubs Chelsea an die Wohltätigkeitsstiftung des Vereins abgibt.
In den 30 Jahren seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben sich russische Unternehmen tief in das britische Finanzsystem eingegraben. Das hat den Sicherheits- und Geheimdienstausschuss des britischen Parlaments bereits im Jahr 2020 zu der Warnung veranlasst, dass der Einfluss inzwischen "nicht mehr entwirrt werden kann". Russische Milliardäre sind zwar vor allem für ihre Luxusvillen in den Stadtteilen Belgravia und Knightsbridge bekannt. Doch vor allem der Schutz durch das englische Rechtssystem und die lockere Regulierung haben London zum Zufluchtsort für deren Privatvermögen gemacht.
Mehr als 27 Milliarden Pfund haben Russen in Großbritannien investiert. Dort gehen sie ihren Bankgeschäften nach, shoppen und lassen ihre Kinder an renommierten Schulen und Universitäten ausbilden. Schätzungsweise 60 Prozent des Vermögens der reichsten Haushalte Russlands lagern im Ausland, ein Grossteil davon in London. Die neuen Sanktionen treffen viele von ihnen nicht unvorbereitet. "Die Anwaltskanzleien arbeiten auf Hochtouren", sagt ein Insider. Es wird vermutet, das russisches Geld nun vermehrt in britische Steuerparadiese fliesst, darunter die Kaimaninseln und die Britischen Jungferninseln. Offen ist, ob diese gezwungen werden, die wahren Eigentümer der Vermögenswerte offen zu legen.
Roman Borissowitsch, ein ehemaliger Moskauer Investmentbanker, der sich jetzt für die Korruptionsbekämpfung einsetzt, fordert London zu stärkeren Restriktionen auf. "Das Vereinigte Königreich ist das schwächste Glied, das die Bemühungen der gesamten westlichen Allianz im Stich lässt", sagt Borissowitsch. Die bisher angekündigten Maßnahmen seien "nicht einmal im Entferntesten ausreichend".
Vielschichtiges System von Treuhandgesellschaften
Der einst reichste Mann Russlands, Michail Chodorkowski, der sich schon vor Jahren mit dem Kreml überworfen hat, verlangt ebenfalls nach härteren Massnahmen. "Wenn sie nur drei Oligarchen mit Sanktionen belegen und Putin sagen, dass er ein schlechter Mensch ist und ihn am Einkaufen in Mailand hindert, dann wird Putin nur lachen", sagt Chodorkowski.
Die Regierung sieht das etwas anders. "Unsere klare Absicht ist es, die Nutzung Londons durch Russen als Ort für die Aufbewahrung oder Beschaffung von Geld zu unterbinden", sagt einer ihrer Vertreter zu Reuters. Weitere Sanktionen sollen folgen, auch gegen hochrangige Einzelpersonen und Unternehmen. Die Zahl der Mitarbeiter, die an der Umsetzung der Sanktionen beteiligt ist, habe sich binnen in zwei Monaten verdreifacht.
Außenministerin Liz Truss warnte hingegen bei einem privaten Treffen mit Abgeordneten, dass Londoner Anwaltskanzleien die Umsetzung von Sanktionen gegen russische Oligarchen verzögerten, wie es Ben Bradshaw von der oppositionellen Labour Party ausdrückte. Selbst wenn Konten ausfindig gemacht werden könnten, dürfte das vielschichtige System von Treuhandgesellschaften ein großes Hindernis bei dem Versuch sein, einzelne Konten einzufrieren. "Ich denke, die meisten von ihnen haben ihre Konten bereits verlagert, nur um sicherzugehen, dass sie nicht unter die Sanktionen fallen", sagt Sergej Alexaschenko, ehemaliger Vizechef der russischen Zentralbank, der sich nach einem Zerwürfnis mit der Regierung Putin im US-Exil befindet.
Größere Folgen dürfte dagegen das Flugverbot für Aeroflot und russische Privatjets haben, sagt Chris Weafer von der in Moskau ansässigen Beratungsfirma Macroadvisory. "Mit dem Verbot von Aeroflot wurde der Nagel auf den Kopf getroffen", sagt Weafer. Er verwies auf die vergleichsweise große Zahl russischer Kinder, die in Grossbritannien zur Schule gehen, auf die gern genutzten medizinischen Einrichtungen Londons und die beliebten Luxusgeschäfte an der Themse.
(Reuters)