Anders als der Nationalrat widmete sich der Ständerat am Montag in einer ausgiebigen Debatte der kniffligen staatspolitischen Frage bezüglich der Neutralität. Neben den Vertretern der SVP kamen auch eine Minderheit von FDP und der Mitte zum Schluss, dass angesichts der neuen Ausgangslage ein Rückzug des Beitrittsgesuchs die bessere Lösung sei und votierten für die Motion oder enthielten sich zumindest der Stimme.
"Der Bundesrat wird beauftragt, auf eine Kandidatur der Schweiz für den Uno-Sicherheitsrat zu verzichten." So lautete die Forderung von Ständerat und SVP-Parteipräsident Marco Chiesa, aus deren Anlass am Montag im Ständerat eine ausserordentliche Session traktandiert war. Werner Salzmann (SVP/BE) begründete im Namen des entschuldigten Chiesa die Motion.
Wie beim Angriff auf den Irak entschieden?
Er kritisierte namentlich, dass in dieser Kernfrage für die Schweiz das Volk nie in den Prozess mit einbezogen worden sei. Die Schweiz würde sich mit einer Einsitznahme im Uno-Sicherheitsrat in eine schwierige Situation manövrieren. Er frage sich etwa, was die Schweiz 2003 als Mitglied wohl entschieden hätte, als der Sicherheitsrat aufgrund von Falschinformationen des damaligen US-Aussenministers Colin Powell den Angriff auf den Irak beschloss.
Thomas Minder (parteilos/SH) warnte davor, das breit verankerte und international anerkannte Image der Schweiz als Vermittlerin weltweit zu beschädigen und zunichte zu machen. "Welche Position die Schweiz auch vertreten wird, sie wird ihr um die Ohren fliegen."
Lieber kurz vor dem Gipfel umdrehen
Auch Heidi Z'graggen (Mitte/UR) und Beat Rieder (Mitte/VS) warben für einen kurzfristigen Verzicht auf den Einsitz im Sicherheitsrat. Der Nutzen einer Umkehr kurz vor dem Gipfel wegen eines schweren Unwetters könne ein gutes Signal sein, welchen Wert die Neutralität und die guten Dienste für die Schweiz hätten, sagte Z'graggen.
Rieder sieht die Schweiz insbesondere weder rechtlich noch organisatorisch bereit, um eine solch delikate Aufgabe auszuführen. Dafür müsse der Bundesrat zuerst die Grundlagen neu festlegen, sonst drohe der Schweizer Neutralität nachhaltiger und schwerer Schaden, wenn sie innerhalb von wenigen Stunden über schwerwiegende Sanktionen mitentscheiden müsse.
Die Mehrheit und der Bundesrat sahen dies jedoch anders, auch wenn sie durchaus Verständnis zeigten für gewisse Bedenken. Die zweijährige Mitgliedschaft der Schweiz im Sicherheitsrat sei eine Anerkennung der guten bisherigen Arbeit in der Uno und werde langfristig positive Auswirkungen auf die Schweiz als verantwortungsvolles Mitglied der Völkergemeinschaft haben, zeigte sich Damian Müller (FDP/LU) überzeugt.
Neutralität im Wandel
Carlo Sommaruga (SP/GE) gab zu bedenken, die Neutralität wandle sich im internationalen Kontext. Lange seien nur die wirtschaftlichen Interessen massgebend dafür gewesen, nun stünden eher die Werte im Vordergrund. Das sei das wichtigste für die Friedensarbeit. Für Andrea Gmür-Schönenberger (Mitte/LU) ist der Beitritt der Schweiz die logische und konsequente Folge der Aussenpolitik der letzten 20 Jahre.
Pirmin Bischoff (Mitte/SO) schliesslich räumte ein, es gebe "drfür u drwider". Er sehe aber mehr Chancen als Risiken. Sanktionen müsse die Schweiz als Uno-Mitglied schon heute mittragen, nur habe sie dazu aktiv nichts zu sagen. Er erwarte allerdings vom Bundesrat, dass in New York nur mit erstklassigem Personal gearbeitet werde, das das Handwerk beherrsche. "Es verträgt nur die Besten."
Eine Mitgliedschaft im Sicherheitsrat sei im Interesse der Schweiz und mit der Neutralität vereinbar, bekräftigte Bundespräsident Ignazio Cassis auch im Ständerat. Gerade in diesen dunklen Zeiten stehe der Bundesrat "mehr denn je" voll hinter der Kandidatur. Die Schweiz sei die Stimme der Minderheiten und Kompromisse. Sie habe im Sicherheitsrat viele Kompetenzen zur Verfügung zu stellen.
Cassis: "Es wird kein Spaziergang"
Die Neutralität hindere die Schweiz aber nicht daran, ihre Werte zu verteidigen. Das heisse nicht, dass die Schweiz gleichgültig sei und Verletzungen von internationalem Recht nicht verurteile, so wie in den letzten Wochen zum Ukraine-Krieg.
Die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat sei für die Schweiz eine Gelegenheit, ihr Ansehen und ihre friedenspolitische Glaubwürdigkeit weiter zu stärken. Ein Rückzug der Kandidatur hätte nach Ansicht des Bundesrats auch einen Glaubwürdigkeitsverlust zur Folge.
Der Bundesrat sei sich bewusst, dass es "kein Spaziergang" werde. Er wisse die Diskussion und die Argumente der Kritiker in diesem Sinne sehr zu schätzen. Intern habe man die Prozesse aber genau definiert. "Wir sind bereit, Sie sind bereit, wir schaffen das, so selbstbewusst darf man schon sein."
(AWP)