Weiterhin sind in der Schweiz fast vier von fünf Intensivbetten belegt - ein Drittel mit Covid-Patienten. In den Kantonen Thurgau, Zug und Glarus gibt es derzeit keine freien Intensivbetten mehr.
"Es wäre töricht, nicht darauf zu reagieren", sagte Gesundheitsminister Alain Berset am Mittwoch vor den Medien in Bern. Es sei bereits September, und die Fallzahlen seien weiterhin hoch. "Im Hinblick auf Herbst und Winter würde niemand verstehen, wenn man die Überlastung des Gesundheitssystems in Kauf nähme."
Im Gegensatz zu vergangener Woche, als der Bundesrat wegen "fehlender Dringlichkeit" noch auf eine Ausweitung der Zertifikatspflicht verzichtete, sei dieser Schritt nun zwingend, wolle man die Schliessung von Betrieben verhindern, sagte Berset.
Zertifikat als Eintrittsticket
Konkret gilt ab dem kommenden Montag eine Zertifikatspflicht in Innenbereichen von (Hotel-)Bars und Restaurants, in Freizeit-, Sport- und Unterhaltungsbetrieben wie Theater, Kinos, Casinos, Schwimmbäder, Museen, Zoos sowie bei Veranstaltungen oder Aktivitäten von Sport- und Kulturvereinen im Innenbereich. Die Kantone oder die Hochschulen können zudem eine Zertifikatspflicht für den Studienbetrieb auf Bachelor- und Masterstufe vorschreiben.
Der Bundesrat will es auch Unternehmen ermöglichen, das Zertifikat bei ihren Arbeitnehmenden zu überprüfen, "wenn es dazu dient, angemessene Schutzmassnahmen festzulegen oder Testkonzepte umzusetzen". Falls ein Arbeitgeber von seinen Arbeitnehmenden einen Test verlangt, muss er die Kosten dafür selber tragen.
Eine eigentliche Zertifikatspflicht am Arbeitsplatz ist das aber laut Experten des Bundes nicht. Der Arbeitgeber könne mit dieser gesetzlichen Grundlage den Impfstatus abfragen, müsse aber nicht. Bei einer ungeimpften Person könne der Arbeitgeber beispielsweise bestimmen, dass eine Maske am Arbeitsplatz getragen werden muss.
Explizit ausgenommen von der ausgeweiteten Zertifikatspflicht sind aus Gründen des Grundrechtsschutzes religiöse Veranstaltungen sowie Anlässe zur politischen Meinungsbildung bis maximal fünfzig Personen. Auch in Parlamenten und an Gemeindeversammlungen gilt die Zertifikatspflicht nicht. Der Grund dafür sei, dass es um die Ausübung politischer Rechte gehe, sagte Berset.
«Rückkehr zu mehr Normalität»
Den Vorwurf, der Bundesrat führe mit der ausgeweiteten Zertifikatspflicht indirekt einen Impfzwang ein, wies der Bundesrat zurück. "Das Covid-Zertifikat steht allen offen - auch Personen, die sich testen lassen", sagte Bundespräsident Guy Parmelin. Die Massnahme sei "volkswirtschaftlich tragbarer als alle anderen Optionen".
Parmelin erwähnte weitere Vorteile der ausgedehnten Zertifikatspflicht beispielsweise in Restaurants: Das Zertifikat gebe den Unternehmen mehr Freiheiten, weil die Maskenpflicht falle, keine Trennwände mehr nötig seien und keine Abstandsregeln mehr gälten. "Es ist eine Rückkehr zu mehr Normalität."
Wer sich nicht an die neuen Regeln hält, kann mit hundert Franken gebüsst werden. Einrichtungen und Veranstaltungen, welche die Zertifikatspflicht nicht beachten, können auch geschlossen werden. Für die Kontrolle sind die Kantone zuständig.
Impfkampagne vorantreiben
Lukas Engelberger, Präsident der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK), bezeichnete die Ausweitung der Zertifikatspflicht als "ein Mittel, mehr Sicherheit zu erreichen zu einem vergleichsweise tiefen Preis".
Damit sei es aber nicht getan: "Das Zertifikat alleine wird uns nicht retten". Es brauche weitere Fortschritte in der Impfkampagne. Es gehe nun darum, jene Personen zu erreichen, die zögerlich, unsicher und abwartend seien.
"Sämtliche Kantone intensivieren ihre Kampagne", sagte Engelberger. Dabei gehe es darum, mehr Angebote ohne Voranmeldung zu schaffen sowie dezentrale Angebote in Arztpraxen und Apotheken oder Impfmobilen auszubauen. Engelberger appellierte an die ungeimpfte Bevölkerung: "Kümmern Sie sich bitte heute noch um ihre Impfung."
Reisen wird komplizierter
Ansteckungen will der Bundesrat künftig auch mit schärferen Einreiseregeln vermindern. Wer nicht geimpft oder genesen ist, soll nur noch mit einem negativen PCR-Test in die Schweiz einreisen dürfen. Danach soll entweder nach vier bis sieben Tagen ein zweiter PCR-Test folgen oder eine Quarantäne von einer Dauer von mindestens sieben Tagen.
Die Konsultation zu diesen Vorschlägen dauert bis zum 17. September. Dabei soll auch geklärt werden, wie die Tests und die Registrierungspflicht bei der Einreise in die Schweiz kontrolliert werden.
Berset stellte vorsorglich klar, dass es auch nach der geplanten Einführung am 20. September Lücken geben wird. "Es wird bei den vielen Grenzübergängen in der Schweiz keine vollständigen Kontrollen geben, sondern nur Stichproben."
(AWP)