Herr Burggraf, erstklassige Staatsanleihen wie die der Eidgenossenschaft oder der Bundesrepublik Deutschland haben teils länger schon eine negative Rendite. Wieso soll man noch in Staatsanleihen investieren?

Tobias Burggraf: Tatsächlich ist es so, dass die Renditen für zehnjährige Bundesanleihen seit Anfang des Jahres um rund 25 Basispunkte gestiegen sind. Da steigende Anleihenrenditen mit fallenden Kursen einhergehen, hat ein Investor, der seit Anfang des Jahres in deutsche Staatsanleihen investiert ist, effektiv rund zwei Prozent verloren. Dennoch ist die Menge an im Umlauf befindlichen Bundesanleihen in den letzten Monaten sogar noch deutlich zurückgegangen und liegt laut aktuellen Berechnungen von Bloomberg bei nur noch 11 Prozent. Bundesanleihen sind somit nach wie vor stark nachgefragt. Doch diese hohe Nachfrage trifft auf das beschriebene geringe Angebot, was wiederrum das Aufwärtspotential der Renditen begrenzt.

Woher stammt die Nachfrage nach Staatsanleihen angesichts des aktuellen Renditeniveaus?

Vor allem professionelle Anleger und öffentlich-rechtliche Institutionen treten weiterhin als Käufer auf. Versicherungen und Pensionskassen sind aus aufsichtsrechtlichen Gründen gezwungen, einen bestimmten Anteil an hochwertigen Vermögenswerten zu halten, um die langfristige Bedienbarkeit der Pensions- und Versicherungsleistungen sicherzustellen. Daher kaufen sie in der Regel langlaufende Anleihen und halten diese dann bis zur Endfälligkeit. Banken wiederum halten Bundesanleihen für ihre Liquiditätsreserve. Benötigen sie Zentralbankgeld, können sie Bundesanleihen als Sicherheiten in Rückkaufvereinbarungsgeschäften, sogenannte Repos, bei der Zentralbank hinterlegen. Und schliesslich wollen viele Asset Manager nach einem sehr guten Jahr 2021 keine unnötigen Risiken mehr eingehen und ihre Jahresperformance 'sicherstellen'. Da in der Regel nur eine bestimmte Cash-Quote erlaubt ist, werden sichere Bundesanleihen als Liquiditätsersatz genommen.

Offenbar gibt es inzwischen kaum noch genügend Bundesanleihen, um die hohe Nachfrage auf dem Repo-Markt zu befriedigen.

Ja. Grund hierfür sind die Zentralbanken, die seit der Corona-Krise auch wieder verstärkt als Käufer auftreten, um die Wirtschaft im Euroraum anzukurbeln. Die Bundesbank hat im Auftrag der EZB fast ein Drittel aller ausstehenden deutschen Staatsanleihen aufgekauft. Nach den Regelungen des EZB-Anleihekaufprogramm PSPP wären maximal 33 Prozent erlaubt. Diese Grenze wurde mit dem Pandemie-Anleihekaufprogramm PEPP aufgehoben. Hinzu kommen weitere 11 Prozent, die von der Finanzagentur gehalten werden. Damit liegt der Anteil der im Besitz von staatlichen Institutionen befindlichen Bundesanleihen bei weit über 40 Prozent. In gewisser Weise haben also die strengen regulatorischen Anforderungen und die Pandemie-Anleihenkaufprogramme das Angebot deutlich verknappt und dazu geführt, dass die Anleger nun händeringend nach Nachschub suchen. Gleichzeitig haben die günstigen Finanzierungsbedingungen und die zunehmende Verschuldung von Staaten und Unternehmen zu einer Verschlechterung der Kreditprofile und einer Reihe von Herabstufungen durch die Rating-Agenturen geführt, wodurch sich das investierbare Universum an Wertpapieren mit AAA-Rating weiter verringert hat.

Sind erstklassige Staatsanleihen demzufolge nur noch etwas für Institutionelle Anleger und Zentralbanken?

Nein, auch im Portfolio des durchschnittlichen Sparers kann eine Beimischung von Anleihen weiterhin Sinn machen – zumindest solange man Staatsanleihen vornehmlich als Instrument zur Absicherung von Verlusten versteht. Aufgrund ihrer geringen Volatilität und niedrigen Korrelation mit anderen Anlageklassen wie Aktien bieten Staatsanleihen einen wirksamen Schutz gegen Marktturbulenzen und steigen in Extremsituationen deutlich im Kurs, wenn alle anderen Vermögenswerte fallen.

Können Sie das erläutern?

Ein passendes Beispiel konnte man jüngst an den internationalen Marktplätzen beobachten, als die Sorge um die sich rasant ausbreitende Omikron-Variante zu einem Kursrutsch an den globalen Aktienmärkten führte, während Bundesanleihen dagegen deutlich zulegen konnten.

Wie sehen Sie die mittelfristige Zukunft für Staatsanleihen unabhängig von Sonderereignissen?

Eine schrittweise Abkehr von der ultralockeren Geldpolitik durch die EZB wird voraussichtlich zu einem moderaten Anstieg der Renditen führen. Dennoch haben gerade  Bundesanleihen aus einer Risikomanagement-Perspektive weiterhin ihre Daseinsberechtigung. Die letzten Tage haben das noch einmal eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Dr. Tobias Burggraf ist Mitglied des Portfoliomanagement-Teams bei Ethenea Independent Investors, wo er mitverantwortlich für die Anleihenselektion für den "Ethna-AKTIV" und den "Ethna-DEFENSIV" ist. 

(cash)