Wenn sich alle an die Regeln hielten, könnte die Epidemiekurve bald abflachen. "Ich erwarte, dass in rund einer Woche der Anstieg nicht mehr so stark ist", sagte Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) am Samstag vor den Bundeshausmedien. Damit es tatsächlich so weit komme, müsse die gesamte Bevölkerung Eigenverantwortung zeigen.
Koch richtete am Samstag noch einmal einen dringenden Appell an ältere Leute. Wenn er Menschen mit dem Rollator an der Sonne spazieren sehe, finde er das in Ordnung. Weniger gut finde er es, wenn er die gleichen Leute im Einkaufszentrum sehe.
"Jeder und jede muss versuchen, niemanden anzustecken und nicht angesteckt zu werden", sagte Koch. Das gelte ganz besonders für Risikopersonen. Diese müssten jetzt unterstützt werden, damit sie sich keinem Risiko aussetzten.
Noch genug Betten im Tessin
Nach Angaben von Koch gibt es in der Schweiz inzwischen über 6100 positive Fälle und 56 Todesfälle. Diese Zahlen würden in den nächsten Tagen weiter steigen und erst dann möglicherweise abflachen.
Die Situation im Tessin sei angespannt - in Italien sei sie dramatisch. Dort habe es bereits über 4000 Todesfälle gegeben. Das sei sehr viel, auch im Verhältnis zu den Erkrankten, sagte Koch. "Wir werden alles daran setzen müssen, dass wir in der Schweiz nicht zu einer so hohen Todesfallrate kommt."
Momentan müssten im Tessin keine Patienten in Spitälern abgewiesen werden, sagte Koch. "Es gibt zurzeit noch genügend Betten." Das habe ihm der dortige Kantonsarzt am Samstagmittag versichert.
Koch kontert Kritik
In der ganzen Schweiz gibt es rund 800 Intensivpflegeplätze. Im Moment versuchten alle Spitäler und alle Kantone, laufend zusätzliche Intensivpflegeplätze zu schaffen, sagte Koch. Deshalb ist es sehr schwierig, jetzt eine fixe Zahl zu nennen.
Der Bund wehrt sich wie die Kantone gegen Kritik, wonach sich die Behörden schlecht auf eine Pandemie vorbereitet hätten. "Die Schweiz hat sich gut vorbereitet." Niemand habe die heutige Situation vorhersehen und vorbereiten können. Deshalb sei es auch nicht erstaunlich, dass gewisse Dinge nicht auf Anhieb funktionierten.
Helikopter an der Grenze
Eine positive Zwischenbilanz zieht die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV). Das neue Grenzregime werde grösstenteils akzeptiert, sagte Direktor Christian Bock. Trotzdem würden die Kontrollen verstärkt - unter anderem mit zusätzlichen Helikoptern.
Es gebe noch immer Versuche, über Feldwege oder abgesperrte Strassen die Grenze zu überqueren, sagte Bock in Bern vor den Medien. Das wolle man mit allen Mitteln verhindern. Deshalb werde das Zwischengelände nun noch genauer überwacht.
In den vergangenen zwei Tagen wurden laut Bock rund 16'000 Personen die Einreise verweigert - das sei eine Zunahme von 5000 Personen. Entspannt habe sich die Stausituation an der Schweizer Grenze. Der Handelswarenverkehr laufe einigermassen normal. Jedoch gibt es laut Bock immer mehr Chauffeure von Lastwagen, die sich weigern, Transporte durchzuführen, weil sie befürchten, irgendwo in Quarantäne zu kommen.
Armeeangehörige gefordert
Armeeangehörige, die jetzt im Dienst sind, müssen sich auf eine längere Dienstzeit einstellen, wie Brigadier Raynald Droz ankündigte. "Wir brauchen diese in der Krise." Eine Verlängerung der Dienstzeit sei unvermeidlich, sagte er.
In den Reihen der Armee gibt es aktuell 45 bestätigte Fälle, wie Droz sagte. Hinzu kommen 424 Verdachtsfälle. 651 Armeeangehörige befinden sich in Quarantäne. Für den Assistenzdienst aufgeboten wurden bisher rund 3000 Armeeangehörige, bereits im Dienst sind rund 12'000.
Auch das Gesundheitspersonal arbeitet auf Hochtouren. Laut Boris Zürcher vom Seco ist die Ruhe- und Arbeitszeitenregelung für das Spitalpersonal ausgesetzt. Das sei ein Bedürfnis der Kantone gewesen. "Das entbindet die Vorgesetzten nicht, die Ressource Personal adäquat zu schonen."
Auch Zivis im Dauereinsatz
Auch über 4000 Zivildienstleistende standen in der laufenden Woche im Einsatz - unter anderem in Spitälern, Heimen und Gesundheitseinrichtungen. Laut Christoph Hartmann, Direktor des Bundesamts für Zivildienst (Zivi), sollen ab Montag weitere Personen bereitstehen.
Die höchste Priorität sei es, die jetzigen Einsätze sicherzustellen, sagte Hartmann. Einige davon müssten aber aufgrund der verschiedenen Verbote abgebrochen werden. Diese Zivis sollten nun auf den Gesundheits- und Sozialbereich umverteilt werden.
Auch das Aussendepartement EDA arbeitet im Krisenmodus. Momentan wird die Ausreisen von tausenden Schweizer Touristen organisiert, die irgendwo auf der Welt gestrandet sind. EDA-Krisenmanager Hans-Peter Lenz appellierte an Betroffene, sich online zu registrieren.
(AWP)