cash: Der Euro-Franken fiel von fast 1,15 Ende April auf inzwischen unter 1,11. Ist es die Aussicht auf tiefere Zinsen in den USA, die den Franken so stark macht?
Martin Neff: Es ist ein Cocktail aus mehreren Gründen, die abgeblasene Zinswende der US-Notenbank gehört sicherlich dazu. In den USA sind die Langfristzinsen am Anleihenmarkt wieder bei einem Niveau von knapp zwei Prozent, nach über drei Prozent im vergangenen Herbst. Das ist ein massiver Fall. Entsprechend hat auch die EZB im Fahrwasser der Fed reagiert und die Zinswende weit nach hinten geschoben. Mittlerweile hat dies zu einer Bondmarktrally geführt. Gegenwärtig ist selbst der deutsche Zehnjahreszins bei minus 0,3 Prozent, in der Schweiz sind wir bei fast minus 0,6 Prozent - und wir loten neue Tiefen aus.
Die Zinsdifferenz zu anderen Volkswirtschaften besteht schon lange. Haben noch andere Kräfte zur jüngsten Frankenstärke geführt?
Die Zinsdifferenz hat sich tatsächlich nicht massiv verändert. Ich orte daher die Hauptgründe für die jüngste Frankenstärke im Risk-on-/Risk-off-Modus der Märkte. Sind die Markteilnehmer auf Risk-on, ist der Franken gesucht. Bei Risk-off hingegen wird er nicht unbedingt abgestossen, sondern dient als kleines Sicherheitspolster. Derzeit gibt es geopolitische Unsicherheiten und weitere Abwärtsrisiken für die Weltwirtschaft in Form von Konjunktursorgen. Das führt dazu, dass wieder vermeintlich sichere Assets wie der Franken oder Gold gesucht sind.
Wie geht es mit dem Euro-Franken-Kurs weiter?
Der Franken hat sich gegenüber dem Euro in den letzten Jahren um drei bis vier Prozent pro Jahr aufgewertet. Ich gehe nicht davon aus, dass sich diese Entwicklung demnächst ändern wird. Daher halte ich die Euro-Franken-Parität in den nächsten 24 Monaten für wahrscheinlich.
Würde die Schweizerische Nationalbank eine Parität zum Euro überhaupt zulassen?
Es steht zweifelsohne fest, dass der Franken bereits jetzt fundamental überbewertet ist, was die SNB auch immer wiederholt. Bei 1,10 wird dann eine psychologisch wichtige Grenze erreicht werden, wo die SNB wieder intervenieren könnte. Alles in allem ist die SNB aber relativ machtlos. Denn irgendwann nähert sich ihre Bilanz der Billionengrenze, was dann politisch in der Schweiz kaum mehr akzeptiert würde. Bereits jetzt mehren sich die kritischen Stimmen.
Wäre stattdessen eine Ausweitung der Negativzinsen ein probates Mittel, um den Franken wieder schwächen zu können?
Die Negativzinsen haben den Beweis nie erbracht, dass sie in irgendeiner Form abschreckend auf Investoren wirken. Kurzfristig kann es zwar helfen, aber sobald die Risikoaversion im Markt wieder zunimmt, wird der Franken wieder gesucht. Ausserdem müsste man als Währungshüter genau überlegen, ob es dadurch nicht massive Kollateralschäden gäbe. Ich rede von der Vermögenspreisinflation, der Immobilienblase und weiteren ungewollten Nebenwirkungen der Negativzinsen.
Hätte die Schweiz auch andere Mittel gegen den starken Franken, etwa die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen?
Diese Massnahme habe ich bereits im Jahr 2012 zur Diskussion gestellt. Wir sind eine weltoffene Volkswirtschaft, die quasi verpflichtet ist, Geld, das aufgrund einer Panik anderswo zu uns fliesst, aufzunehmen. Wir sind aber schlichtweg nicht in der Lage, all das Geld bei uns zu halten, ohne dass es zu Schäden führt. Durch Kapitalverkehrskontrollen würde sich die Schweiz im Ausland aber unbeliebt machen.
Was könnte in den nächsten Monaten den Franken schwächen und die Situation etwas entspannen, ohne dass Politik und SNB aktiv werden müssen?
Es müsste eine wundersame Heilung der Konjunktur in Europa erfolgen. Falls dem so wäre, würden in der Eurozone wieder Zinsfantasien aufkeimen und der Euro würde dadurch an Stärke gewinnen. Diese Wahrscheinlichkeit erachte ich jedoch als eher gering. Deutschland ist vom ehemaligen Konjunkturzug zum Sorgenkind Europas geworden. Zudem steht der Brexit noch an. Ich sehe für den Euro daher eher ein Abwärts- als ein Aufwärtsrisiko.
Das spricht nicht für eine baldige Zinswende in der Schweiz. Wie lange werden die Negativzinsen hierzulande noch bleiben?
Am kurzen Ende kann ich mir nicht vorstellen, dass wir in den nächsten zwei Jahren ein positives Vorzeichen sehen werden. Am langen Ende, bei den zehnjährigen Schweizer Staatsanleihen, besteht immerhin eine gewisse Hoffnung, dass in dieser Zeitspanne irgendwann die Nulllinie nach oben wieder durchschlagen wird. Aber mit einem rapiden Zinsanstieg rechne ich nicht.
Martin Neff (*1960) ist seit 2013 Chefökonom von Raiffeisen Schweiz. Davor war der studierte Ökonom bei der Credit Suisse in verschiedenen Führungspositionen im Bereich Research tätig. Nach dem Studium in Konstanz und einem Abstecher zum Schweizerischen Baumeisterverband war die damalige Schweizerische Kreditanstalt (SKA) seine erste Station in der Bankenwelt.