Wenn man ein Beispiel liefern muss, wo die Zeichen anziehender Inflation sichtbar werden, kommt man um Brasilien nicht herum. Die Nahrungsmittel-Preise in Lateinamerikas grösster Volkswirtschaft gingen im Jahr 2020 um vierzehn Prozent nach oben - der grösste Anstieg seit fast zwei Jahrzehnten. Allein Reis verteuerte sich um fast 80 Prozent.
Hinter dem Preisschub stehen vor allem gestiegene Rohstoffpreise. Und diese sind laut vielen Beobachtern die Vorboten dafür, dass die beispiellosen geld- und fiskalpolitischen Massnahmen während der Corona-Krise zu einem zu einem Inflationsschub führen werden. Der Preisauftrieb geht in diesem Jahr munter weiter: Laut dem Bloomberg Commodity Index, der die Terminkontrakte von 20 Rohstoffen enthält, sind die Weltrohstoffpreise seit Jahresbeginn 10 Prozent gestiegen. Es waren auch schon 12 Prozent. In Brasilien hat sich die Inflationsrate als Folge der steigenden Nahrungspreise in den letzten sechs Monaten auf 5,2 Prozent verdoppelt.
Der Preisanstieg bei Lebensmitteln zeigt sich insbesondere bei Sojabohnen. Vor allem wegen der gestiegenen Nachfrage in China stiegen die Soja-Notierungen allein im letzten Jahr 60 Prozent:
Preisentwicklung von Soja in den letzten fünf Jahren (Chart: Bloomberg)
Die Wirtschaftsstimuli der Regierungen weltweit und wiederum die steigende Nachfrage in China, wo die Konjunktur schon einiges früher angezogen hat als in anderen grösseren Wirtschaftsräumen, lassen auch den Preis für Industriemetalle seit Monaten kräftig anziehen. Deutlich wird dies besonders bei Kupfer. Er befindet sich auf den höchsten Stand seit zehn Jahren. Auch andere Rohwaren wie Öl haben sich über die letzten Monate deutlich verteuert. Der Ölpreis befindet sich auf dem höchsten Stand seit zwei Jahren.
Preisentwicklung von Kupfer seit Ende 2015 (Chart: Bloomberg).
Die Preisspirale geht sodann weiter: Steigende Rohwarenpreise erhöhen auch die Kosten der Produktion. In China sind die Erzeugerpreise im Februar so stark gestiegen wie seit langem nicht mehr. Eine weitere Entwicklung der höheren Kosten: Steiegende Frachtpreise. Sie sind in den letzten Monaten wegen des Mangels an Seecontainern deutlich angestiegen. Was wiederum die Kosten für importierte Produkte erhöht. Der deutsche Chemiegigant BASF etwa steigerte im vierten Quartal die Preise für seine Kunden um 7 Prozent und begründete dies unter anderem mit der Containerknappheit.
Entwicklung der Kosten für Seefracht von Shanghai nach Rotterdam seit Anfang 2019 (Quelle: Bloomberg)
Diese Indizes und Trends haben an den Märkten deutliche Spuren hinterlassen. Die Inflationserwartungen in den USA sind auf dem höchsten Stand seit 12 Jahren. Volker Wieland, Professor für Monetäre Ökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt, schliesst eine Inflationsrate für den Euroraum von bis vier Prozent in diesem Jahr nicht aus. Und er rechnet mit einer jahrelang höheren Inflationsrate - höher jedenfalls als das Ziel der Europäischen Zentralbank von 2 Prozent.
Wieland verweist auf das seit 2020 hohe Geldmengen- und Kreditwachstum. Die breite Geldmenge steige aktuell mit einer Rate von mehr als zehn Prozent etwa doppelt so schnell wie in den vergangenen Jahren. "Da bauen sich Inflationsrisiken auf, falls die Menge an Geld über die Kredit- auch in die Gütermärkte drängen sollte", sagte Wieland in einem Interview mit der "Wirtschaftswoche". Richtig bemerkbar hat sich die Inflation in den industrialisierten Ländern bislang aber noch nicht, wie die Entwicklung der Inflationsraten der OECD-Länder seit 1980 zeigt:
Entwicklung der Inflationsraten der OECD-Länder seit 1980 (Chart: Bloomberg)
Inflationsskeptiker verweisen denn auch auf das Jahr 2008, als nach der Finanzkrise und nach ebenfalls erklecklichen Geldschwemmen durch die Notenbanken ähnliche Inflationsängste auftauchten wie heute. "Richtige" Inflation trat damals aber nie ein.
An den Märkten haben die Aktien- und Bondanleger die Inflationssorgen bereits zu spüren bekommen. Steigende Rendite von US-Staatsanleihen sorgten zuletzt vor allem für starke Verluste bei Wachstumsaktien wie US-Techwerten. Steigende Marktzinsen vor allem auf diesem tiefen Niveau deuten zwar willkommenes Wirtschaftswachstum an. Aber anziehende Renditen verteuern auch das Finanzierungsumfeld - was auch Schuldner an den Finanzmärkten in der Regel immer wieder in arge Bedrängnis bringe kann. Die steigenden Rendite könnten demnach auch Vorboten eines Börsen-Bebens sein.
Anziehende Inflation, guten Wirtschaftsdaten, steigende Marktzinsen, gleichzeitig rekordtiefe Leitzinsen und dazu eine Rotation an den Aktienmärkten weg von den Wachstumsaktien. Wie soll man als Aktionär auf dieses Umfeld reagieren? Wenn etwas tun, dann eher Aktien zukaufen als verkaufen: "Wir haben niedrige oder sogar negative Zinsen und stehen gleichzeitig am Beginn einer Aufschwungsphase. Das ist ein hervorragendes Umfeld für die Aktienmärkte", sagte etwa Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank, vor zwei Wochen zu cash.
Schon seit lägerem laufen zyklische Aktien gut - also solche, die in Phasen eines Wirtschaftsaufschwungs besser performen als der Gesamtmarkt. Seit dem 12. Februar etwa, als die Korrektur bei den Techwerten einsetzte, hat sich dieser Trend auch am Schweizer Aktienmarkt akzentuiert. Titel des Kioskbetreibers Valora (29 Prozent), des Reiseanbieters Lastminute.com (28 Prozent), des Reisehandelskonzerns Dufry (21 Prozent) und des Autozulieferers Autoneum (19 Prozent) haben deutlich zugelegt. Auch im Swiss Market Index liegen zyklische Aktien wie ABB, Swatch, LafargeHolcim, Geberit und Sika vorne:
Performance der Aktien im Swiss Market Index seit 16. Februar 2021 (Quelle: Bloomberg).
Dass Aktien mit defensiver Ausrichtung im derzeitigen und mittelfristigen Umfeld unter die Räder kommen, wie viele Experten behaupten, manifestiert sich hier allerdings noch nicht deutlich. So halten sich Swisscom und Nestlé einigermassen gut. Das Motto für Defensiv-Aktien lautet in den nächsten Monaten wohl dennoch "Schadensbegrenzung". Denn zyklische Aktien werden weiter zulegen. Vorsicht gegenüber den Wachstumsaktien ist weiterhin geboten. Einige Experten erwarten einen Anstieg der Renditen bei den richtungweisenden zehnjährigen US-Bonds auf mehr als zwei Prozent - Anfang Jahr lag die Rendite noch bei 0,9 Prozent, derzeit bei 1,6 Prozent.
Carsten Junius, Chefökonom bei J. Safra Sarasin, erwartet, dass die Rotation an den Aktienmärkten weg von den Tech-Aktien zwar eher abnimmt. Eine "Entgleisung" des Aktienmarkts sieht er nicht, wie er in einem Marktbereicht vom letzten Freitag schreibt. Energie- und Finanzaktien haben laut der Bank in einem Umfeld mit höheren Zinsen und steigender Inflation gute Voraussetzungen. Bei weiter voranschreitender Inflation sind dann Versorgeraktien und Defensivsektoren (Nahrungsmittel) interessant.
Energie und Infrastruktur als Inflationsschutz
Daniel Hartmann, Chefökonom beim Vermögensverwalter Bantleon in Zug, sieht die Lage etwas pessimistischer. Steigende Renditen und steigende Inflation seien für die klassischen Anlagen ungünstig. Wohl rechnet Hartmann in diesem Jahr noch mit einem deutlichen Plus bei Aktien. Das Umfeld werde aber insgesamt schwieriger, wenn Inflation aufziehe und für eine längere Zeit bleibe.
"Wir sprechen nicht von einer zehnprozentigen Inflation, sondern dass wir öfters zwei, drei oder vier Prozent sehen werden", sagte Hartmann im Interview mit cash.ch vor zwei Monaten. Die Notenbanken würden die Leitzinsen anheben müssen. Bei Aktien sieht er kurzfristig ebenfalls Banken und andere zyklische Titel im Vorteil. Mittel- und langfristig setzt er auf Titel von Unternehmen, die gut geführt werden und gute Bilanzen haben sowie von langfristigen strukturellen Trends profitieren. Aktien von Energieversorgern und von Unternehmen im Infrastrukturbereich böten einen gewissen Inflationsschutz.
Anleger müssen sich also vor allem an zwei Dingen orientieren: Wie schnell die Renditen bei Staatsanleihen steigen. Und inwiefern die Zentralbanken daraufhin die Märkte mit weniger Billiggeld versorgen könnten, sprich: Die Leitzinsen füher als gedacht anheben.