Russland ist in der Ukraine einmarschiert. Auf Befehl von Präsident Wladimir Putin griffen russische Verbände das Nachbarland am Donnerstag aus der Luft, über den Landweg und vom Schwarzen Meer aus an. Ziel des Einsatzes sei, die Ukraine zu entnazifizieren und zu demilitarisieren, teilte der Kreml in Moskau mit. Russland habe aber nicht die Absicht, die Ukraine zu besetzen. Die ukrainische Regierung und das Militär berichteten von mehreren Angriffen vor allem auf Kiew, Charkiw und Mariupol am Asowschen Meer. Nach Darstellung der ukrainischen Grenztruppen drangen russische Panzerverbände im Osten und von Belarus aus in ukrainisches Gebiet ein. Weltweit stiess das Vorgehen Russlands auf Fassungslosigkeit. Die EU kündigte ein neues und beispielloses Sanktionspaket an.

Selenskyj verhängt Kriegsrecht

Verlässliche Angaben über Tote und Verletzte lagen zunächst nicht vor. In mehreren Städten wurden nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums militärische Kommandozentralen angegriffen. Betroffen davon sei auch Kiew. Viele Menschen versuchten, die Hauptstadt zu verlassen. Auf den Ausfallstrassen bildeten sich kilometerlange Staus. Nach den Worten von Aussenminister Dmytro Kuleba griff das russische Militär von mehreren Seiten aus massiv an. Er sprach von einer grossangelegten russischen Invasion. Präsident Wolodymyr Selenskyj verhängte das Kriegsrecht. In Donezk im Osten des Landes, das von pro-russischen Separatisten kontrolliert wird, war laut Augenzeugen Artilleriefeuer zu hören. Pro-russische Separatisten brachten nach eigenen Angaben zwei Orte in der Region Luhansk unter ihre Kontrolle, wie die russische Nachrichtenagentur Ria berichtete.

Das russische Präsidialamt erklärte, die russische Operation in der Ukraine müsse ihre Ziele erfüllen. Das Land müsse von "Nazis" gesäubert und befreit sowie demilitarisiert werden. Präsident Putin äusserte sich kurz vor Beginn der Angriffe im Fernsehen. Er habe die Militäraktion autorisiert, Russland habe keine andere Wahl als sich zu verteidigen. "Russland kann sich nicht sicher fühlen, sich entwickeln und leben mit einer konstanten Bedrohung, die von der modernen Ukraine ausgeht", sagte Putin. "Jede Verantwortung für Blutvergiessen liegt bei dem regierenden Regime in der Ukraine."

Nato - Werden alle Verbündeten schützen

UN-Generalsekretär Antonio Guterres rief Putin auf, die Angriffe einzustellen und dem Frieden eine Chance zu geben. US-Präsident Joe Biden kündigte eine "gemeinsame und entschiedene Reaktion auf die ungerechtfertigte Attacke des russischen Militärs" an. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg berief für Freitag einen virtuellen Gipfel ein. In Brüssel kündigt er an, die Allianz werde alles zum Schutz ihrer Mitglieder tun. Mehr als 100 Kampfjets seien in Alarmbereitschaft, um den Luftraum des Nato-Gebiets zu überwachen.

Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte, Russland werde einen "bitteren Preis" zahlen. Noch am Abend werde der EU-Gipfel neue Sanktionen gegen Russland beschliessen. "Das ist Putins Krieg", sagte Scholz in Berlin nach einem Treffen des Sicherheitskabinetts. Russland mache einen schweren Fehler und verletze eklatant das Völkerrecht. Ziel der Sanktionen sei es, der russischen Führung zu zeigen: "Für diese Aggression zahlt sie einen bitteren Preis. Es wird sich zeigen: Putin hat mit seinem Krieg einen schweren Fehler begangen." Der Ukraine sicherte er die "volle Solidarität" Deutschlands zu. Für Sonntag kündigte Scholz eine Regierungserklärung bei einer Sondersitzung des Deutschen Bundestags an. Aussenministerin Annalena Baerbock erklärte: "Die Weltgemeinschaft wird Russland diesen Tag der Schande nicht vergessen."

«Die EU wird das härteste Sanktionspaket beschliessen»

US-Aussenminister Antony Blinken betonte die Bedeutung des Artikel 5 im Nato-Vertrag, der Verteidigungszusage für alle Nato-Mitglieder im Falle eines Angriffs. Er und US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hätten mit Nato-Generalsekretär Stoltenberg gesprochen, teilt er mit. Sie hätten über zusätzliche Massnahmen zur Sicherung der östlichen Grenzen der Nato gesprochen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte in Brüssel, dass man russisches Vermögen in der EU einfrieren und russischen Banken den Zugang zu Finanzmärkten abschneiden werde. "Die EU wird das härteste Sanktionspaket beschliessen, dass sie je beschlossen hat", sagte der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell. Beide betonten, dass die EU zudem die Ukraine weiter unterstützen werde. "Wir stehen an der Seite der Ukraine", sagte Borrell. Die 27 EU-Staats- und Regierungschefs treffen noch am Abend zu einem Sondergipfel zusammen.

Öl und Gold legen zu, Aktien auf Talfahrt

An den internationalen Börsen loste der russische Angriff auf die Ukraine ein Beben aus. Weltweit gingen die Aktien auf Talfahrt, während die Rohstoffpreise in die Höhe schnellten. Erdöl kostete erstmals seit 2014 wieder mehr als 100 Dollar je Fass, was Ängste vor einem neuen Inflationsschub schürte. Gleichzeitig versuchten Investoren abzuschätzen, welche wirtschaftlichen Folgen die geplanten Sanktionen des Westen gegen Russland haben werden.

Die Leitindizes Dax und EuroStoxx50 steuerten mit einem Minus von jeweils etwa 4,5 Prozent auf 13.959 beziehungsweise 3792 Punkte auf den grössten Tagesverlust seit etwa zwei Jahren zu. Der Moskauer Leitindex RTS verbuchte einen Rekord-Kurssturz von gut 50 Prozent und notierte mit 610,33 Punkten so niedrig wie zuletzt vor sechs Jahren. Die russische Währung geriet ebenfalls unter die Räder und fiel auf ein Rekordtief. Im Gegenzug stiegen Dollar und Euro jeweils mehr als zehn Prozent auf 89,9855 beziehungsweise 101,0273 Rubel

(Reuters)