Nach sechs Monaten droht der Schweizer Börse diesen Monat erneut die Aberkennung der Äquivalenz durch die EU. Schon im Dezember 2018 war dies ein Thema.
Der Hintergrund: Die EU will, dass die Schweiz das Rahmenabkommen zu den institutionellen Beziehungen mit ihr abschliesst. Doch der Bundesrat ist zögerlich und hat Entscheidungen in dieser Frage vorletzte Woche bis auf weiteres verschoben.
Damals wie heute ist nicht leicht abschätzbar, was ein definitives Ende der Börsenäquivalenz bedeuten würde. Folgende Punkte lassen sich aber umschreiben:
Beeinflusst eine Aberkennung den Börsenhandel?
Ja. Ohne Börsenäquivalenz ist der grenzüberschreitende Handel mit Wertpapieren erschwert. Gerechnet wird für diesen Fall mit einem Rückgang des Handels um 70 bis 80 Prozent, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg schreibt.
War da Ende letzten Jahres nicht ein "Notfallplan" oder "Plan B" des Bundesrates?
In November 2018 stellte der Bundesrat Massnahmen vor, die bei einer endgültigen Aberkennung der Äquivalenz zum Tragen kämen. Ein Handel mit Schweizer Aktien im Ausland würde de facto verhindert. Ausländische Händler müssten dann Schweizer Aktien definitiv in der Schweiz handeln. Der Aktienhandel in der Schweiz würde damit sichergestellt und die Volumen würden sich noch erhöhen.
Hätte dies Auswirkungen auf die Aktienkurse?
Unmittelbar wohl nicht: Sonst hätte der SMI gestern Nachmittag nicht 10'000 Punkte erreicht. Verunsicherung sähe anders aus. Längerfristig gesehen ist die Frage schwieriger zu beantworten. Weil die Liquidität von Schweizer Aktien in der Schweiz naturgemäss am höchsten ist, ist ein Handel an einem Schweizer Handelsplatz für ausländische Händler sowieso attraktiv. Ein "Knall" mit der EU würde aber das Gefühl der Unsicherheit erhöhen und es könnte zu Konflikten kommen, wenn andere Länder die Schweizer Regeln gemäss dem "Plan B" missachten. Damit wiederum könnte der Handel mit Schweizer Aktien zurückgehen und damit die Kurse negativ beeinflussen.
Wäre der "Plan B" gut oder schlecht?
Darüber herrscht keine Einigkeit. Je nach Standpunkt von Experten und Kommentatoren reichen die Antworten von "es wäre sehr schlecht" bis zu "hat kaum Auswirkungen". Oft hängen die Kommentare, die zur Börsenäquivalenz zu hören sind, auch von der individuellen Einstellung ab, die Politiker oder Wirtschaftsvertreter zum Rahmenabkommen haben. Das Hauptproblem eines Plan B ist, dass er nicht erprobt ist. Man weiss nicht genau, wie sich die Massnahmen auswirken würden.
Könnte sich ein Handel mit Schweizer Titeln ins Ausland verlagern?
Bei multinationalen Konzernen - also in erster Linie die wichtigen, liquidesten Titel im SMI – läuft rund 70 Prozent des Handels über die Börse SIX. Je nach Situation aber könnte ein Schweizer Grosskonzern eine Kotierung im Ausland anstreben und die Schweizer Börse verlassen.
Firmen mit Mehrfachkotierung müssten sich - falls es keine Ausnahmeregelung gibt - für eine Kotierung in der Schweiz oder im Ausland entscheiden: ABB ist auch in Stockholm und New York kotiert, LafargeHolcim ebenfalls in Paris, Aryzta ist auch an der irischen Börse. Für ausländische Unternehmen mit Schweizer Kotierung, beispielsweise AMS, könnten ebenfalls Probleme auftreten.
Gäbe es Einschränkungen für Privatanleger?
Schweizer Privatanleger handeln in aller Regel nur in der Schweiz und kaufen oder verkaufen die Titel von Schweizer Unternehmen am Heimmarkt. Ausländische Titel könnten in der Schweiz normal weiter gehandelt werden.
Wird die Äquivalenz trotz der erneuten EU-Drohung doch verlängert?
Vor den eidgenössischen Parlamentswahlen am 20. Oktober kommt es kaum zu weiteren Schritten beim Rahmenvertrag. Das weiss auch die EU-Kommission, mit der die Schweiz verhandelt. Daher könnte sie die Frist - angesichts der Umstände - noch einmal verlängern. Im Moment werden in der EU-Kommission nach den Europawahlen vom Mai zudem Posten neu besetzt. Daher dürfte die Schweiz nicht oberste Priorität haben und ein Verschieben des Entscheids auch der EU in die Agenda passen.
Die EU verlängerte Ende 2018 die Äquivalenz nochmals. Gibt es Gründe, dass sie dies diesmal nicht tut?
Die EU ist im Vergleich zu vor 15 oder 20 Jahren, als die bilateralen Verträge ausgehandelt wurden, viel mächtiger und damit auch kompromissloser gegenüber der Schweiz geworden. Zudem will die EU, die weiterhin mit Grossbritannien über den Brexit uneinig ist, nicht den Eindruck von Schwäche erwecken und vielleicht an der Schweiz ein Exempel statuieren.