Der Ausfall der russischen Erdgaslieferungen wird dazu führen, dass die Reserven sich schneller erschöpfen, wenn die Temperaturen in den kommenden Monaten sinken. Die Vorbereitung für die folgenden Heizperioden wird dadurch noch schwieriger. Da es keine schnelle Lösung gibt, wird die angespannte Lage nach Ansicht von Energieexperten bis mindestens 2025 andauern.

"Europa könnte im nächsten Winter ein noch grösseres Problem bekommen", sagte Niek Den Hollander, Chief Commercial Officer beim deutschen Gasversorger Uniper, in einem Interview auf der Gastech-Konferenz in Mailand diese Woche. "Es ist möglich, dass die Länder im nächsten Sommer ihre Speicher nicht so stark befüllen können, wie wir es in diesem Jahr geschafft haben."

Europa befindet sich in der schlimmsten Energiekrise seit 50 Jahren, da Russland als Vergeltung für Sanktionen die Lieferungen drosselt. Der Preisanstieg hat die Lebenshaltungskostenkrise verschärft und die Volkswirtschaften an den Rand einer Rezession gebracht.

Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben mehr als 300 Milliarden Euro bereitgestellt, um die steigenden Energiekosten in diesem Winter abzufedern. Aber diese kurzfristigen Maßnahmen laufen irgendwann aus, und für die Zeit danach ist noch keine Entlastung in Sicht.

Kapazitäten für Export von verflüssigtem Erdgas wachsen nicht über Nacht

"Irgendwann zwischen 2025 und 2027 werden die Preise in Europa wieder auf den Stand von Anfang 2021 zurückkehren", sagt Ed Morse, Rohstoffexperte bei der Citigroup, in einem Bloomberg-TV-Interview. "Die Kapazitäten für den Export von verflüssigtem Erdgas wachsen nicht über Nacht".

Nachdem Europa jahrzehntelang ihre Abhängigkeit von Moskau ausgeweitet haben, stehen sie nun vor einer schmerzhaften Umstellung. Verbraucher werden sich einschränken, Unternehmen ihre Produktion drosseln müssen.

"Dies wird in einer Zerstörung der Nachfrage gipfeln", sagte Charif Souki, Vorsitzender und Mitbegründer des LNG-Unternehmens Tellurian. "Die Menschen werden ihre Lebensweise ändern müssen. Sie werden seltener Auto fahren, sie werden ihre Heizung seltener einschalten, sie werden ihr Licht seltener einschalten, und sie werden mit einer gedrosselten Industrieproduktion leben müssen."

Das Hauptproblem besteht darin, dass russisches Gas - das im vergangenen Jahr etwa 40 Prozent des Bedarfs der Europäischen Union deckte - nicht einfach ersetzt werden kann. Nach der unbefristeten Unterbrechung der Gaszufuhr über die Ostseepipeline Nord Stream durch Gazprom am Wochenende könnten die Lieferungen über die Ukraine als nächstes anstehen.

"Wenn das Ziel des Kremls darin besteht, Mitteleuropa vollständig von russischen Gaslieferungen abzuschneiden, dann ist der Transit über die Ukraine mit Sicherheit gefährdet", sagte Laura Page, eine leitende LNG-Analystin beim Energiedatenunternehmen Kpler.

Die EU will über eine Preisobergrenze für russische Gasimporte diskutieren, die Teil eines beispiellosen Aktionsplans für die Energiemärkte ist. Präsident Wladimir Putin hat bereits gewarnt, dass Moskau im Falle der Einführung einer solchen Obergrenze keine Lieferungen mehr vornehmen werde.

Norwegen ist derzeit der Hauptlieferant von europäischem Gas

Europa versucht bereits, seine Bezugsquellen zu diversifizieren. Norwegen ist derzeit der Hauptlieferant von europäischem Gas, kann die Lieferungen aus Russland aber nicht vollständig ausgleichen. Andere nahe gelegene Lieferanten wie Aserbaidschan und Algerien haben ähnliche Engpässe.

Eine Option ist verflüssigtes Erdgas (LNG), das per Schiff von weit entfernten Produzenten wie den USA und Katar transportiert werden kann. Die Bundesregierung baut deshalb in Rekordtempo schwimmende LNG-Terminals. Die ersten sollen in den nächsten Monaten eröffnen.

Doch die Importkapazität ist nur eine Seite des Problems. Die weltweite LNG-Produktion ist bereits knapp, und die Erhöhung der Kapazität dauert mindestens drei Jahre, so Colin Parfitt, Vizepräsident der Chevron Corp. In der Zwischenzeit konkurriert Europa mit Asien um die vorhandenen Mengen.

Da Europa mit einem begrenzten Angebot an Gas konfrontiert ist, werden die Märkte auf absehbare Zeit angespannt bleiben.

"Wir werden zu einer normaleren Situation zurückkehren, aber das wird dauern”, sagt Helge Haugane, Senior Vice President beim norwegischen Energieunternehmen Equinor ASA. “Die Volatilität der Preise wird uns noch länger erhalten bleiben."

(Bloomberg)