Der Entscheid des Direktoriums kam nicht nur völlig unerwartet, er traf die Schweizer Wirtschaft ins Mark - und löste Entsetzen aus: Ökonomen, Unternehmer und Politiker verurteilten die Schweizerische Nationalbank (SNB) aufs Schärfste und prognostizierten schwere Zeiten, nachdem der Wechselkurs des Euros zum Franken innerhalb kürzester Zeit vom bisher fixierten Wechselverhältnis bei 1,20 zwischenzeitlich auf unter 90 Rappen fiel.
Ob Thomas Jordan und die SNB am 15. Januar 2015 richtig handelten, ist seit nunmehr drei Jahren eine Streitfrage. Nicht alle Beobachter verurteilten die Notenbank-Führung. Thomas Steinemann etwa, Anlagechef der Zürcher Privatbank Bellerive, begrüsste die Massnahme gleichentags im cash-Börsen-Talk grundsätzlich: "Es ist das realistische Eingeständnis, dass es Grenzen der Geldpolitik gibt", sagte der Aktienexperte damals. Die Entwicklung der Schweizer Wirtschaft der vergangenen Jahre gebe der SNB weiterhin recht, sagt Steinemann heute.
Wirtschaft boomt wieder
Die grosse Krise ist in der Tat ausgeblieben. Was den Unternehmen half: Nach einem erfolgreich bewältigten Strukturwandel in den vergangenen 20 Jahren waren die meisten Unternehmen schon auf Effizienz getrimmt. Trotz der sehr schwierigen Situation, die 2015 entstand, verfügten die Unternehmen dadurch über gewisse Handlungsspielräume zum Agieren und Überleben. Hochspezialisiete Unternehmen konnten sie sich auf dem Weltmarkt behaupten.
Zudem standen sie wegen der Erfahrung der Finanzkrise 2008/2009 mit sehr stabilen Bilanzen da. Hochverschuldete Industriegruppen erlebten ihr Ende oder eine Umstrukturierung – wie etwa der Oerlikon-Konzern 2010 – schon vorher.
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Auch im Aktienmarkt hinterliess der Entscheid kaum Spuren: Nach dramatischen Kurseinbrüchen unmittelbar nach dem SNB-Entscheid erholten sich die Aktienpreise. Der SIX-Index SPI Extra, der die Schweizer Aktien ohne SMI-Titel abbildet, steht heute 80 Prozent höher als am 16. Januar 2015. Die vielen industriellen Small und Mid Caps, die diesen Index ausmachen, haben in den vergangenen zwei Jahren zu den gefragtesten Aktien im Schweizer Markt gehört. Und die Hausse hält weiter an.
50'000 Stellen weg?
Bei den Schweizer Gewerkschaften kann man dem Ende der Kursuntergrenze allerdings nach wie vor nichts Positives abgewinnen. Die Effizienzsteigerungen in den Unternehmen geschahen nicht ohne Opfer. Firmen erhöhten zum Teil die Wochenarbeitszeit, Neueinstellungen wurden gestoppt, Lohnerhöhungen gestrichen.
Wie viele Stellen verloren gingen, ist umstritten, da Stellenstreichungen nicht immer direkt mit der Währungssituation in Verbindung gebracht werden können. Je nach dem, wie man rechnet: Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann bezifferte die Zahl vor einem Jahr auf 7000. Laut dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) gingen durch den Frankenschock ein Prozent beziehungsweise 50'000 Stellen verloren, besonders in den Maschinenbau-, Elektro- und Metallindustrie (MEM).
"Wir registrieren heute mehr Erwerbslose, mehr Ausgesteuerte und mehr Teilzeitkräfte, die gerne mehr arbeiten wollen als vor 2015", sagt Daniel Lampart, Chefökonom des SGB. In Deutschland, wo der Export seit Jahren extrem vom schwachen Euro profitiert, geschah das genaue Gegenteil: Dort wurden Stellen aufgebaut, gerade auch in der MEM-Industrie.
Tourismus besonders getroffen
Am meisten Mühe bekundete allerdings der Schweizer Tourismus. Strukturell war die Branche schon vor 2015 wegen hoher Preise, im Vergleich zum Ausland hohen Löhnen und wegen Einkaufskosten in schwierigem Fahrwasser. Der Frankenschock traf im Gegensatz zur Industrie hier eine bereits geschwächte Branche. Eine gestiegene Inlandnachfrage glich das Ausbleiben ausländischer Touristen nicht aus. "Es war die schwierigste Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg", sagte Ariane Ehrat, damals CEO der Tourismusorganisation Engadin St. Moritz, vor kurzem in einem Interview mit cash.ch.
Trotz der existentiellen Bedrohung investierte der Schweizer Fremdenverkehr. Auch kleine, familiengeführte Hotelbetriebe steckten Mittel in die Modernisierung. Einen Silberstreifen am Horizont verschafft der Branche aber erst die deutliche Abschwächung des Franken seit Ende Juli 2017: Von einem Kurs bei 1,07 ist das Wechselverhältnis bisher auf nahe 1,18 angestiegen.
Die ETH-Konjunkturforschungsstelle KOF beobachtet in der Ausland-Nachfrage wieder "kräftige Impulse". Im vergangenen Sommer stiegen die Logiernächte um 3,4 Prozent, nach der aktuellen Skisaison dürften ebenfalls gute Zahlen folgen. Die Nachfrage kommt vor allem aus Boom-Ländern in Asien, aber der Rückgang der Tourismuszahlen aus den Euro-Ländern ist in der Zwischenzeit mindestens gestoppt worden. Ob das reicht, die Krise des Tourismus zu beenden, bleibt abzuwarten.
Wenig Lohnsteigerungen
Nicht nur der Tourismus wirbt mehr um Reisende aus Indien, China oder den Golfstaaten. Auch in der Exportindustrie gehörte es zu den Effizienzmassnahmen, sich stärker auf Märkte ausserhalb der Eurozone auszurichten. An der Jahreswende 2017/18 besteht derzeit– nun, wo die Weltwirtschaft anzieht und sich der Franken abgewertet hat - eine "Win-Win-Situation". Viele Unternehmen ernten die Früchte ihrer Effizienzsteigerungen und der Tatsache, dass sie in den schwierigen vergangenen drei Jahren durchgehalten und sich weiterorientiert haben.
Von der KOF befragte Konjunkturexperten erwarten 2018 BIP-Anstieg von 1.9%. Ihre Erwartungen für das langfristige Wirtschaftswachstum (in 5 Jahren) liegen bei 1.6%. https://t.co/Qv5MCfKpDR #KOF #ConsensusForecast pic.twitter.com/qz14mkauZ4
— KOF (@KOFETH) December 18, 2017
Daneben verbleiben aber Probleme und Risiken. Eine markante Steigerung der Löhne erwartet die KOF für die nächsten zwei Jahre nicht: Reallohnsteigerungen der vergangenen Jahre basieren im wesentlichen auf einem Preisrückgang. Der Nach wie vor überbewertete Franken birgt das Risiko der Deflation, wie der Chefökonom der VP Bank, Thomas Gitzel, in Erinnerung ruft.
Bei einem Euro-Franken-Kurs von 1,17 (und einem schwächelnden Dollar) bleibt die Lage angespannt. In Sinne der Wettbewerbsfähigkeit müsste der Euro-Franken-Kurs deutlich über 1,20 liegen - wo genau, darüber streiten die Experten. Zudem trauen noch nicht alle Beobachter der Erholung der Eurozone: Strukturell bleibt eine Reihe der Volkswirtschaften der Währungsgemeinschaft in der Problemzone, allen voran Italien, das wirtschaftlich viertgrösste Euroland.
Ungemütlich für die Unternehmen ist auch die Tatsache, dass die Devisenpolitik der Nationalbank deren Handlungsspielraum eingeschränkt hat: Mit einer Bilanz, in der die Devisenreserven in den vergangenen drei Jahren von 500 auf 800 Milliarden Franken gestiegen sind, sind die Instrumente für eine neuerliche Verteidung des Frankenkurses stumpfer geworden.
Redaktionelle Mitarbeit durch Ivo Ruch.