In jüngster Zeit zeigte sich in der Währungsunion des Öfteren die Sonne. Zum Beispiel stieg die Industrieproduktion in der Euro-Zone im August stärker als erwartet um 1,6 Prozent. Zudem haben sich laut dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) die Erwartungen an die Konjunkturentwicklung in der Euro-Zone insgesamt im Oktober verbessert. Auch die Finanzmärkte haben nach dem Brexit-Schock erstaunlich schnell wieder in den Alltagsmodus geschaltet.
Doch blendet man diese Momentaufnahme aus und blickt etwas genauer auf die einzelnen Länder, erscheint die Euro-Zone in einem nicht ganz so rosigen Licht. Gut möglich, dass auch die Aufregung um den Austritt Grossbritanniens aus der Europäischen Union den Blick auf die weiteren Probleme Europas derzeit verstellt.
Nicht umsonst hält die Europäische Zentralbank unbeirrt an ihren Niedrigzinsen und ihrem Anleihekauf-Programm fest, womit sie Schwung in die Wirtschaft bringen will. 80 Milliarden Euro monatlich pumpen die Währungshüter aus Frankfurt so monatlich in den Wirtschaftskreislauf. Ebenfalls nicht zufällig wiederholte unlängst US-Ökonom und Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz seine Befürchtung eines baldigen Zerfalls der Euro-Zone.
Italien: Euro bringt kaum Wachstum
Da ist zum Beispiel die äusserst missliche Lage Italiens. Zuerst ein paar Fakten: Die Wirtschaftsleistung stagniert seit Jahren, während die Staatsverschuldung laufend zunimmt. Ein Drittel der unter 35-Jährigen ist arbeitslos. Das alles in einem Land mit tiefgreifenden strukturellen Problemen: im Rechtssystem, in der Bürokratie und in der Politik. Seit Einführung des Euro ist Italien das einzige Land der Währungsunion, das gemessen an der Wirtschaftsleistung pro Kopf ärmer geworden ist. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Deutschen Bank.
Paradox: Trotz des desolaten wirtschaftlichen Zustandes kann sich Italien an den Finanzmärkten zu besseren Konditionen verschulden als die USA. Das Anleihekaufprogramm der EZB hat diesbezüglich zu einer Verzerrung geführt. Die Rendite zehnjähriger italienischer Staatsanleihen liegt derzeit bei 1,38 Prozent. Jeder der USA bei 1,74 Prozent. Hinzu kommt ein krankes Bankensystem, welches das Wachstum weiter abzuwürgen droht. Investoren zieht Italien in diesem Jahr kaum an, wie der untenstehende Chart zeigt.
Während einzelne Stimmen Italiens Zukunft im Euro-Raum aus wirtschaftlichen Gründen infrage stellen, könnte bald von innenpolitischer Seite Gegenwind aufziehen. Die Protestpartei "Cinque Stelle" ist auf dem Vormarsch und würde bei Neuwahlen wohl am meisten Stimmen holen. Dazu könnte es kommen, wenn Premierminister Matteo Renzi im Dezember ein Verfassungsreferendum verliert. Ob Italien unter neuer Führung Teil der Euro-Zone bleiben würde, ist alles andere als klar.
Wenig Freude bei Anlegern: Der italienische Leitindex FTSE MIB seit Anfang 2016 (Quelle: cash.ch)
Griechenland: Gestritten wird immer
Legendär waren die Wortgefechte, die sich Griechenlands ehemaliger Finanzminister Yanis Varoufakis mit seinem deutschen Amtskollegen Wolfgang Schäuble lieferte. Varoufakis vertrat während seiner kurzen Amtszeit zwischen Januar und Juli 2015 die Meinung, Griechenland brauche keine weiteren Hilfsgelder, sondern einen Schuldenschnitt.
Das ist nicht eingetreten, denn die Geldgeber sind standhaft geblieben. Doch das nach wie vor überschuldete Griechenland ist immer noch gut für einen Streit – derzeit zwischen der deutschen Regierung und dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Während Deutschland den Reformdruck aufrechterhalten will, ist der IWF anderer Meinung: Von nachhaltig tragfähigen Schulden bei über 176 Prozent der Wirtschaftsleistung könne keine Rede sein (siehe Chart). Ohne einen Schuldenschnitt komme Griechenland nicht aus dem Teufelskreis aus Rückzahlung der Schulden, geringem Wachstum und hoher Arbeitslosigkeit.
Die Mehrheit der Beobachter ist sich heute einig, dass es ein Fehler war, Griechenland ursprünglich in die Euro-Zone aufzunehmen. Ein "Grexit" ist derzeit kein Thema, doch Hellas ist noch lange nicht über den Berg. Im Gegensatz zu Italien würde ein Austritt Griechenlands aus dem Euro viel weniger Kollateralschaden anrichten.
Frankreich: Ein schlechtes Vorbild
Frankreich wählt im nächsten Jahr einen neuen Präsidenten oder eine Präsidentin. Die Chancen von François Hollande auf eine Wiederwahl sind dabei gering, weil ihm schlicht die positiven Argumente fehlen. Unter seinem Vorsitz ist die Arbeitslosenquote laufend gestiegen, alleine im letzten August um 1,4 Prozent auf 10,5 Prozent.
Weil daneben das Wirtschaftswachstum lahmt und die Verschuldung laufend zunimmt, wurde Frankreich auch immer wieder als eigentlicher "kranker Mann Europas" bezeichnet. Klar, die Probleme sind anderswo grösser, wie der nächstfolgende Chart zeigt. Aber Frankreichs Zustand hat als zweitgrösste Volkswirtschaft der Euro-Zone viel mehr Gewicht.
Erfüllt zum Beispiel Frankreich die Budgetregeln nicht, die für den gesamten Währungsraum gelten, fragen sich andere Länder zu Recht, wieso sie sich daran halten sollten. Gleichzeitig bringt Frankreich verhältnismässig immer weniger ökonomisches Gewicht auf die Waage: Die deutsche Wirtschaft ist rund ein Drittel grösser geworden als die französische. "Ob das auf die Dauer gut ist für Europa?", fragte der Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann kürzlich in einem Blog-Eintrag.
Richtig brisant für Europa könnte es werden, wenn bei den Präsidentschaftswahlen die rechtskonservative Marine Le Pen triumphiert. Dass sie momentan mehr Zuspruch erhält als François Hollande, ist unbestritten. Wie sie Frankreichs Rolle innerhalb von Europa definiert, ist allerdings sehr ungewiss.