Der britische Börsenguru Jeremy Grantham, Gründer des Vermögensverwalters GMO, prophezeit einen historischen Zusammenbruch des US-Aktienmarkts. In den USA drohe das Ende einer "Superblase", die sich über Aktien, Anleihen, Immobilien und Rohstoffe erstrecke. Dies könne möglicherweise zur grössten Vermögensvernichtung in der Geschichte führen, sobald der Pessimismus an die Märkte zurückkehre.
"Zum ersten Mal haben wir in den USA gleichzeitige Blasen in allen wichtigen Anlageklassen", schreibt Grantham am Donnerstag in seinem jüngsten Newsletter. Er schätzt, dass sich die Vermögensverluste in den USA auf 35 Billionen Dollar belaufen könnten. Im Vergleich: Das Bruttoinlandprodukt der Schweiz betrug im Corona-Jahr 2020 706 Milliarden Franken.
"Einer der Hauptgründe, warum ich die bestehende Superblase bedauere - und der Fed und anderen Finanzbehörden übelnehme, dass sie diese zulassen und erleichtern - ist der unterschätzte Schaden, den Blasen verursachen, wenn sie platzen", sagt Grantham. Die US-Notenbank Fed scheine das Entstehen von Vermögensblasen nicht zu verstehen, schreibt Grantham weiter und verweist auf den "massiven geldpolitischen Stimulus als Antwort auf die Corona-Krise" - ein Teil sei auch notwendig gewesen. "Die einzige 'Lektion', die das Wirtschafts-Establishment aus der Finanzkrise 2008 gelernt zu haben scheint, ist, dass wir diese nicht mit genügend geldpolitischen Lockerungen angegangen sind."
Grantham warnte bereits Anfang 2021 vor einer «epischen Blase»
Die Geschichte zeigt, dass Aktienblasen in der Regel zuerst in den riskantesten Teilen des Marktes zu platzen beginnen - wie jene, vor der Grantham seit Anfang 2021 warnt. "Also viel Glück!" schreibt er. "Wir werden es alle brauchen."
Jeremy Grantham bezeichnete den Markt bereits im Januar gegenüber Bloomberg als "ausgewachsene epische Blase". "Wenn man diese offensichtliche Superbegeisterung erreicht hat, ist die Blase ausnahmslos in den nächsten Monaten, nicht in wenigen Jahren, geplatzt", so der legendäre Investor damals. Und im Juli bekräftigte der auch als Markt-Historiker geltende Grantham seine Warnung erneut: "Die letzten zwölf Monate waren ein klassisches Finale für einen elfjährigen Bullenmarkt".
Doch wer seinem Ratschlag 2021 gefolgt ist, hat ein aussergewöhnlich starkes Börsenjahr verpasst. Was seinen jetzigen Warnungen einzig zugutekommt, ist, dass die Vorzeichen 2022 andere sind. Denn während der S&P 500-Index und der Dow Jones Industrial Average Anfang Januar Allzeit-Hochs erreichten, sind sie seitdem zusammen mit dem Nasdaq Composite Index deutlich zurückgefallen - insbesondere Tech-Aktien sind unter Druck. Grund für die Marktturbulenzen ist, dass die Fed die quantitative Lockerung beenden und später in diesem Jahr mit der Anhebung der Zinssätze beginnen wird. Dies, um die hohe Inflation zu bekämpfen.
«Vampirphase des Bullenmarktes»
"Wir befinden uns aktuell in der Vampirphase des Bullenmarktes", schreibt Grantham. Der Bullenmarkt bleibe so lange am Leben, "bis er, gerade als Anleger anfangen zu glauben, dass dieser völlig unsterblich ist, schliesslich und vielleicht ein wenig antiklimaktisch umkippt und stirbt. Je früher, desto besser für alle."
Doch in Anbetracht der Markterwartung, dass 2022 sowieso kein so gutes Börsenjahr werden dürfte, ist seine jüngste Warnung zu relativieren. Und dass die US-Notenbank Fed einen wirklich dramatischen Einbruch des Aktienmarkts zulassen würde, sei einmal dahingestellt. Eher wenig wahrscheinlich. Das sagt ja Grantham implizit selbst.
Was die Anlageempfehlungen von GMO betrifft, so fasst Grantham zusammen, dass er US-Aktien meiden würde, während man Wertaktien (auch Value genannt) in Schwellenländern und günstigeren Industrieländern, "vor allem Japan", favorisiere. Persönlich sagt er: "Ich mag auch etwas Bargeld für die Flexibilität, einige Ressourcen für den Inflationsschutz sowie ein wenig Gold und Silber."
Warnung vor «breitesten und extremsten globalen Immobilienblase»
Abgesehen von den jüngsten Rekordhöhen des US-Aktienmarktes und dem "verrückten" Anlegerverhalten, das dessen Aufstieg begleitet hat, warnt Grantham ausserdem, dass "wir tatsächlich eine der breitesten und extremsten globalen Immobilienblasen der Geschichte erleben". Er schreibt, dass Häuser in den USA "das höchste Vielfache des Familieneinkommens aller Zeiten haben, nach einem Rekordzuwachs bei den Preisen von 20 Prozent im vergangenen Jahr".
Ausserdem, sagt Grantham, "haben wir auch die teuersten Anleihemärkte in den USA und den meisten anderen Ländern der Welt und natürlich die niedrigsten Zinsen, die die Menschheitsgeschichte je gesehen hat." Und dann ist da noch die "beginnende Rohstoffblase", fügt er hinzu. Öl und die meisten "wichtigen Metalle" gehören zu den Rohstoffen, deren Preise allgemein "über dem Trend" liegen, während der "UN-Index der globalen Lebensmittelpreise ein Allzeithoch erreicht hat."
"Die Kombination, die wir 2008 gesehen haben, aus immer noch steigenden Rohstoffpreisen mit einer deflationierenden Vermögenspreisblase, ist der ultimative Zangenangriff auf die Wirtschaft und wird so gut wie garantiert zu grossen wirtschaftlichen Verwerfungen führen", schreibt er.
Untergangspropheten haben eindeutig wieder Hochkonjunktur. Und statistisch gesehen hat jeder einmal Recht.