Die Maßnahmen am Immobilienmarkt kamen wie auch bei der jüngsten Offensive in der Bildungs- und der Internetbranche ohne große Vorankündigung. Die Aufsicht erließ Hunderte neue Regeln und beschränkte Kreditaufnahme sowie Grundstückskäufe, um für Abkühlung auf dem boomenden Häusermarkt zu sorgen. Doch nicht nur die Preise gerieten unter Druck, sondern auch Immobilienunternehmen. Kreditausfälle und Firmenpleiten folgten. Experten warnen inzwischen vor Auswirkungen auf die Finanzbranche und die gesamte Wirtschaft des Landes.

"Die Märkte sollten sich auf eine deutlich stärkere Verlangsamung des Wachstums, mehr Kredit- und Anleiheausfälle und möglicherweise Aufruhr an den Aktienmärkten gefasst machen", konstatiert der Nomura-Chefökonom für China, Ting Lu. Die Entschlossenheit der Pekinger Führung, den von einem hohen Verschuldungsgrad geprägten Immobiliensektor stärker zu kontrollieren und die Preise in Schach zu halten, sei auch nach Jahren zunehmender Regulierung beispiellos. "Solch drakonische Maßnahmen hat es noch nicht gegeben", sagt auch Steven Huang vom Immobilienbroker Lianjia.com in Shanghai.

Während die Quote fauler Kredite bei den chinesischen Geschäftsbanken insgesamt laut Aufsicht mit 1,76 Prozent im vergangenen Quartal stabil auf niedrigem Niveau lag, bietet sich bei einzelnen Instituten und mit Blick auf den Häusermarkt ein anderes Bild: So platzten bei der Ping An Bank in Shenzen im ersten Halbjahr 2021 drei Mal so viele Kredite im Immobiliensektor wie vor Jahresfrist. Die Bank of Jinzhou verzeichnete einen Anstieg von mehr als 50 Prozent, die Bank of Shanghai von über 25 Prozent. In diesem Jahr haben Insolvenzgerichten zufolge 220 Immobilienfirmen Konkurs angemeldet, schon im Vorjahr gab es demnach kontinuierlich Firmenpleiten in der Branche.

Der Kreditentzug hat also Schwächen offengelegt und bringt zugleich weitreichende Nebenwirkungen mit sich. Doch nach Einschätzung von Experten will die Volksrepublik ihre Konjunktur von den Wohltaten des erfolgsverwöhnten Sektors unabhängiger machen. "Die Regierung treibt eine schrittweise Entkopplung von Chinas Wirtschaft und dem Immobiliensektor voran, in dem sie die Bedeutung der Branche verringert", sagt China-Stratege Xing Zhaopeng von der ANZ-Bank. Der Immobilienmarkt macht rund ein Viertel der chinesischen Wirtschaft aus. Ein üppiger Kreditfluss befeuerte jahrelang den Boom der Branche.

Symbol dieses Höhenflugs war lange Zeit der Immobilienentwickler Evergrande. Jetzt steht der Branchenriese aus Guangdong eher für die Abwärtsspirale, in die viele Entwickler gerutscht sind. Unter dem Druck von Gewinnrückgängen hat das Unternehmen massiv mit der Refinanzierung von Krediten zu kämpfen. S&P Global schätzt allein die Schulden, die Evergrande nächstes Jahr zurückzahlen muss, auf 37 Milliarden Dollar. Evergrande-Manager wurden inzwischen von der Zentralbank vorgeladen, die ihnen eine Stabilisierung des Geschäfts auftrugen. Beobachter sehen dahinter die Furcht, dass Kreditausfälle des Großkonzerns Banken und das gesamte Finanzsystem in Mitleidenschaft ziehen könnten.

(Reuters)