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Von Leerverkäufern hört oder liest man in der Schweiz äusserst selten. Das dürfte damit zu tun haben, dass diese Spezies hierzulande weitestgehend unter dem Radarschirm der Öffentlichkeit agiert. Zu erkennen geben müssen sich die Leerverkäufer nur dann, wenn sie mit 3 Prozent oder mehr der ausstehenden Aktien gegen ein Unternehmen wetten. Oder aber es kommt ihnen gerade kommod, sich zu erkennen zu geben – wie erst kürzlich, als der berüchtigte Leerverkäufer ShadowFall die Genfer Bankensoftwareschmiede Temenos öffentlich buchhalterischen Unregelmässigkeiten bei der Verbuchung von Forschungs- und Entwicklungskosten bezichtigte.
Dass sich Leerverkäufer in der Schweiz überhaupt unbemerkt an ein Unternehmen heranpirschen können, ist in Europa einzigartig und auf eine Unterlassungssünde der Schweizer Börse SIX zurückzuführen. In Nachbarländern wie Deutschland müssen schon kleinste Wetten gegen eine Aktie gemeldet werden. Diese werden dann öffentlich gemacht.
Gerade an der New Yorker Börse brechen nun aber harte Zeiten für die Leerverkäufer an. Dass ihnen ausgerechnet die stets ein wenig belächelten Kleinstanleger das Leben schwer machen, entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie. Der Leerverkäufer – bis vor wenigen Wochen noch als zähnefletschende Bestie gefürchtet – wird von Kleinstanlegern überrannt und verkommt so zum winselnden Schosshündchen.
Jüngstes Opfer ist der Hedgefonds Melvin Capital. Nach schmerzhaften Verlusten auf einer Wette gegen die Aktien von GameStop mussten ihm die beiden Hedgefonds-Milliardäre Steve Cohen von Point72 und Citadel-Gründer Ken Griffin mit insgesamt 2,75 Milliarden Dollar aus der Patsche helfen. Angeblich ist Melvin Capital nur einer von vielen.
A) 5-15 hedge funds down 10-40% in < 30 days.
— Lawrence McDonald (@Convertbond) January 28, 2021
B) Assets $100B aum, but levered 10-1, $1T off total assets.
C) As buy-ins, short converging, liquidation takes place - winners MUST be sold to meet margin calls.
Implications are far > meets the eye.https://t.co/4lNyjPpo27
Das stachelt die Kleinstanleger bloss noch mehr an. In orchestrierten Aktionen versuchen sie die Leerverkäufer auch bei anderen amerikanischen Aktien zu überrumpeln – stets begleitet von medialer Berichterstattung. Dieses Massenphänomen ruft nun sogar die Behörden auf den Plan. Angeblich hat die Börsenaufsicht im amerikanischen Bundesstaat Massachusetts eine Untersuchung im Zusammenhang mit auffälligen Derivatwetten auf die Aktien von GameStop eingeleitet. So will zumindest das bekannte Anlegermagazin Barron's erfahren haben.
Fehlende Informationen zu den leerverkauften Aktien machen ein Übergreifen des Massenphänomens auf die Schweiz übrigens etwas schwieriger. Denn anders als an der New Yorker Börse sind diese Informationen bei uns nicht öffentlich zugänglich. In die Lücke springen Beratungsfirmen wie etwa IHS Markit. Und weil sich diese Anbieter ihre Informationen regelrecht vergolden lassen, sind sie für Kleinstanleger schlichtweg nicht erschwinglich. Man müsste der Schweizer Börse SIX für ihre Intransparenz eigentlich schon fast ein bisschen dankbar sein. Allerdings wäre ich nicht überrascht, wenn solche Informationen in Kürze auch in hiesigen Börsenforen die Runde machen würden.
Das Ganze gibt dem Begriff "Casino-Kapitalismus" eine völlig neue Bedeutung und setzt diesem noch die Krone auf. Es fühlt sich an wie der Dotcom-Euphorie von Ende der Neunzigerjahre – bloss auf Steroide.
Allerdings gab es in den letzten Tagen auch bei einigen Schweizer Aktien auffällige Kursbewegungen, beispielsweise bei den Inhaberaktien von Kudelski. Und bei jenen des Automobilzulieferers Autoneum reichte am Dienstag eine Kurszielerhöhung auf 200 (zuvor 185) Franken durch die Credit Suisse, um die Leerverkäufer regelrecht in Panik zu versetzen. Für Gesprächsstoff sorgte auch der jüngste Höhenflug der ansonsten eher trägen Valoren der Swisscom. Begleitet wurde diese Bewegung von auffälligen Derivataktivitäten, wobei vermutlich auch Privatisierungsüberlegungen einzelner Politiker mit hinein spielen.
Mittlerweile reift übrigens die Erkenntnis, dass angeschlagene Hedgefonds an der New Yorker Börse gar Long-Positionen liquidieren müssen, um ihre Verluste bei leerverkauften Aktien decken zu können. Alleine wäre ich nicht unglücklich, würde dieses Massenphänomen nicht auf den Schweizer Aktienmarkt übergreifen.
Der Kurs der Zur-Rose-Aktien "schmierte" am späten Mittwochnachmittag mal eben schnell ab (Quelle: www.cash.ch)
Angeblich gibt es mit den Aktien von Zur Rose bereits ein erstes "Schweizer Opfer". Wie gemunkelt wird, könnte ein amerikanischer Hedgefonds hinter dem späten Kurseinbruch bei der Versandapotheke von gestern Mittwoch stehen.
Anlegerinnen und Anleger seien an dieser Stelle gewarnt: Bei Massenphänomenen wie jenem bei GameStop und Co. verhält es sich wie bei einer Partie "Schwarzer Peter". Geld verdient nur, wer früh dabei ist und sich rechtzeitig wieder verabschiedet. Den letzten beissen nämlich dann die Hunde...
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