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Wenn sich etwas wie ein roter Faden durch die Hochglanzbroschüren mit den Prognosen der Banken fürs Börsenjahr 2023 hindurchzieht, dann wäre das wohl die eindringliche Warnung, dass sich die Gewinnerwartungen als zu hoch erweisen könnten. Was allerdings kaum jemand schreibt oder sich zu schreiben wagt: Enttäuschen die Unternehmensergebnisse, werden es ihnen die Dividenden wohl gleichtun.
Die Strategen der britischen Barclays um ihren Chefdenker Emmanuel Cau gehören zu den wenigen Vertretern ihrer Berufsgilde, welche die unbequeme Wahrheit beim Namen nennen. In einem mir zugespielten Strategiepapier warnen sie vor drohenden Enttäuschungen, spiegelt sich die Gefahr einer Gewinnrezession doch noch immer nicht in den Dividendenerwartungen wider.
Wie die Autoren im Strategiepapier unbedingt verstanden wissen wollen, sehen sie Dividendenenttäuschungen im kommenden Jahr nicht zu einem Massenphänomen heranwachsen. Vielmehr dürften vor allem diejenigen Unternehmen enttäuschen, welche im Tagesgeschäft den Launen der Wirtschaft ausgesetzt sind.
Gemäss Barclays bieten die Logitech-Aktien einen guten Schutz vor unliebsamen Dividendenüberraschungen (Quelle: www.cash.ch)
Die Barclays-Strategen warten deshalb mit einer 30 Namen starken Liste mit Aktien von Unternehmen mit einem widerstandsfähigen Tagesgeschäft sowie einer grosszügigen Dividendenpolitik auf. Solche gäbe es in der Schweiz eigentlich wie Sand am Meer. Dennoch schaffen es mit dem Hörgerätespezialist Sonova und dem Unterhaltungselektronikhersteller Logitech bloss zwei der hiesigen Unternehmen in diese Auswahl. Etwas haben diese Aktien übrigens gemeinsam: Beide werden mit "Overweight" zum Kauf angepriesen.
Abflüsse in Milliardenhöhe: Amerikaner flüchten überhastet aus europäischen Aktien |
Noch stehen nicht alle Aktienfavoriten der Grossbank fürs 2023 fest. Was sich mit Sicherheit sagen lässt ist, dass aus Schweizer Sicht die Valoren von Richemont und Nestlé mit dabei sind. Jene der UBS zählen hingegen zu denjenigen Aktien, um welche man bei den Briten im Hinblick auf das kommende Jahr einen grossen Bogen macht.
Anders als den Barclays-Strategen kommen mir noch unzählige weitere börsenkotierte Unternehmen aus der Schweiz in den Sinn, bei welchen die Dividende bereits heute in trockenen Tüchern sein sollte - darunter die drei Indexschwergewichte. Im Wissen, dass diese gut die Hälfte zur hiesigen Börsenkapitalisierung beitragen, sollte uns die Warnung der Briten keine schlaflosen Nächte bereiten. Wenn schon Dividendenenttäuschungen, dann könnte ich mir diese eher bei einigen Unternehmen aus der zweiten und dritten Reihe vorstellen.
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Die Nachrichtenlage an den Aktienmärkten könnte verwirrender kaum sein. Da schreibt etwa die für gewöhnlich gut informierte Bank of America, dass die eigenen Privatkunden nunmehr schon seit neun Wochen in Folge als Verkäufer von Aktien in Erscheinung treten würden. 85 Prozent der im bisherigen Jahresverlauf erworbenen Aktienbestände (immerhin 56 Milliarden Dollar) seien bereits wieder auf den Markt geworfen worden, wie es weiter heisst.
Und Michael Hartnett, seines Zeichens Chefstratege bei der amerikanischen Investmentbank, setzt noch einen drauf, wenn er berichtet, dass die durchschnittliche Aktienquote der eigenen Privatkundschaft innerhalb von wenigen Monaten von einem Spitzenwert von 66 auf zuletzt noch 62 Prozent geschmolzen sei.
Mit wem immer man auch spricht – der Grundtenor bleibt stets derselbe: Der Appetit auf Aktien ist gering und die taktische Liquidität vielerorts so hoch wie seit Jahren nicht mehr. Auch die letzte Umfrage der Bank of America bei Fondsmanagern und Vermögensverwaltern zeugt von tiefsitzender Skepsis.
Die am häufigsten leerverkauften Aktien konnten in Europa zuletzt deutlich Boden gutmachen (Quelle: Barclays, Factset)
Da fragt sich doch, wer in den letzten Wochen denn nun eigentlich Aktien gekauft hat – sind die Kurse seit Oktober doch kräftig gestiegen. Eine Antwort auf diese nicht eben unwesentliche Frage wissen auch hier die Strategen der britischen Barclays. Wie Chefdenker Emmanuel Cau und seine Abteilungskollegen schreiben, haben vor allem Hedgefonds ihre Wetten auf rückläufige Aktienkurse reduziert, was den Märkten mal eben Flügel verlieh. "Short buyers are the best buyers", pflegte mein früherer Kollege Fredy Herbert bekanntlich stets zu sagen. Der Nachteil an Deckungskäufen ist, dass diese nur selten von Dauer sind. Irgendwann müssen dann auch die Privatanleger, Vermögensverwalter oder Fondsmanager wieder einen Appetit auf Aktien entwickeln...
Ich bin den Strategen von Barclays jedenfalls dankbar für die etwas differenzierteren Einblicke, tragen diese doch dazu bei, das Auge fürs Ganze zu schärfen.
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