Jahrelang war LVMH mit einem Börsenwert von rund 250 Milliarden Euro das grösste Luxusunternehmen Europas und somit auch auf Platz drei der branchenübergreifenden Rangliste, nach Novo Nordisk und SAP. Diesen Status musste der Konzern vor Ostern nun an den Konkurrenten Hermès abgeben. Die Marktkapitalisierung von Hèrmes beträgt derzeit 239 Milliarden Euro, während diejenige von LVMH nur noch 237 Milliarden Euro beträgt.
Dies, obwohl die Zahlen des französischen Luxuskonzerns Hermès im ersten Quartal ernüchternd ausfielen. So blieb der Umsatz knapp unter den Erwartungen der Analysten, die mit 7,9 Prozent (statt 7,2 Prozent) Wachstum gerechnet hatten. Vor allem in Asien und dem pazifischen Raum, dem wichtigsten Markt des Konzerns, verlief das Geschäft enttäuschend.
Dasselbe Muster zeigte sich jedoch noch ausgeprägter bei LVMH. Der in den ersten drei Monaten erwirtschaftete Umsatz lag organisch 3 Prozent unter dem Vorjahreswert, wobei das Kerngeschäft einen Rückgang von 5 Prozent hinnehmen muss. Der Konzern verwies auf das turbulente geopolitische und wirtschaftliche Umfeld mit dem drohenden Handelskrieg in zwei der wichtigsten Märkte des Sektors. «Die Bedenken der Anleger hinsichtlich einer Erholung der Nachfrage werden durch diese Ergebnisse wahrscheinlich noch verstärkt», schrieben Analysten von RBC dazu in einer Mitteilung.
Die Aktien von LVMH brachen daraufhin um beinahe 8 Prozent, respektive 23 Milliarden Dollar, ein. Damit notierte die neue Marktkapitalisierung von 237 Milliarden Euro auf dem tiefsten Stand seit Herbst 2020. Hermès sprang in die Bresche und übernahm das Zepter im Luxussektor. Seit einer Woche ist der Hersteller von Produkten wie Birkin- und Kelly-Bags nun an der Spitze und behält diese Stellung auch nach dem Osterwochenende bei. Bleibt das so?
Langanhaltende Rivalität
Die Rivalität zwischen den Konzernen ist nicht neu: Im sogenannten «Handtaschenkrieg» vor fünfzehn Jahren versuchte LVMH-Patron Bernard Arnault seine Anteile an dem Unternehmen zu erhöhen, wodurch sich die Hermès-Familie in ihrer Unabhängigkeit bedroht fühlte. Mithilfe eines Schlichtungsverfahrens in Paris konnte der Konflikt nach mehreren Jahren schliesslich zu Gunsten von Hermès beendet werden.
Während LVMH über 80 Marken kontrolliert, setzt Hermès den Fokus auf seine Kernmarke. Damit wendet sich der Handtaschenproduzent mit einem Gefühl von Exklusivität ausschliesslich an die Wohlhabendsten. Dank der kontrollierten Knappheit übersteigt die Nachfrage nach Handtaschen das Angebot - Wartezeiten von Monaten oder Jahren sind keine Seltenheit - was das Prestige-Gefühl weiter verstärkt und die Preise am Zweitmarkt sogar noch höher notieren lässt.
Erschwerende Marktbedingungen
In der aktuellen Wirtschaftslage ist die Kundenorientierung sicherlich ein Vorteil für Hèrmes. Morningstar-Analystin Jelena Sokolova äusserte gegenüber Bloomberg: «Hermès gilt als widerstandsfähiger in bestimmten Umgebungen, die unsicherer sind, und genau das passiert jetzt.» Die Sorge um einen Handelskrieg beeinträchtigt nämlich auch den Luxussektor, was durch die verhaltenen Quartalsergebnisse der Konzerne unterstrichen wurde.
So haben Analysten von Bernstein ihre Erwartungen für die Luxusgüterindustrie in diesem Jahr zurückgeschraubt. Die Begründung: «Die Unsicherheit, die sich abzeichnende Stagflation und der Abwärtstrend an den Aktienmärkten werden die weltweiten Konsumausgaben belasten», so Luca Solca. Er rechnet damit, dass die Luxusindustrie weltweit um 2 Prozent schrumpfen wird, während er zuvor ein Wachstum von 5 Prozent erwartet hatte. Der Sektor stehe vor weiteren Rückgängen, und die Bewertungen seien noch weit davon entfernt, die Talsohle zu erreichen, so der Analyst.
LVMH werde Preiserhöhungen in Betracht ziehen, um die Auswirkungen der Zölle auszugleichen, und habe auch Spielraum, um die Marketingkosten anzupassen, so Finanzvorstand Cecile Cabanis auf einer Telefonkonferenz nach den Ergebnissen. Obwohl LVMH die Produktionskapazitäten für Louis Vuitton und Tiffany in den USA ausweiten könnte, plant LVMH keine radikalen Veränderungen in der dortigen Produktion, sagte sie weiter. Hermès dürfte von solchen Massnahmen dank seiner Preissetzungsmacht deutlich weniger davon betroffen sein.
Eindeutige Tendenz
Für LVMH sprechen 88 Prozent der bei Bloomberg erfassten Analysten eine Kaufempfehlung aus, während es bei Hermès nur rund 60 Prozent sind. Die Verkaufsempfehlungen belaufen sich auf eine, respektive drei. Dennoch impliziert das Gewinnpotenzial für Hermès rund 15 Prozent Luft nach oben - bei LVMH sind es 33 Prozent, was aber auch dem Kurssturz geschuldet sein dürfte. Zum vorherigen Kursniveau sind es rund 19 Prozent.
Schenkt man den jüngsten Aussagen der Experten Glauben, tendieren diese trotz der Statistik derzeit eher gegen Hermès. So schreibt Sola: «In einem Kontext der Unsicherheit ist Hermès die Aktie für 'alle Jahreszeiten', da sie an der Spitze der Hackordnung der Megamarken steht.» Das Unternehmen verfüge über die klassenbeste Volumen- und Preisdisziplin, die durch die vertikale Integration unterstützt werde. Er erwartet in einer Rezession eine relative Performance der Aktie gegenüber dem Sektor.
Auch UBS-Analystin Zuzanna Pusz erwartet laut Bloomberg begrenzte Auswirkungen der jüngsten Abschwächungstendenzen im Sektor, auch wenn Hermès nicht «völlig immun gegen externe Schocks sei». Laut der Expertin bietet Hermès Anlegern eines der widerstandsfähigsten, angebotsgetriebenen Wachstumsprofile. Die Exklusivität dürfte auch der Grund sein, weshalb Hermès-Aktien derzeit mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von rund 50 für das laufende Jahr bewertet werden, während LVMH nur ein KGV von 19 hat. Das zeigt die hohen Erwartungen, die der Markt an das Unternehmen stellt.