Whole Foods Market (WFM) betreibt ein Netzwerk von 456 Filialen, die sich vor allem in den USA befinden. Der Kaufpreis für das Unternehmen soll bei 13,7 Milliarden US-Dollar gelegen haben. Innerhalb weniger Minuten nach der Bekanntgabe der Übernahme brachen die Aktienkurse zahlreicher grosser Lebensmitteleinzelhändler wie Ahold Delhaize, Wal-Mart und Tesco ein, während Amazons Marktkapitalisierung um mehr als den Kaufwert von WFM anstieg. Die Transaktion könnte weitreichende Konsequenzen haben, da die Einigung als Bedrohung für Unternehmen im Bereich der Konsumgüter des täglichen Bedarfs insgesamt anzusehen sei, findet Degroof Petercam AM.
Marktführerschaft im Online-Einzelhandel angestrebt
Amazon beansprucht in den USA bereits 53 Prozent aller Online-Ausgaben für sich - und muss daher die breitestmögliche Auswahl bieten. Im Non-Food-Segment ist das Unternehmen zwar erfolgreich, im Lebensmittelmarkt tut sich Amazon jedoch sowohl in den USA als auch im Ausland seit Jahren damit schwer, ein bedeutender Anbieter zu werden.
Lebensmittel stellen mit einem Umsatz von über 8 Billionen US-Dollar (ca. 40 Prozent der Verbraucherausgaben) die grösste Einzelhandelskategorie weltweit dar. Allein in den USA umfasst dieser Markt ein Volumen von 800 Milliarden Dollar. Somit ist WFM gemäss Einschätzung von Degroof Petercam AM nach Dreh- und Angelpunkt für Amazons Strategie, sich zu einer One-Stop-Shopping-Plattform zu entwickeln. Die Transaktion hilft nicht nur, Kunden und Interessenten anzulocken, sondern verstärkt auch Amazons Vormachtstellung auf dem Markt. Zudem ist dies ein guter Weg, um mehr Kunden dazu zu bewegen, sich für Amazon Prime anzumelden - eine wichtige Rentabilitätsquelle für den Online-Giganten.
Die Transaktion würde dank WFMs bestehender Infrastruktur (Filialen und Vertriebszentren), seiner hochwertigen Frischprodukte, weitläufig bekannten Hausmarken und enormen Datenmengen über Lebensmittel-Endkunden Amazon - und zwar insbesondere AmazonFresh - dabei helfen, die Entwicklung zu beschleunigen und in den USA noch erfolgreicher zu werden.
Mit diesem Schritt beweist Amazon, dass Anbieter im Lebensmitteleinzelhandel nicht allein als E-Commerce- oder als stationäres Einzelhandelsgeschäft überleben können, sondern eine Kombination aus beiden Varianten bieten müssen. Das Filialnetz gewährleistet Nähe zum Kunden und ermöglicht sowohl Heimzustellungs- als auch Click-and-Collect-Lieferdienste. Für Lebensmitteleinzelhändler sind diese Dienste mit äusserst niedrigen Margen oder sogar Verlusten verbunden, da Verbraucher nicht bereit sind, hierfür zu bezahlen. Kombiniert man jedoch Lebensmittel bei der Auslieferung mit anderen Produkten, ändert sich die Rentabilität grundlegend. Durch den Kauf eines firmeneigenen Vertriebsnetzwerks werden die Verwaltung der Kundenbeziehung leichter und die hohen Kosten für die Zustellung auf der „letzten Meile“ geringer, während gleichzeitig die Abhängigkeit von Drittspediteuren abnimmt.
Insbesondere frische Lebensmittel hätten für Amazon bislang eines der schwierigsten Segmente dargestellt. Um Kunden dazu zu bewegen, ihre Güter des täglichen Bedarfs online bei Amazon zu kaufen, sind sie jedoch unerlässlich. WFM verfügt über eine Lieferkette für frische Lebensmittel, die Amazon erhebliche Zeit ersparen könne, da es Jahre dauert, eine solche Versorgungskette zu optimieren und auszubauen.
Nach Ansicht der Experten von Degroof Petercam war der bei den Aktien von Einzelhandelsunternehmen verzeichnete Kursrückgang überzogen. Denn die meisten können durchaus mit Amazon konkurrieren. So weisen die grössten Lebensmitteleinzelhändler bereits die erforderliche Grösse auf - neben einem umfangreichen stationären Filialnetzwerk verfügen sie auch über ein solides Vertriebsnetz. Darüber hinaus konzentrieren sich viele Einzelhändler bereits seit geraumer Zeit auf vielfältige Vertriebswege, wie etwa Wal-Mart mit der 2016 abgeschlossenen Übernahme von Jet.com (Kaufpreis: ca. 3,3 Milliarden US-Dollar).
Es geht auch um "Big Data"
Aus den enormen Mengen an Daten über die Gewohnheiten der Endverbraucher kann Amazon äusserst nützliche Informationen ziehen, über die das Unternehmen derzeit noch nicht verfügt. Solche Daten dürfte es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht nur nutzen, um sein Lebensmittelangebot zu optimieren, sondern vor allem, um sein Angebot an Hausmarken anzupassen und drastisch auszuweiten.
Damit würde Amazon mit den meisten Lebensmittel- und Getränkeunternehmen (und auf allgemeinerer Ebene auch mit Anbietern kurzlebiger Konsumgüter) in Wettbewerb treten und in der Folge deren Marktanteile und Börsenwerte verringern.
Die künstliche Intelligenz "Alexa" und der Lautsprecher "Echo" stellen die Speerspitze dieser Strategie dar und bieten die bequemste, schnellste und günstigste Möglichkeit für den Einkauf von Lebensmitteln. Genaugenommen könnte der durch "Alexa" gesteuerte Lautsprecher - der sich durchaus noch in einer recht frühen Entwicklungsphase befindet - für die meisten Menschen zum persönlichen Heimassistenten werden. Im Laufe der Zeit könnte er sämtliche Haushaltsbedürfnisse übernehmen, indem er Einkaufslisten online bestellt und daran erinnert, dass man bald wieder Milch, Kaffee, Äpfel oder andere Artikel braucht. Und warum sollte er in diesem Fall nicht die Marken Amazons vorschlagen, die rein zufällig auch die günstigsten wären? Und für all das benötigt man nicht mehr als lediglich den Klang der eigenen Stimme.
Der Analyse der Experten von Degroof Petercam zufolge können nur die drei grössten Anbieter in jeder Kategorie sowie Nischenanbieter überleben und ordentliche Margen und Cashflows erzielen. Mit der WFM-Transaktion könnte Amazon das fehlende Puzzlestück gefunden haben, um die Art und Weise, in der man konsumiert und einkauft, grundlegend zu verändern - und damit auch die Unternehmenslandschaft von Grund auf neu zu ordnen.