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Wir blicken bei uns am Schweizer Aktienmarkt auf eine ziemlich bewegte Woche zurück. Nicht weniger als 38 Unternehmen meldeten sich in den letzten Tagen zu Wort und warteten mit ihren Zahlenkränzen, Dividendenentscheiden sowie mit zukunftsgerichteten Aussagen auf. Ich kann mich in meinen mehr als drei Jahrzehnten an der Börse beim besten Willen nicht an eine vergleichbare Ballung kursrelevanter Neuigkeiten in dieser Fülle erinnern. Insbesondere am Mittwoch und Donnerstag hielt das Geschehen uns Wirtschaftsjournalisten und Börsenkolumnisten ganz schön auf Trab.
Einige dieser Zahlenkränze wirbelten die Kurse der betroffenen Aktien ganz schön durcheinander. Dabei waren teilweise sogar prozentual zweistellige Kursbewegungen an der Tagesordnung – als ob sich die Börse in so etwas wie in einer Selbstfindungsphase befinden würde.
Vergangenen Freitag berichtete ich von einem milliardenschweren Zufluss von Anlagegeldern in börsengehandelte Fonds mit Hebeleffekt – auch bekannt als «Leveraged ETFs». Keine Frage: Bei steigenden Kursen ist ein Hebeleffekt eine feine Sache. Nicht aber, wenn die Kurse fallen.
So in den letzten drei Tagen gesehen bei den «Leveraged ETFs». Ich denke da etwa an den T-Rex 2X Long MSTR (-41 Prozent), den GraniteShares 2X Long PLTR (-32 Prozent), den T-Rex 2X Long Tesla (-27 Prozent) oder aber an den MicroSectors FANG & Innovation 3X Leverage (-21 Prozent).
Ich begegnete dem üppigen Zufluss von Anlagegeldern in diese hochriskanten Vehikel mit folgenden Worten:
Selbst wenn das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, will ich nicht ausschliessen, dass der eine oder andere Anleger in den vergangenen Tagen ein hohes Lehrgeld für diesen Leichtsinn bezahlt haben dürfte. Das lassen zumindest Aussagen von Goldman Sachs erahnen. Ich schrieb heute Freitag im Insider Briefing darüber.
Wenden wir uns nun aber wieder dem hiesigen Börsengeschehen zu.
Bei Adecco ist die Katze seit Mittwoch aus dem Sack: Der Stellenvermittler kürzt seine Dividende drastisch. Fürs zurückliegende Geschäftsjahr soll den Aktionärinnen und Aktionären bloss ein Franken je Titel ausgeschüttet werden. Das sind 60 Prozent weniger als im Jahr zuvor und die erste Anpassung unter negativen Vorzeichen seit 2009.
Einerseits dürfte das schwierige Wirtschaftsumfeld in vielen Teilen dieser Welt, andererseits aber auch die hohe Verschuldung des Unternehmens zu diesem einschneidenden Entscheid geführt haben. Die milliardenschwere Übernahme der französischen Akka Technologies lässt grüssen...
Kursentwicklung der Aktien von Adecco in den letzten Tagen (Quelle: www.cash.ch)
Dass die Aktien nach der Ergebnisveröffentlichung dennoch in den Genuss prozentual zweistelliger Kursgewinne kamen, dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass mit Blick auf den Zahlenkranz und den Dividendenentscheid grössere Enttäuschungen an diesem Tag ausblieben. Zur Erinnerung: Einige wenige Analysten hatten sogar einen Dividendenverzicht befürchtet.
Ausserdem scheint das Unternehmen bei den Kosten seine Hausaufgaben gemacht zu haben. Mit einem operativen Gewinn (EBITA) von 187 Millionen Euro übertraf der Stellenvermittler selbst die kühnsten Erwartungen. Ausserdem hat sich das Tagesgeschäft seit Mitte Dezember stabilisiert. Auch das sind gute Neuigkeiten – genauso wie die Aussage, dass man die künstliche Intelligenz als Chance und nicht als Gefahr sehe. Und tatsächlich findet sich Adecco diesbezüglich dank der Zusammenarbeit mit Salesforce und Microsoft in einer vergleichsweise komfortablen Situation wieder.
In die entgegengesetzte Richtung ging es diese Woche für die Valoren der SIG Group. Es wäre ja nicht so, dass das letztjährige Ergebnis oder die diesjährigen Finanzziele den Erwartungen der Analysten nicht gerecht geworden wären.
Vielmehr findet sich der Grund für die unterkühlte Börsenreaktion gut versteckt auf Seite 10 der Medienmitteilung. Dort informiert man die Öffentlichkeit nämlich darüber, dass ein Schiedsgerichtverfahren gegen den Verpackungsmaschinenhersteller läuft. Im Zuge dieses Verfahrens beharrt die Clean Holding auf erfolgsabhängige Zahlungen aus einer Earn-out-Klausel im Zusammenhang mit Übernahme von Scholle IPN von 2022. Die Clean Holding wiederum gehört dem SIG-Verwaltungsrat Laurens Last. Da überrascht es nicht, dass dieser an der kommenden Generalversammlung nicht mehr zur Wiederwahl vorgeschlagen werden soll.
Da Last mit rund 10 Prozent an der SIG Group beteiligt ist, zählt man an der Börse eins und eins zusammen – und spekuliert schon heute auf ein Zerwürfnis mit und einen anschliessenden Ausstieg des besagten Verwaltungsrats.
Nichts scheut die Börse bekanntlich so sehr wie die Ungewissheit. Und davon gibt es beim Verpackungsmaschinenhersteller aufgrund des Streits momentan reichlich. UBS-Analyst Joern Iffert zögerte am Mittwoch nicht lange und strafte die Aktien von «Buy» auf «Neutral» ab. Gleichzeitig trimmte er sein Zwölf-Monats-Kursziel auf 19 (zuvor 22,50) Franken.
Eine gewisse Signalwirkung geht insbesondere deshalb von dieser Herunterstufung aus, weil die Credit Suisse seinerzeit eine der Mitverantwortlichen des Börsengangs von SIG Group war und die Credit Suisse mittlerweile ja bekanntlich der UBS gehört.
Mut beweist Vontobel-Analyst Manuel Lang. Er nimmt die Kursschwäche zum Anlass, um die Aktien mit einem überarbeiteten Kursziel von 22,50 (zuvor 19,50) Franken von «Hold» auf «Buy» heraufzustufen. Eigenen Angaben zufolge trägt er dem Rechtsstreit mit höheren Kapitalkosten im Bewertungsmodell Rechnung. Mal schauen, ob sich dieser Mut für die Kunden der Zürcher Bank ausbezahlt macht.
Zu Reden gibt in hiesigen Börsenkreisen auch der Automobilzulieferer Klingelnberg. Nachdem der SIX Swiss Exchange mehrere millionenschwere Titelkäufe aus dem Verwaltungsrat gemeldet wurden, schaffte das Unternehmen mit einer Beteiligungsmeldung Klarheit: Beim Käufer handelt es sich um niemand geringeren als um den Ankeraktionär Jan Klingelnberg. Er hat seine Beteiligung auf etwas mehr als 56 (zuvor 48,6) Prozent aufgestockt.
Dass der Fondsmanager Marc Possa bei seinem Nebenwertevehikel SaraSelect zeitgleich aus dem Grossaktionariat ausgeschieden ist, lässt nur zu gut erahnen, wer ihm sein Sechs-Prozent-Paket denn abgekauft hat. Auch der Preis ist – dank der entstandenen Meldepflicht – bekannt. Die besagten Titel wechselten zu durchschnittlich etwas mehr als 12 Franken je Stück die Hand.
Im mehrjährigen Vergleich schneiden die Aktien von Klingelnberg schlecht ab (Quelle: www.cash.ch)
Ob es die hohe Abhängigkeit Klingelnbergs von der deutschen Automobilindustrie war, die den bekannten Fondsmanager dazu bewog, in unmittelbarer Nähe zu den langjährigen Tiefstkursen die Reissleine zu ziehen, ist nicht bekannt. Dass er sich nicht über den offenen Markt von seinen Aktien trennte, überrascht mich hingegen nicht. Da an durchschnittlichen Tagen nur gerade etwas mehr als 4000 Titel die Hand wechseln, wäre ein Ausstieg wohl nicht ohne den Kurs nochmals zu drücken zu bewerkstelligen gewesen.
Für Possa so etwas wie eine Schmach, ist die Transaktion für Jan Klingelnberg rückblickend betrachtet ein lohnendes Geschäft. Schliesslich hatten die Klingelnbergs beim Börsengang im Frühsommer 2018 einst auch Aktien aus ihren Beständen zum Emissionspreis von 53 Franken je Stück feilgeboten...
Eine weitere kalte Dusche ging von Mittwoch auf Donnerstag auf die nicht gerade erfolgsverwöhnten Aktionärinnen und Aktionäre von Orior hernieder. Wie der Fleischverarbeiter einräumt, ist er über eine erfolgswirksame Bewertungsdifferenz bei den Lagern im Umfang von rund 10 Millionen Franken gestolpert. Und obschon diese Bewertungsdifferenz auf 2023 zurückgeht, kassiert das Unternehmen sowohl die letztjährigen als auch die diesjährigen Finanzziele. Das macht es zur «Wiederholungstäterin», hatte man doch erst im Dezember eine Gewinnwarnung ausgesprochen und über Wertberichtigungen auf einem eingestellten Werksentwicklungsprojekt informiert.
Analyst Patrick Schwendimann von der Zürcher Kantonalbank zögert nicht lange und zieht die Reissleine. Er stuft die Aktien von «Übergewichten» auf «Untergewichten» herunter und kommt nur noch auf einen fairen Kurswert von 35 (zuvor 52,20) Franken. Nicht zuletzt auch aufgrund der hohen Nettoverschuldung kürzt Schwendimann seine Dividendenschätzungen empfindlich. Er geht neuerdings zweimal in Folge von einer Jahresdividende von einem Franken je Aktie aus.
Was Orior da seit Dezember liefert, ist beileibe kein Stoff, aus dem Anlegerträume gewoben werden – wohl aber Albträume. Auf den künftigen Firmenchef – noch ist der Fleischverarbeiter auf der Suche nach einem solchen – wartet jedenfalls viel Arbeit. Das dürfte die Suche nicht eben einfacher machen.
Auch den Aktionärinnen und Aktionären von DocMorris werden in diesen Tagen Nerven so dick wie Drahtseile abverlangt. In der Hoffnung auf ein wohlwollendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Werbung beim Bezug verschreibungspflichtiger Medikamente schoss der Aktienkurs am Mittwochnachmittag zeitweise um mehr als zehn Prozent nach oben – nur um tags darauf nach Bekanntwerden des Urteils regelrecht «abzuschmieren».
Interessant erscheint mir, dass die Kurse am Donnerstag kurz nach 10:15 Uhr morgens ins Rutschen gerieten. Auf der Webseite berichtete das Branchenportal Apotheke adhoc sogar schon 20 Minuten zuvor über das Urteil. Es sollte allerdings geschlagene zwei Stunden dauern, bis sich auch DocMorris zu einer Medienmitteilung bequemte. Bei Börsenschluss resultierte am Donnerstag dann ein sattes Minus von knapp 10 Prozent. Als ein Meisterstück in Sachen Unternehmenskommunikation wird das Ganze wohl kaum in die Lehrbücher eingehen.
Will man dem Analysten Gian Marco Werro von der Zürcher Kantonalbank Glauben schenken, dann ist das Urteil – anders als es die Reaktion der Börse vermuten liesse – sogar ein Teilerfolg für DocMorris. Seines Erachtens ermöglicht es dem deutschen Gesetzgeber nämlich nur ein Verbot der Gutscheinpraxis für Folgebestellungen, was ein weniger herber Rückschlag für Vertriebsapotheken sei als anfangs vermutet. Ausserdem dürften Gutscheine für die Folgebestellung von Kosmetik- und Pflegeprodukte auch weiterhin abgegeben werden. Ausserdem geht das Urteil zunächst an die deutschen Gerichtsinstanzen weiter, wo die Weiterbearbeitung noch Monate dauern könnte. Der Analyst stuft die Aktien deshalb wie bis anhin mit «Marktgewichten» ein.
Schon am Tag vor der Urteilsverkündung zog ich folgendes Resümee:
Aus Sicht der langjährigen Aktionärinnen und Aktionäre wäre es begrüssenswert, wenn die Versandapotheke beim Thema Refinanzierung möglichst bald für klare Verhältnisse sorgen würde. Vermutlich liessen sich dann auch die vielen Spekulanten endlich abschütteln.
Nächste Woche bricht gleich nochmals eine gewaltige Zahlenwelle über den Schweizer Aktienmarkt herein. Mein persönliches Interesse gilt vor allem den Ergebnissen von Sandoz, der VAT Group und Helvetia. An dieser Stelle sei schon mal erwähnt, dass die «Börsenwoche im Schnelldurchlauf» am kommenden Freitag aufgrund eines Kurzausflugs in die Berge ausfällt.
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1 Kommentar
1 Fr Dividende gibt immer noch 4,1 % Rendite plus Kurspotential!