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Die Liste der hiesigen Aktien, welche fast täglich neue Jahrestiefstkurse schreiben, wird länger und länger. Umfasste die besagte Liste Ende August bloss etwas mehr als zehn Unternehmen, setzt sie sich mittlerweile aus mehr als doppelt so vielen zusammen.
Anders als damals beschränkt sich die Liste nicht mehr nur auf finanziell angeschlagene Firmen wie Calida, Evolva oder Kudelski. Neben dem Solarunternehmen Meyer Burger, dem Automobilzulieferer Komax oder dem Rohrbauspezialisten Georg Fischer gesellen sich immer häufiger auch gefeierte Börsenüberflieger wie etwa Lonza, Richemont oder Sika dazu.
Man könnte bei diesen durchwegs beliebten Wachstumsunternehmen fast schon von einem schleichenden Bärenmarkt sprechen. Schleichend deshalb, weil der Schweizer Aktienmarkt am breit gefassten Swiss Performance Index (SPI) gemessen selbst jetzt noch eine positive Jahresbilanz aufweist.
Entwicklung des SPI seit Januar (Quelle: www.cash.ch)
Die Gründe, weshalb Anleger diese Aktien regelrecht aus ihren Wertschriftenportefeuilles kippen, könnten unterschiedlicher kaum sein. Und doch finden sich einige der Unternehmen in einer recht ähnlichen Situation wieder.
Gestern Dienstag etwa lud der Pharmazulieferer Lonza zum diesjährigen Investorentag nach Visp. Nach der überraschenden Gewinnwarnung vom Juli und dem nicht eben weniger überraschenden Rücktritt von Firmenchef Pierre-Alain Ruffieux kurz danach wollte Verwaltungsratspräsident und Interimschef Albert Baehny eigentlich Punkte bei den Aktionärinnen und Aktionären sammeln.
Doch schon die frühmorgens versandten Vorabinformationen zum Investorentag liessen erahnen, dass alles ganz anders kommen sollte. Für enttäuschte Gesichter sorgte insbesondere die Erkenntnis, dass 2024 mit grosser Wahrscheinlichkeit ein Übergangsjahr für den Pharmazulieferer wird. Und auch von den neuen Mittelfristzielen hatte man sich rückblickend wohl einiges mehr erhofft – wobei mir das angestrebte Wachstum noch immer ziemlich respektabel erscheint.
Dennoch fällt das Urteil an der Börse unmissverständlich aus: Gestern Dienstag gingen die Valoren von Lonza um satte 16 Prozent tiefer aus dem Handel.
Mit Falko Friedrichs von der Deutschen Bank zieht nun ein erster Analyst die Reissleine und geht von "Buy" auf "Hold". Um der Beendigung der Impfstoffproduktion für Moderna und der Schwäche in gewissen Geschäftsbereichen gebührend Rechnung zu tragen, streicht Friedrichs das Kursziel auf 366 (zuvor 514) Franken zusammen.
Das frage ich mich doch, wie dick der Korrekturstift bei seinem Berufskollegen Justin Smith bei der Société Générale sein muss. Dieser pries die Aktien einst sogar mit einem 12-Monats-Kursziel von 965 Franken zum Kauf an und reduzierte dieses anfangs dieses Jahres nur unwesentlich auf 935 Franken.
Kurszerfall der Lonza-Aktien seit den Sommermonaten (Quelle: www.cash.ch)
Unter die Räder gerieten in den vergangenen 48 Stunden auch die Valoren von Sika. Die Meldung, dass die europäische Wettbewerbsbehörde bei mehreren nicht namentlich genannten Bauchemieherstellern eine unangekündigte Durchsuchung von Geschäftsräumen durchgeführt hat, liess die Kurse purzeln. Im Zentrum steht der Verdacht des wettbewerbswidrigen Verhaltens – sprich: möglichen Preisabsprachen.
Zwischenzeitlich hat Sika eine solche Durchsuchung zwar bestätigt. Das Unternehmen ist sich allerdings keiner Schuld bewusst und war in der Vergangenheit auch noch nie in irgendwelche Preisabsprachen verwickelt.
Wie Vontobel-Analyst Bernd Pomrehn schreibt, ist der Ausgang der Untersuchung ungewiss. Er befürchtet, dass der Ruf der ganzen Branche darunter leiden könnte. Sollte sich der Verdacht gegen einige Unternehmen erhärten, droht ihnen dem Kartellrecht zufolge ein empfindliches Bussgeld von bis zu 10 Prozent des weltweiten Umsatzes.
Neben diesen firmenspezifischen Gründen dürften auch die gestiegenen Zinsen nicht ganz unschuldig an der momentanen Abgabebereitschaft der Anlegerinnen und Anleger sein. Die Rechnung ist denkbar einfach: Je höher der risikoarme Zinssatz, mit welchem künftige Gewinne abdiskontiert werden, desto geringer ihr heutiger Wert. Diese Überlegung gilt ganz besonders für die Aktien von Wachstumsunternehmen vom Schlag von Sika, Lonza oder Richemont – was den Höhenflug dieser Aktien während der Null- und Negativzinsära erklärt.
Mit der Citigroup hat heute Mittwoch übrigens eine erste Bank bei einigen dieser Aktien einschneidende Kurszielreduktionen vorgenommen. Ich befürchte, dass die Welle an Herunterstufungen aus dem Analystenlager erst noch folgen und den Kurszerfall zusätzlich anheizen wird. Ich will gar nicht erst daran denken...
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1 Kommentar
Wenn Unternehmen das richtige Produkt, Firmenkultur, zur richtigen Zeit haben dann prosperieren diese. Irgendwann entfällt diese Grundlage und irgendwann geht das zu Ende. Bislang ist kein Unternehmen ewig in der Sonne gestanden.
Lonza hat von der Corona Panik profitiert. Da Paniken nicht ewig andauern findet die Aktie zur Normalität zurück.
Sika wächst sehr profitabel seit Jahrzehnten. Irgendwann wird das Unternehmen durch seine vielen Zukäufe unübersichtlich, schwer zu führen. Dazu kommt die verrückte Politik in weiten Teilen der Welt die die Baukonjunktur auf absehbare Zeit dämpft.