Die Aktien von Kühne+Nagel haben seit Mitte August deutlich Schwung verloren und orientieren sich jüngst verstärkt nach unten. Händler verweisen dabei auf Berichte und Gerüchte über sinkende Frachtraten, die dem gesamten Sektor zusetzen würden. Dabei stünden vor allem die Raten zwischen Shanghai und Rotterdam und zwischen Shanghai und Los Angeles unter Druck.

Es ist Fakt, dass sich die Marktlage um Kühne+Nagel nach den sehr profitablen Jahren 2021/22 immer noch am Normalisieren ist. «Frachtraten haben sich seit einigen Monaten tendenziell stabilisiert, wie zum Beispiel der Shanghai Containerized Freight Index zeigt. Wir befinden uns leicht über den Niveaus von vor der Pandemie», sagt Michael Foeth, Analyst bei Vontobel, gegenüber cash.ch.

«Sinkende Frachtraten bedeuten nicht automatisch einen Druck für Kühne+Nagel. Es kommt vielmehr auf die Dynamik der Ratenänderungen an», wendet zudem Gian Marco Werro, Analyst bei der ZKB, gegenüber cash.ch. Die starke Reduktion der Seefrachtraten auf 2019-Levels war jedoch für viele Unternehmen in der Industrie eine negative Überraschung.

Normalisierung der Geschäftslage

Der Logistikkonzern Kühne+Nagel hat im zweiten Quartal wie erwartet deutlich weniger Rohertrag erwirtschaftet und klar weniger verdient. Nach dem Ende des Corona-Booms stehen die Zeichen somit weiter auf Normalisierung. In der Folge verschlechterten sich auch die Gewinnzahlen sowie die Profitabilität markant. Der operative Gewinn (EBIT) halbierte sich auf 523 Millionen, ebenso der Reingewinn auf noch 398 Millionen. 

Die sogenannte Konversionsmarge, die das Verhältnis von EBIT zu Rohertrag angibt, landete bei 23,2 Prozent (Vorjahr 36,4 Prozent), wie das Unternehmen Ende Juli mitteilte. Sie gilt in der Branche als wichtige Kennzahl.

Angesichts der «Normalisierung» erstaunt es trotzdem, dass der Titel des Logistikers dieses Jahr mit plus 24 Prozent das zweitbeste Ergebnis im Swiss Market Index (SMI) nach der UBS erzielt hat - wobei sich die Aktie erst seit Juni im Schweizer Leitindex wiederfindet. Mit der Kursentwicklung ist Kühne+Nagel in guter Gesellschaft: Auch die Konkurrenz wie DSV oder DHL Group (vormals Deutsche Post) gewinnen seit Anfang Januar deutlich.

Ein Teil der Erklärung liegt sicherlich darin begründet, dass Kühne+Nagel Frachtraten an die Kunden weitergibt, weshalb sie sich nur bedingt auf die Firma - und den Aktienkurs - direkt auswirken. «Wichtiger sind die zuverlässigen Dienstleitsungen die Kühne+Nagel selber für die Kunden erbringt. Je komplexer die Lieferketten, desto wertvoller der Service», so Foeth.

Schwächere Konjunktur wirkt sich trotzdem aus

Doch auch eine schwächere Konjunktur wirkt sich auf das Frachtvolumen aus, welche natürlich auch das Geschäft von Kühne+Nagel beeinträchtigen. «Allerdings gibt es über das Marktvolumen hinaus auch noch andere Wachstumsopportunitäten in diesem hochfragmentierten Markt, von denen Kühne+Nagel profitieren kann», argumentiert Foeth.. 

Werro geht hingegen von sinkenden Handelsvolumen in der See- und Luftfracht aus und auch die Lager der Produzenten und Händler würden wohl weniger rasch wieder aufgefüllt, was kurzfristig nicht förderlich für das Geschäft von Kühne+Nagel sei. So liegt auch das Risiko bei einem Investment in diese Aktie darin, dass wegen der Rezession eine Überkapazität für Transportlösungen auf den Weltmeeren entsteht.

Foeth von Vontobel bleibt hingegen ziemlich optimistisch: Die Aktie habe sich nicht zuletzt wegen der neuen Strategie, die im März angekündigt wurde, so gut entwickelt. «Daran ändern die externen Marktumstände nur wenig.» So will Kühne+Nagel mittelfristig nicht auf das Vor-Coronaniveau zurückfallen. Die Konversionsrate, die das Verhältnis von EBIT zu Rohertrag beschreibt, soll demnach bis 2026 fast so hoch bleiben wie während des Coronabooms.

Erreicht werden soll die höhere Ertragskraft mit der sogenannten «Roadmap 2026«. Die neue Strategie sieht unter anderem Mehrumsätze mit E-Commerce in der Höhe von 500 Millionen vor. Geplant ist ausserdem der Einstieg in neue Märkte. Konkret will der Konzern künftig stärker mit Anbietern aus dem Bereich erneuerbare Energien sowie mit Halbleiterherstellern zusammenarbeiten. "Wir wollen 2026 mit der Chipindustrie einen Umsatz von 500 Millionen erzielen", sagte CEO Stefan Paul im März. Geografisch seien Kunden in Japan und Korea im Fokus, aber auch Afrika werde wichtiger.

Ein klarer Kauf ist Kühne+Nagel auf dem aktuellen Bewertungsniveau - vorausschauendes KGV von 21 - trotzdem nicht. Zwar reizt der Titel auch mit einer Dividendenrendite von 5,5 Prozent, aber, dass neun von 18 von Bloomberg befragten Analysten die Aktien zum Verkauf empfehlen, lässt aufhorchen. Auch das durchschnittliche Kurspotenzial ist mit 1 Prozent mehr als bescheiden. Die Analystin Alexia Dogani von Barclays bringt es im Nachgang zu den Halbjahreszahlen auf den Punkt: «Die Bewertung der Aktie ist derzeit ausgereizt».

ManuelBoeck
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