cash.ch: Die steigenden Zinsen haben auch Biotech-Titel stark korrigieren lassen. Wie ordnen Sie das Marktumfeld für Biotechnologie ein?

Daniel Koller: Man muss differenzieren zwischen dem, was die Unternehmen auf der inhaltlichen Ebene liefern und dem, was der Kapitalmarkt reflektiert. Nach dem Ukraine-Krieg, der Inflation und den steigenden Zinsen rückt das Finanzsystem mit den Banken selbst in den Fokus. 

Was für Auswirkungen hat dieses angespannte Marktumfeld für die Unternehmen in der Biotechnologie-Branche?

Das Kapital wird durch steigende Zinsen teurer und Risikokapitalgeber vorsichtiger. Wenn Bewertungen unter Druck kommen, da diese nur über zukünftige Profitabilität und Umsätze definiert werden, wird es für die Firmen problematisch. 

Es drohen finanzielle Engpässe…

Ja. Firmen, die bereits an Wert verloren haben, kommen plötzlich in einen Refinanzierungszwang. Ein Unternehmen braucht mehrere hundert Millionen Dollar, um ein Medikament durch die klinische Pipeline zu bewegen und mehrere Millionen Dollar für die Lancierung, bis das Produkt schlussendlich ein Geschäftsmodell finanziert. Die Abdeckung dieses Kapitalbedarfs wird mit einer sinkenden Bewertung immer schwieriger. Dies sieht man typischerweise bei den kleiner kapitalisierten Unternehmen, die plötzlich nur noch bis zu 400 Millionen Dollar Bewertung haben, aber trotzdem diese Beträge benötigen. 

Wie erfolgt die Finanzierung in einer solchen Situation?

Die Finanzierung geht entweder wie bis anhin über die Börse, was durch Verwässerung einer Auslöschung des Altaktionariats entspricht. Oder die Unternehmen sind gezwungen, Lizenzabkommen mit grösseren Biotech-Unternehmen oder Pharmakonzernen einzugehen, was man in den letzten Monaten vermehrt beobachten konnte. Hierbei bleibt zwar das Eigenkapital der Firmen unverwässert, allerdings findet die Verwässerung auf Ebene der Produktrechte und damit der Umsatz und Ertragskraft dieser Produkte statt. Zusätzlich hat es einen direkten Einfluss auf die Handlungsfähigkeit der Firmen. 

Was bedeutet diese Ausgangslage für BB Biotech?

Wir haben ein Portfolio, das aus drei Komponenten besteht: Erstens die nachhaltig profitablen Unternehmen, die unabhängig vom Kapitalmarkt sind. Zweitens besteht die Hälfte unseres Portfolios aus Unternehmen, die bis zur Profitabilität finanziert sind. Dazu gehört die europäische Argenx, das spätestens 2025 profitabel sein wird. Gleiches gilt aber auch für Intra-Cellular Therapies oder Alnylam Pharmaceuticals. Diese haben in den letzten zwölf Monaten defensive Qualitäten gezeigt. Das Risiko besteht vielmehr bei denjenigen Unternehmen, die noch einmal eine oder mehrere Refinanzierungen benötigen. Dies sind bei BB Biotech rund 15 Positionen, die aber eine klar kleinere Gewichtung einnehmen - 20 Prozent der Gelder sind dort investiert. 

Wie sichern Sie sich gegen das gestiegene Risiko im gegenwärtigen Marktumfeld ab?

Wir sind sehr selektiv und kaufen keine Aktien von bestehenden Aktionären. Das heisst, dass wir frisches Kapital nur im direkten Tausch für neu ausgegebene Aktien dieser Firmen zur Verfügung stellen. Noch selektiver sind wir bei der Neuaufnahme von Chancen. Bereits letztes Jahr haben wir mit zwei Positionen das Portfolio unterdurchschnittlich erweitert - normalerweise nehmen wir 4 bis 5 Positionen pro Jahr auf. Wir haben bei Celldex Therapeutics und Rivus Pharmaceuticals zusätzlich auch die Menge an eingesetztem Kapital limitiert.

Viele Anlegerinnen und Anleger sind bei BB Biotech wegen der Dividende investiert. Diese beträgt aktuell hohe 5,7 Prozent. Wie wichtig ist die Ausschüttungspolitik langfristig?

Die grosszügige Ausschüttungspolitik ist sehr wichtig und daran halten wir auch fest. Wir haben diesbezüglich über die letzten Jahre das Vertrauen von vielen Anlegern gewonnen. Man hat am Anlage-, am Portfoliokonzept und den Kapitalmassnahmen festgehalten. BB Biotech hat zudem ein Aktienrückkaufprogramm am Laufen. 

Ist es im aktuellen Marktumfeld nicht schwieriger geworden, die Dividende nachhaltig zu finanzieren?

In einer Aufwärtsbewegung ist es natürlich einfacher, die Dividende zu bedienen. Historisch spielte aber vielmehr eine Rolle, wie viele Übernahmen unser Portfolio betrafen. Dort waren wir mit der Actelion-Übernahme ein bisschen verwöhnt. Im Moment braucht es eine vorsichtige Planung dahingehend, wie man mit der aktuellen Marktsituation umgeht.

Sie investieren in einen Wachstumsmarkt. Hohe Zinsen setzen die Bewertungen unter Druck. Inwiefern zeichnet sich jetzt eine Trendwende ab?

Wir sehen mit potenziell sinkenden Zinsen Chancen, was der Markt aber teilweise bereits eingepreist hat. Ich habe aber ein paar Fragezeichen bezüglich des Kapitalmarkts. Während Wachstumswerte aus dem Tech-Bereich seit dem Jahresbeginn wieder angezogen haben, bleibt Biotech zurück. Betreffend der Refinanzierungsproblematik besteht noch nicht genügend Klarheit. Wenn hier eine Kehrtwende geschieht, dann wird es recht drastische Kursbewegungen in die Höhe geben. Die starken Korrekturen, die wir jetzt gesehen haben, mündeten in der Vergangenheit immer in einer klaren Aufwärtsbewegung.

Warum müssen Investoren bei Investments in die Biotechnologie meist mit hoher Volatilität rechnen?

Wegen der Heterogenität ist die Branche volatiler. Sie hat sich aber in den letzten dreissig Jahren besser entwickelt als Pharma. Insbesondere bei den kleineren und mittleren Unternehmen ist die Visibilität für den breiten Markt kaum gegeben. So hat ein Misserfolg oder Erfolg eines Projektes viel grössere Auswirkungen. Eine Pharmafirma mit einem breiten Portfolio hat durch ihre Diversifizierung dieses Problem weniger.

Als Anleger muss man sich auch bewusst sein, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg eines Produktes sehr gering ist?

Genau. Die Erfolgsquote bleibt tief. Einzig die Zeithorizonte haben sich verkürzt. Die Kosten sind im Gegenzug hoch und die Konkurrenz ist stärker.

Inwiefern ist die Konkurrenzsituation problematisch?

Es hat sich ein Hyperwettbewerb entwickelt. Arbeiten alle auf dem gleichen Gebiet, wird es schwieriger, sich als Investor frühzeitig zu positionieren - es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen. 

Auf was liegt gegenwärtig der Fokus?

Vor paar Jahren war Onkologie das einzige Themenfeld, das alle interessiert hat. Momentan liegt der Fokus vielmehr auf Erkrankungen wie Diabetes oder Fettleibigkeit. Wenn man dort nicht dabei ist, ist man aus dem Momentum am Kapitalmarkt ausgeklammert. 

Bei welchen Themengebieten sehen Sie Chancen?

Bei denjenigen Gebieten, die momentan vernachlässigt werden, aber langfristig grosses Potenzial bieten. So wird das Thema Krebsforschung zurückkommen. Wir haben mit Fate Therapeutics, Relay Therapeutics, Revolution Medicines oder ESSA Pharma in den letzten zwei Jahren Investitionen in diesem Themengebiet gemacht. Aber auch bei der Herz-Kreislauf-Thematik sehen wir grosse Chancen.

Moderna ist mit einem Anteil von 8,2 Prozent eine grosse Position im Portfolio von BB Biotech. Inwiefern spielt die Onkologie hier eine Rolle?

Dieser Bereich wird für Moderna relevant. Im Gesamtkonzept spielte dies bei der erstmaligen Investition im Jahr 2018 aber weniger eine Rolle. Die Firma bot vielmehr eine spannende Plattform mit der mRNA-Technologie. Diese zielte schon damals auf mehrere medizinische Felder ab. Erst vor einigen Wochen sahen wir in der Onkologie einen Durchbruch. Für Moderna’s individualisierten Krebsimpfstoff wurde eine 44 prozentige Risikoreduktion für das Wiederauftreten von schwarzem Hautkrebs verkündet. Dies ist das allererste Mal, dass ein Krebsimpfstoff jemals in einer randomisierten Studie einen statistisch signifikante Risikoreduktion gezeigt hat! Das wird in der nächsten medizinischen Konferenz im April detailliert beschrieben. Mit einem beschleunigten Zulassungsverfahren könnte der Markteintritt sogar bereits 2024 erfolgen

Dies erscheint als eine klare Positionierung von Moderna in Richtung Krebsimpfungen?

Ein Grossteil des Anstiegs ihres Forschungsetats für 2023 - 1,5 Milliarden Dollar mehr als 2022 - ist hierfür veranlagt worden. Modernas Partner, der amerikanische Immunotherapiegigant Merck, hat die klinischen Daten bereits gesehen und 250 Millionen Dollar an Moderna überwiesen um 50 Prozent der Profite aber auch 50 Prozent der Entwicklungs- und Vertriebskosten zu übernehmen. Es wird spannend zu sehen, welche Zulassungsstudien die Partner dieses Jahr jenseits von schwarzem Hautkrebs initiieren werden. Dies könnte im adjuvanten Anwendungsbereich in der Lunge, Niere oder Brust geschehen oder potenziell sogar metastasierte solide Tumore einschliessen. Moderna ist mit seiner Plattformtechnologie auf gutem Weg, eines der grossen zukünftigen Pharmaunternehmen zu werden.

Sie werden Moderna im Portfolio behalten?

Wir sehen Moderna weiterhin positiv, nachdem wir im Sommer 2021 sehr grosse Gewinnmitnahmen getätigt haben. In der Zukunft besteht die Möglichkeit, dass wir diese Position wieder aufstocken.

Welche Unternehmen sehen Sie bei der Herz-Kreislauf-Thematik in der Poleposition?

Wir haben Plattform-Firmen wie Alnylam oder Ionis Pharmaceuticals, die dieses Gebiet abdecken. Beide Unternehmen entwickeln Medikamente gegen resistenten Bluthochdruck Das sind klassische Massenmärkte, wo es global eine dreistellige Millionenzahl an Patienten gibt. Wir haben das Team im vierten Quartal auch mit einer Person erweitert, die das Themengebiet Neurologie abdeckt. 

Warum ist das Themengebiet Neurologie für BB Biotech interessant?

Hier geht es unter anderem Demenz einschliesslich Alzheimer, wo der US-Biotechnologiekonzern Biogen und der japanische Partner Eisai vorangegangen sind. Die Diagnostik und die Segmentierung der Patienten wird immer besser. Man wird die Krankheit zukünftig besser verstehen und erkennen. Plattform-Firmen wie Alnylam Pharmaceuticals und Ionis Pharmaceuticals sind in diesem Gebiet aktiv. Doch auch psychiatrische Indikationsfelder wie Depression oder Schizophrenie bieten Chancen. Hier sind wir mit dem Unternehmen Intra-Cellular Therapies vertreten, das dieses Jahr bereits ein paar hundert Millionen Dollar Umsatz erzielen und die Profitabilität schon bald erreichen wird. Auch Sage Therapeutics ist ein Investment in diesem Bereich.

Auch der Zukunftstrend Gentherapie ist in aller Munde. Wie ordnen Sie dieses Gebiet ein?

Wir nennen es genetische Medikamente. Das beinhaltet Gentherapien aber auch Genscherentherapien. Bei der Genschere werden wir Ende dieses Jahres die erste grössere Zulassung von Crispr Therapeutics in Kollaboration mit Vertex Pharmaceuticals haben. Es ist immer noch ein komplexes Verfahren und bedingt eine Knochentransplantation der genetisch veränderten Zellen. Aber die betroffenen Menschen sind nach dem Eingriff auf Jahre hinaus und womöglich sogar für immer befreit von den Symptomen der Krankheit. Unsere direkten Investments im Bereich der genetischen Medikamente sind Crispr Therapeutics und Beam Therapeutics. Letztere fokussieren sich auf das technologisch anspruchsvollere Base-Editing, bei dem direkt auf dem Erbgut eine Veränderung vollzogen werden soll.

Aus der Schweiz ist kein Unternehmen im Portfolio von BB Biotech vertreten. Warum? 

Die Geographie ist kein Kriterium für uns. Das therapeutisch-technologische Entwicklungsstadium steht für uns im Vordergrund. Es gibt aktuell kein Schweizer Unternehmen, das sich für das Portfolio aufdrängen würde. Wir waren bis zur Übernahme ein langer Aktionär von Actelion und waren historisch über kurze Zeit in Basilea investiert. 

Sie sehen in der Schweiz keine Actelion 2.0?

Im Moment sehen wir kein Unternehmen, das in die Fussstapfen von Actelion treten könnte. Viele öffentlich kotierte Unternehmen sind hierzulande in einer schwierigen Lage, da sie tief bewertet sind und nur über knappe Ressourcen verfügen.

Dr. Daniel Koller ist Leiter Investment Management Team BB Biotech bei Bellevue Asset Management, wo er seit 2004 arbeitet. Zuvor war er bei Oz Holding, bei Equity4life, bei UBS Warburg sowie bei Ernst & Young tätig. Daniel Koller hat einen Master-Abschluss in Biochemie von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich und einen Doktortitel in Biotechnologie von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich.

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