Die von Bloomberg befragten Volkswirte rechnen nicht mit weiteren Zinserhöhungen und gehen davon aus, dass der Rat im Januar bestätigen wird, dass der Höchststand der Zinssätze erreicht wurde. Sie erwarten die erste Zinssenkung im September. Davor schon dürften die Währungshüter den Bilanzabbau der EZB beschleunigen.

Die EZB hat den Einlagensatz in 10 aufeinanderfolgenden Schritten auf einen Rekordwert von 4 Prozent gebracht. Präsidentin Christine Lagarde hat signalisiert, dass der Rat nun erstmal die Wirkung dieser beispiellosen geldpolitischen Straffung abwarten werde.

Diese Haltung wurde durch die jüngste Talfahrt bei Anleihen und den Krieg zwischen Israel und Hamas verstärkt, deren Auswirkungen die sich ohnehin schon verschlechternden wirtschaftlichen Aussichten der Eurozone weiter eintrüben.

«Die Entwicklungen seit der September-Sitzung haben die Wachstumsaussichten für die Eurozone verschlechtert, aber auch die Inflationsrisiken erhöht, da die Ölpreise in die Höhe geschossen sind», sagte Carsten Brzeski, leitender Ökonom bei ING. «Vor dem Hintergrund höherer Anleiherenditen und geopolitischer Spannungen scheint eine Zinspause bei der Sitzung nächste Woche beschlossene Sache zu sein.»

Etwas mehr als 60 Prozent der Befragten gaben an, dass die Abwärtsrisiken für das Wachstum seit der EZB-Sitzung im September zugenommen haben. Was die Inflation angeht, hat sich der Ausblick aus Sicht der meisten Befragten jedenfalls nicht verbessert: Obwohl sich die Preissteigerungen im letzten Monat deutlich verlangsamten und der Lohndruck möglicherweise nachlässt, bleiben die Inflationserwartungen weiterhin hoch.

Druck durch die wirtschaftliche Flaute

Einige Ökonomen sehen allerdings den Druck durch die wirtschaftliche Flaute die Oberhand gewinnen. «Der nachlassende Inflationsdruck in Verbindung mit der sich ausweitenden und vertiefenden Konjunkturschwäche deutet darauf hin, dass das Motto ‘höher für länger’ nicht sehr lange Bestand haben wird», so Nerijus Maciulis, Chefvolkswirt der Swedbank. Er rechnet mit der ersten Zinssenkung im April — früher als die meisten Kollegen — und geht davon aus, dass der Einlagensatz bis März 2025 wieder auf 2 Prozent fallen wird.

Die Finanzmärkte rechnen mit einer längeren Periode erhöhter Zinssätze. Die Renditen für Bundesschätze — die zweijährigen deutschen Staatsanleihen, die am empfindlichsten auf geldpolitische Veränderungen reagieren — liegen bei etwa 3,2 Prozent und damit nicht weit von ihrem höchsten Stand seit 15 Jahren entfernt. Die Geldmärkte preisen eine erste Zinssenkung um einen Viertelpunkt bis Juli ein und eine weitere bis Ende nächsten Jahres.

Während die Zinssätze auf Eis liegen, diskutieren die Währungshüter über Optionen für den rascheren Abbau der Anleiheberge, die sie im Rahmen vergangener Konjunkturprogramme aufgehäuft haben.

Anleihenverkäufe

Den drastischsten möglichen Schritt — aktive Verkäufe der Anleihen — erwartet nur etwa ein Drittel der Befragten, weniger als bei der letzten Umfrage. Ein sanfterer Übergang ergibt sich, wenn auslaufende Anleihen nicht mehr durch neue ersetzt werden. Mit den Beständen aus dem kleineren ersten Ankaufprogramm wird bereits so verfahren. Für das grosse Programm PEPP aus der Pandemie erwarten die Volkswirte nun früher eine ähnliche Praxis.

«Wenn sie die Abwicklung des PEPP-Portfolios zu früh ankündigen, könnten die Spreads italienischer Staatsanleihen in die Höhe schnellen», sagt Fabio Balboni, Europaökonom bei der HSBC Bank. «Aber es gibt nur begrenzte Alternativen.»

Die Mehrheit der Befragten erwartet eine Erhöhung der Mindestreserveanforderungen für die Banken der Eurozone innerhalb der nächsten 12 Monate — ein weiteres Werkzeug zur geldpolitischen Straffung.

 

(Bloomberg)